FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Britt Hatzius - Blind Cinema Donaufestival

Clara Wildberger

donaufestival 2018

Prismen des Präsens

Am zweiten Wochenende des Donaufestivals flüsterten Kinder einem bei „Blind Cinema“ einen Film ins Ohr. Konzert-Highlights kamen von Scout Niblett, FARCE, Friends of Gas oder Circuit des Yeux

Von Katharina Seidler & Irmi Wutscher

Auch die endloseste Gegenwart geht einmal zu Ende. Sechs Tage und Nächte lang konnte man in Krems wieder neue Perspektiven sammeln. Diese spannten sich in diesem Jahr unter dem Donaufestival-Motto „endlose Gegenwart“ zwischen den Polen hyperschnell, laut und kleinteilig und dessen Gegenteil, der geduldigen Entschleunigung, auf.

Einen Gesamt-Überblick zu geben über all die Ereignisse, von denen man, während man eines erlebt, gleichzeitig meistens ein anderes verpasst, wäre kein sinnvoller Zugang zu einem Festival wie diesem. Als bruchstückhaftes Kaleidoskop der Eindrücke aber möge der folgende Überblick dienen.

Kinder flüstern Filme

Die Welt mit den Augen von Kindern sehen“ – das wird beim Donaufestival in der Performance „Blind Cinema“ wörtlich genommen – wo einem Kinder Filme ins Ohr flüstern.

Wir bekommen eine schwarze Augenbinde ausgehändigt und dürfen uns im Kinosaal nur in jede zweite Reihe setzen. Ein Film beginnt. Nach wenigen Minuten sollen wir uns die Augen verbinden, während der Film weiter läuft. Dann wuselt es im Saal, man hört Flüstern und mir wird eine Art Hörrohr von Hinten ans Ohr gedrückt. Ich höre zuerst mal nur ein Kind schwer atmen. Es ist schon irgendwie lustig, ein Kind, das man nicht kennt, so nahe bei sich zu haben. Die Kinder beginnen den Film zu beschreiben. Mir wird erzählt von einem weißen Zimmer, von einem Kind, Büchern… Immer wieder kommt ein Ei vor, eine Leinwand oder eine Kamera, ein Hochhaus. Zwischendurch explodiert alles.

Britt Hatzius - Blind Cinema Donaufestival

Clara Wildberger

Der Film scheint sehr absurd gewesen zu sein und hat immer wieder die Perspektive gewechselt. So kann man sich als Zuseherin keine Handlung zusammenreimen. Nur durch das Eingeflüsterte entstehen Assoziationen und Bilder im Kopf – Geräusche hört man manchmal von der Leinwand. Bei einer Szene, wo ein Kind von dunklen Gestalten verfolgt wird, ist mein Einflüsterer sehr aufgeregt – und das macht es wieder spannend für mich. Lieb sind natürlich auch die originellen Beschreibungen der Kinder. Einmal werden Sterne als „wunderwunderschön“ beschrieben“ oder gesagt: „Es sind Funken, die sehen aus wie Sterne, aber natürlich sind es Funken!“

Weil man sich auf die Kinderperspektive einlässt und teilweise ziemlich verloren ist, ist das eine Erfahrung, die man sich sicher lange merkt.

Knitting and Noise

40 Strickerinnen und Stricker sitzen in der Halle 3 – das Klappern ihrer Nadeln wird elektronisch verstärkt und klingt wie ein metallischer Regen. Sie produzieren schwarze Wollwürste, die sich über den Boden zwischen ihren Stühlen schlängeln, und schauen die ganze Zeit konzentriert und streng nach unten. Das leise Klappern der Stricknadeln wird bei „Passing through metals“ konterkariert durch die lauten Töne der Münchner Postpunk-Band Friends of Gas. Sie stehen im Raum verteilt und setzen der friedlichen Handarbeit krachige Eruptionen entgegen.

Passing through metals Strick Performance Donaufestival

David Visnjic

„Passing through metals“ featuring Friends of Gas

Die israelische Künstlerin Oreet Ashery hat die Performance konzipiert. Die StrickerInnen kommen zum Teil aus Krems, auch aus Wien sind einige dabei. Viele von ihnen sind zum ersten Mal Teil von einem Kunstprojekt, sagt Ashery. Am Stricken interessiert sie vor allem der Sound, aber auch, dass es eine kollektive Tätigkeit ist – wie zum Beispiel in Strickkreisen – die man aber doch in sich selbst vertieft ausführt.

Passing through metals Strick Performance Donaufestival

David Visnjic

Oreet Ashery geht durch die Reihen der Strickenden.

Prisma des Präsens?

