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Drangsal

Alex Hauser

Neues Drangsal Album „Zores“

Der pöse Pube des deutschen Pop ist zurück mit „Zores“. Ihr werdet sehr viel davon haben.

Von Christian Lehner

Max Gruber ist eine Schulklasse: Kleinstadt. Gymnasium. Oberstufe. Vorne sitzen die Interessierten und Aufmerksamen - auch Streber genannt. Hinten hocken die Außenseiter, die Frechen, die Gelangweilten. Dazwischen sitzt das große Mittelmaß. Davon hat Max Gruber zwar nur wenig, aber manchmal möchte er schon dort hin mit seiner Popmusik, dieser interessierte, außenseiternde und gelangweilte Frechdachs der deutschen Popmusik. Aber lässt sie ihn das auch?

Das Video zu „Magst Du Mich“ hat die feministische Slasher Regisseurin Kansas Bowling (B.C. Butcher) gedreht.

Dr. Drangsal und Die Ärzte

Zum Interview (siehe Podcast weiter unten) erscheint Max einbandagiert. Ach, das passt so gut! Wunden. Schmerzen. Hart auf weich. Weich auf Hart. So lässt sich seine Popmusik beschreiben – „Drangsal“ und „Zores“. Zwei schöne, beinahe in Vergessenheit geratene Wörter. Das eine der Künstler, das andere die neue Platte.

Und Drangsal erscheint in Weiß! Wie der Arzt seiner eigenen Wunden. Dr. Drangsal.

Drangsal

Christian Lehner

Der schlimme Finger, der einbandagierte, rührt vom exzessiven Gitarrenspiel (siehe „Streber“). Über die Schmerzen spricht er wie über eine Affäre. Max mag Maso. Mein Eindruck. Natürlich auch den Sado. Das offenbaren seine Texte auf dem neuen Album deutlicher, weil sie mehrheitlich auf Deutsch abgefasst sind und nicht auf Englisch wie beim Erstling „Harischaim“.

Und sie passt ihm gut, die deutsche Sprache. Bei Drangsal klingt sie nach Romantik in Sneakers. Sie schafft Abhängigkeiten mit Einverständnis, schüttelt andere ab, schaut zurück und prescht nach vorne. Manchmal möchte man ihn Max Grübler nennen, dann wieder Max Prahler. Ein Softie-Battle-Rapper mit Gitarre und Kinngrübchen. Sinn und Ästhetik. Wie Balbina, die er wohl nicht mehr so hasst, weil er etwas milder geworden ist und auch empathischer für die Kunst anderer ZeitgenossInnen, ergründet er nicht nur den Inhalt von Sprache, sondern auch deren Form.

Laufend gegen Wände dreschen Bandagen um die Wunden schlingen Hand für Hand dem Mauerwerk dann Oden über die Knöchel singen - „Magst Du Mich“

Metallica Fan, The Smiths Fan, Klaus Lage-Fan. Auf “Harischaim” hatte Drangsal einen Songs namens „Wolpertinger“. Das ist ein Fabelwesen, das sich aus verschiedenen Tierarten zusammensetzt: hier ein Entenschnabel, dort zwei Hasenohren, dazu eine Tatze vom Bär. Drangsals Musik setzt sich aus vielen Musikarten zusammen. Er ist zu clever, den Einfluss seiner Bandvorlieben zu leugnen. Manchmal ist er vielleicht zu clever.

Drangsal Zores

Caroline

„Zores“ von Drangsal ist auf Caroline erschienen. Das Coverbild ist ein altes Familienfoto. Klein-Max ist links zu sehen.

Die widerlaufenden Gitarrenfiguren im Intro von „Magst Du Mich“ klingen wie ein süßes Echo des The Smiths-Songs „Some Girls Are Bigger Than Others.“ Die Schlagzeugfigur von „All The Poor Ships At Sea“ rollt wie bei Lars Ulrich von Metallica, nur dass sie von Drangsal mit rosa Zuckerwatte ummantelt wurde.

Und dann ist ihm doch tatsächlich dieses Ärzte-Ding – ähm -passiert. Max spazierte mit dem Demo von „Turmbau zu Babel“ zu seinem Produzenten Markus Ganter (Casper, Dagobert, Tocotronic). Der meinte, ebenso wie die anderen Spezis und auch Co-Produzent Max Rieger von Die Nerven, dass das Gehörte nach dem frühen Farian Urlaub klänge. Drangsal beteuert, dass ihm danach gar nicht der Sinn war, aber Peng! Wieder eine Geschichte für die Presse. Der Wolpertinger aus der Pfalz mit Wahlheimat Berlin hat wieder zugeschlagen.

Apropos Herkunft. Kennt Ihr einen gewissen Gerd Riss? Eben. Aber Max kennt ihn. Riss war ein Speedway-Gott in Drangsals Heimatgemeinde Herxheim. Der Champ gewann immer. Wie er das machte, wusste niemand, aber er gewann immer. Staub, Benzin, Pokale. Ein Star in seiner eigenen Welt. Da wollte Max hin, von dort wollte er unbedingt fort. „Gerd Riss“ ist nicht das Herzstück auf „Zores“, aber es ist ein Herzensstück.

Spitzt einmal noch eure Ohren Ich schrei’s hinab von der Empore wer ich bin, wer du bist - „Gerd Riss“

FM4 Interviewpodcast

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Das ganze Interview mit Drangsal gibt es ab sofort auch im FM4 Interviewpodcast!

Der Sound auf „Zores“ ist nicht so weit entfernt vom Debüt, wie die Vorboten zum Album vermuten haben lassen. Noch immer sind die 80er-Jahre das Referenz-Jahrzehnt Nummer 1 für Drangsal. Der Protagonist tritt lyrisch wie klanglich deutlicher im Mix hervor. Die Texte sind mal albern, mal hochpoetisch.

Obwohl „Zores“ die Popmelodien, die Hooks und die Ohrwurmqualität besitzt, die es brauchen würde, wird’s wohl auch dieses Mal eher nix mit dem Sturm und Drang in die Charts der Bundesrepublik. Die Früchte hängen nicht zu hoch, sie scheinen Drangsal einfach nicht zu schmecken.

Also dann doch bitte die erste und die letzte Reihe in der Klasse! Was noch? Ach ja, Max Gruber hat sich als bisexuell geoutet, obwohl er das Wort hasst. Eh klar. Das Outing hat uns zwei der schönsten Textzeilen des Albums beschert:

Gegen die Decke meines Schädels schlägt ein Spalier junger Mädels ... Gegen die Wände meines Herzens halten hundert junge Jungs heiße Kerzen - „Und Du? Vol.II“

„Zores“, ist abermals ein Wolpertinger geworden. Einerseits bietet Drangsal der deutschen Popkonvention frech die Stirn – Zähne und Nasen brechen ebenso wie Herzen - andererseits hat er zu einer fröhlichen Sinnlichkeit („Denn ich lieb‘ dich so, ich lieb‘ dich so! „Turmbau zu Babel“) gefunden, die den anderwärtig abgelegten Begriff „Zartcore“ mit neuem Leben erfüllt. Wie gut, dass es die Drangsal gibt.

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