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Menschen und ihr Avatar in der Virtual-Reality Welt

BigscreenVR

Mit einem Handgriff in VR

Oculus Go ist Computer, Spielkonsole und VR-Headset in einem. Hält das mobile VR-Headset das Versprechen, Virtual Reality so zugänglich und unkompliziert wie nie zuvor zu machen?

Von Christoph „Burstup“ Weiss

„VR ist kompliziert.“
„VR ist teuer.“
„VR ist nur für Videospiel-Liebhaber interessant.“

Seit das Virtual-Reality-Revival 2013 begann, konnte man diesen drei Aussagen wenig entgegensetzen. Denn herkömmliche VR-Headsets wie Oculus Rift und HTC Vive müssen tatsächlich mühsam konfiguriert, Sensoren an die Wand geschraubt werden. Ein teurer, leistungsfähiger PC wird gebraucht. Für viele Anwendungen, die übers Spielen hinausgehen, sind Bildqualität und Komfort eher unbefriedigend.

Das Komplett-Set „Oculus Go“ will diese Probleme lösen und ist zum vergleichsweise niedrigen Preis von 219 Euro erhältlich. Es ist ein Standalone-VR-Headset, für dessen Betrieb weder ein verbundener PC, noch ein ins Gehäuse eingelegtes Smartphone notwendig sind.

Oculus Go

Oculus

Das „Oculus Go“-Headset

Ich war skeptisch, aber sehr neugierig. Angenehm überrascht war ich von der schnellen Lieferung: Kämpfte Oculus in den vergangenen Jahren öfters mit Pannen und Verzögerungen bei Verkauf und Vertrieb, so wurde das am ersten Verkaufstag bestellte Oculus Go innerhalb von drei Tagen geliefert - gerade rechtzeitig, um am Muttertag im Garten der lieben Eltern einen Versuch zu wagen.

VR im Grünen

Ich lege das Oculus Go auf den Tisch und erkläre kurz, worum es sich handelt. Der Vater interessiert sich am meisten dafür und fragt, was man damit tun kann. Ich frage ihn, ob er lieber Dinosauriern begegnen, die Internationale Raumstation ISS besuchen oder gemütlich am Strand sitzen will. Dinosaurier mag er nicht und in der Raumstation könnte ihm schwindelig werden, also entscheidet er sich für den Strand. Einen Handgriff später sitzt das Headset auf seinem Kopf. „Jöö, das Meer.“ Papa dreht sich um. „Da ist ein Boot!“ Dass während seines kurzen Strandausflugs in die virtuelle auch in der physischen Realität die Sonne scheint, erhöht die Immersion.

„Ich höre das Meer rauschen“, sagt Papa – der 3D-Audio-Effekt überrascht neben dem visuellen 360-Grad-Eindruck am meisten. Er kommt von unauffällig ins Headset eingebauten Lautsprechern, die man nicht ins Ohr stecken muss,

Elementarteilchen und Galaxien

Nach der positiven Reaktion des Vaters wird nun auch die Mutter neugierig. Ich beschließe, anstatt der angenehmen, aber doch etwas langweiligen Strandszene die App „Neos VR“ zu demonstrieren: eine Reise von der Welt der Elementarteilchen zu Atomen, Molekülen, DNA, Viren und einzelligen Lebewesen, hin zu Pflanzen und Tieren, dann zu Planeten, Sternen, Galaxien, Galaxienhaufen, Superhaufen und dem Galaxienfilament, der größten Struktur im beobachtbaren Universum.

Die Größenverhältnisse, die räumliche Tiefe und die 360-Grad-Umgebung in VR machen diese Reise zu einem beeindruckenden Erlebnis – und sie kann wahlweise in Form einer Führung oder selbständig im eigenen Tempo vorgenommen werden. Mutter, die sich schon immer für den Weltraum und Science Fiction interessiert hat, ist begeistert. Ich genieße, dass wir nicht verkabelt in einem Computerkammerl sitzen, sondern im Freien.

Soweit hat das Experiment mit der Familie gut funktoniert. Auch Brüder, Freundinnen und Freunde kommen im Laufe des gemütlichen Nachmittags im Grünen dran. Das Oculus Go ähnelt hinsichtlich seiner Benutzerfreundlichkeit einem iPad. Es liegt im Standby-Modus auf dem Tisch - wenn es gebraucht wird, setzt man es einfach auf, schon ist man in VR.

Das einstige Startup-Unternehmen Oculus, ins Leben gerufen durch eine Crowdfunding-Kampagne im Jahr 2012, gehört mittlerweile zu Facebook. Mark Zuckerberg glaubt an das Mainstream-Potenzial von Virtual Reality bzw. Augmented Reality. Sie sei „the next computing platform“, sagt er und denkt, dass eine Milliarde Menschen in den nächsten zehn Jahren zu VR-Usern werden.

Dass Virtual Reality auch eine weitere Möglichkeit für den Konzern ist, an Daten zu gelangen, versteht sich von selbst. Die Strategie, die Hardware vergleichsweise günstig zu verkaufen, aber mittels Apps Geld zu verdienen, ähnelt jener von Apple und Google bei deren Smartphone- und Tablet-Betriebssystemen.

Oculus Go Touch

Oculus

Der Controller des Oculus Go verfügt über ein Touchpad und drei Knöpfe

Content is king

Im Oculus-Store für das Go-Headset befinden sich zum Start mehr als 1000 Anwendungen und Spiele. Darunter sind Apps von Fernsehsendern und Medienunternehmen wie BBC, CNN, The New York Times und Arte – viel journalistischer Content also, 360°-Filme, VR-Dokumentationen und „Experiences“ – spielerisch gestaltete Reisen an Orte, die man sonst kaum betreten würde.

Virtual Virtual Reality

Virtual Virtual Reality

Eine der verschachtelten Welten des bizarren „Virtual Virtual Reality“

Auch das Angebot an Videogames ist für eine neu gestartete VR-Plattform vielfältig. Überraschend gut ist etwa das Spiel „Virtual Virtual Reality“: Absurder Humor und zynische künstliche Intelligenzen, die aus der Spieleserie „Portal“ sein könnten, treffen auf bizarr verschachtelte Realitäten, die an den Kinofilm „Inception“ erinnern. Weiters im Games-Angebot befinden sich beispielsweise das sehr gute Weltraum-Actionspiel „Endspace“, eine Multiplayer-VR-Version des großartigen Brettspiels „Catan“, das entspannende Angelspiel „Bait“, das Cyberpunk-Stealth-Game „République“ und das grafisch wunderschön gestaltete RPG „The Well“. Wer vorzugsweise mit anderen Usern plaudert, Filme ansieht und Casual Games spielt, ist mit den Social Apps „Altspace VR“, „Bigscreen“ und „vTime“ gut bedient.

Kino

BigscreenVR

Gemeinsam spielen oder Filme ansehen im virtuellen Kinosaal von „Bigscreen“

Ein vorinstallierter Webbrowser, der über das Hauptmenü des Oculus Go erreichbar ist, lädt zum Surfen und Ansehen von Youtube-Videos ein - wobei besonders hervorzuheben ist, dass dieser Browser von Anfang an jeglichen WebVR-Content korrekt darstellen kann. Die Pornoindustrie reibt sich bereits die Hände. WebVR ermöglicht die Nutzung von VR-Games im Browser, VR-Musikvideos, räumlichen Visualisierungen und Medienkunstprojekten aller Art. Bisher - mit Headsets wie Rift und Vive - war es relativ umständlich, diesen im Netz bereits vorhandenen Content in Firefox oder Chrome darzustellen. Mit dem Oculus Go funktioniert es quasi von selbst.

Weiters verfügt das (auf Android bzw. Linux basierende) Betriebssystem des Go über eine App namens „Oculus Rooms“ – ein virtuelles Heim, in dem man Freunde treffen, gemeinsam Videos ansehen und einfache Board Games spielen kann. Leider verfügen die „Rooms“ nicht über einen Webbrowser zum gemeinsamen Surfen (das funktioniert dafür aber in den Apps „Bigscreen“ und „Altspace“).

Im Gegensatz zu seinen großen Brüdern Rift und Vive verfügt das Oculus Go nicht über Positional Tracking. Man geht damit also nicht im Zimmer herum. Apps und Games werden im Sitzen oder Liegen konsumiert. Durch die virtuellen Welten bewegt man sich mit Hilfe des mitgelieferten Oculus-Controllers, der gleichzeitig Maus sowie Zeigestab mit Touchpad und Trigger ist. Wahlweise kann auch ein Gamecontroller via Bluetooth oder Kabel angeschlossen werden, wobei die meisten Games einen Xbox-One-Controller bevorzugen.

Positiv hervorzuheben ist, dass die Software des Oculus Go offener ist als etwa jene eines iPads oder iPhones. Über die USB-Schnittstelle können nicht nur Filme, Fotos und Musik auf das Headset geladen, sondern auch Applikationen via Sideloading installiert werden – dafür muss das Gerät lediglich in den Entwicklermodus versetzt werden. Die softwareseitige Offenheit des vergleichsweise günstigen Oculus Go könnte so zu einer lebhaften Homebrew- und Open-Source-Community rund um das Gerät führen, abseits herkömmlicher Vermarktungs- und Vertriebsmechanismen. Das wäre ein Gewinn für alle.

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