Zwischen kontemplativ-leise und markerschütternd-intensiv bewegten sich auch die Konzerte des zweiten Festival-Wochenendes. Die deutschen Elektronik-Superstars Mouse on Mars bauen ihre Alben aus hunderten Soundschnipseln zusammen, aus Stimmen, zerhäckselten Beats und Mini-Samples, die sie Schicht um Schicht zu formwandlerischen Tracks verbinden. Als eine Art schillerndes Prisma des Präsens wollen sie ihre Arbeit aber nicht so recht verstanden wissen. „Ich glaube, da seid ihr den Kuratoren aufgegessen. Gegenwart ist ja immer endlos,“ meinen Jan St. Werner und Andi Toma im Interview. „Wir haben ja sonst nichts. Die Vergangenheit stellt sich auch nur so da, wie wir in der Gegenwart glauben, dass sie gewesen ist.“ Keine Frage, diese Theorie hat etwas für sich.

Mouse on Mars Donaufestival

David Visnjic

Mouse on Mars

Ihr aktuelles Album „Dimensional People“ führen Mouse on Mars in der Samstagnacht beim Donaufestival als Europapremiere mit Ensemble auf. Gerade wenn man ihre aufgekratzen, mitreißenden Liveshows kennt, ist man von ihrem Auftritt in Krems aber möglicherweise etwas enttäuscht. Es liegt wohl am Kontext, dass gerade hier eine neue Ernsthaftigkeit hervorgeholt wird, die eher an Wien Modern erinnert. Kunstvolle Beherrschung zahlreicher Instrumente und Rhythmen in Ehren, aber eine etwas weniger bedeutungsschwangere Show wäre erfrischender gewesen.

Die Mucksmäuschenstille im Stadtsaal versucht am Abschlussabend die britische Gitarrengöttin Scout Niblett aufzulockern. Songzeilen wie „No-one-puts-baby-in-a-cor-ner“ feuert sie, solo mit ihrer Gitarre, wie Gewehrsalven um sich, jedes Wort ein Treffer, während ihre messerscharfen Akkorde die Luft zerschneiden. Als die Spannung im Raum beinahe physisch greifbar wird, wechselt Scout Niblett zum Schlagzeug und covert lachend „We are the world“, das Publikum stimmt überrascht und aufatmend ein. Es ist ein Moment, so zweideutig wie die Musikerin selbst, die mit ihrer glasklaren, hohen Stimme und dem mädchenhaften Auftreten wie als Kontrast zu ihren zugekniffenen Augen und minimalistischen Song-Gerüsten über quälende Sehnsucht und Vergeltung auftritt. Ein Albtraum: Scout Niblett zur Feindin haben. Eine herrliche Erleuchtung, jedesmal wieder: Ihre Konzerte.

Scout Niblett Donaufestival

David Visnjic

Scout Niblett

Viel ist noch passiert. Unter dem Titel „as waves go by“ fand am Sonntag im Forum Frohner etwa eine achtstündige Drone-Performance statt. Ab Mittag konnte man sich dort als Gegenpol zum strahlenden Sonnenschein draußen in einem dunklen Raum auf den Boden legen und der geduldigen Zerdehnung der Gegenwart durch verschiedene KünstlerInnen wie Chra oder John Silver beiwohnen.

In der Minoritenkirche nebenan spielte Haley Fohr unter ihrem Alias Circuit des Yeux melancholische Kunstlieder voll dunkler Schönheit. Die junge, in Wien lebende Stuttgarterin Veronika König alias FARCE zeigt bei ihrem Überraschungs-Konzert im Rahmen der Reihe Stockholm Syndrome, warum sie zu den am heißest gehandelten Newcomerinnen der heimischen Popszene gehört: Schmerzensvoller Pop, Ahnungen von Noise und Experiment, an deren Abzweigung Farce sich aber immer für die tanzbarere, euphorischere Spielart entscheidet.

FARCE Donaufestival

David Visnjic

FARCE in der Festival-Zentrale bei Stockholm Syndrome

Bei den poppigeren Performances des Wochenendes, etwa Jakuzi, Molly Nilsson oder Deerhoof, konnte man mitunter ein Aufatmen wahrnehmen. Das Publikum des Donaufestivals ist offen für und versiert im Erspüren von Brüchen, Verdichtungen und Vibrationen zwischen Kunstmusik, Noise und verbogenem Pop, und doch möchte man manchmal einfach die Hände in die Luft werfen und gedankenverloren tanzen, wenn am Ende eines Tages voll Performances, Panels und Avantgarde-Konzerten etwa Perc die Halle 2 mit extrahartem Industrial-Techno in ein Mini-Berghain verwandelt, oder DJ Floriano in der Festival-Zentrale in Gedenken an Philipp L’Heritier die Endorphinmaschine zwischen LCD Soundsystem, Justus Köhncke und Animal Collective anwirft.

Die Gegenwart geht weiter. Wir werden andere sein, wenn wir in zwölf Monaten wieder nach Krems pilgern und uns einen Stachel in den Alltag bohren lassen. Einzig insofern möge bitte alles beim Alten bleiben.

Circuit des Yeux Donaufestival

David Visnjic

Circuit des Yeux

Aktuell: