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Inner Tongue

Tobias Pichler

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Lass’ mich dir einen Gefallen tun

„Favours“ heißt das Debütalbum des Wiener Musikers Inner Tongue, man darf es durchaus als subtile Systemkritik verstehen. Abgesehen davon ist es ein geschmeidig-schönes Popalbum geworden.

Von Lisa Schneider

Beim Umzug helfen, auf die Kinder aufpassen, den Werkzeugkasten verborgen. Im besten Sinn ist das Leben voll solch kleiner Gefallen, die täglich ausgetauscht werden, für die man nicht bezahlt wird, zumindest nicht mit Geld.

„Favours“ nennt der Wiener Musiker Inner Tongue sein erstes Album; und mit diesen „Favours“ meint er genau diese Art von zwischenmenschlichem Tauschhandel, der keiner Währung bedarf. „Wenn es den Leuten gut geht, glaube ich, muss das Streben nicht durch Finanzen motiviert sein. Der ‚Favour‘, der Gefalle, ist eine wunderbare Sache, die nicht selbstverständlich ist, aber in unserer Kultur so stark verankert, dass wir es täglich tun. Tatsächlich ist das ein bisschen ein anderes System als das des Geldes, das dich entlohnt. Entlohnt wirst du dabei durch Liebe, Zuneigung, Freundschaft. Es ist eigentlich eine Art Antithese zum Kapitalismus.“

Ein Drama am Anfang der Karriere

Ein Ansatz, der auch sehr gut zum dramatischen Beginn der Musikkarriere von Inner Tongue passt. Musik hat er in einer Situation geschrieben, die gesundheitlich nicht einfach für ihn war; in der er mit der Idee abgeschlossen hat, Erfolg, auch finanziellen, mit Musik zu haben. „Ich konnte schreiben, was ich wollte, ohne Erwartungshaltungen befriedigen zu müssen. Und genau diesen Zugang haben wir jetzt auch ins Album hineinzubringen versucht.“

Vor einigen Jahren nämlich hat Inner Tongue gemerkt, dass etwas mit seiner Stimme nicht in Ordnung ist. Sie ist leiser und leiser geworden, bis sie schließlich ganz verschwunden ist. Dutzende Arztbesuche und falsche Diagnosen später wurde eine seltene Stimmbanderkrankung festgestellt, die eine Operation erfordert hat.

Im Schwanken zwischen Wach- und Schlafzustand kurz nach dem Aufwachen aus der Narkose kritzelt Inner Tongue - er darf noch nicht sprechen - Wörter auf das neben ihm bereitgelegte Blatt. Es sind Textfetzen eines Everything Everything-Songs, und gleichzeitig der Beginn von Inner Tongue, dessen Name von genau dieser Erfahrung herrührt.

Er schreibt seine Songs im Unwissen darüber, ob er je wieder wird singen können; das ist auch der schlichte Grund dafür, wieso bei seinem Songwriting die Melodie, die Harmonie, der Rhythmus so zentral sind. Es geht aber bergauf, die Stimme kommt zurück und fügt sich unglaublich gut hinein in die drei Songs der „Tz, Ka“-Debüt-EP. Drei feinst arrangierte Popsongs, gefühlsbetont umschmeichelt von eben der so kostbaren Stimme, weich und kraftvoll zugleich singt sie Zeilen, die zum Grübeln bringen, wie etwa: „The water is blue / so the sky is, too“.

Das war im Mai 2015, in dem Monat, in dem Inner Tongue auch unser FM4 Soundpark Act des Monats war. Und es war auch dieses Jahr 2015, in dem es so richtig losgegangen ist: Inner Tongue geht innerhalb weniger Monate mit Ghostpoet, Get Well Soon und - schöner geht’s fast nicht - Everything Everything auf Tour.

Experimentieren und perfektionieren auf Tour

Es sind aber auch aufreibende Monate, die zu zwei Jahren werden, während denen live oft auch schon Nummern ausprobiert werden, die sich später am ersten Album wiederfinden werden. So zum Beispiel am New Sound Festival, das damals noch in der Ottakringer Brauerei in Wien stattgefunden hat; ich kann mich noch sehr gut erinnern, einen Song im Set gehört zu haben, der mir noch unbekannt war, aber im Gedächtnis geblieben ist.

Cover Album "Favours" von Inner Tongue

Mount Silver Records / Caroline International

„Favours“, das Debütalbum von Inner Tongue, erscheint via Mount Silver Records / Caroline International.

„Water on the sun“ war die Zeile, die nicht mehr aus meinem Kopf wollte, eine Sehnsuchts-Melodie, die sich gegen die tosende Wall Of Sound zur Wehr setzt. Ein Zufall hat es ergeben, dass mir das Demo zum Song, er heißt „Underworld“ in die Hände gefallen ist. Ein Song, der von Liveset zu Liveset geschliffen wurde, um dann am Debütalbum „Favours“ zu landen; und darauf einer der schönsten überhaupt ist.

Es ist ganz große Songwriting-Kunst, die neben wenigen anderen hauptsächlich Win Butler hervorragend beherrscht: das Gefühl zu erzeugen, dass ein Song gleich drei sehr gute Popnummern in sich aufgesogen hat, Tempo, Rhythmus, Instrumentalisierung wechseln, Stimmung hoch und tief, laut und hibbelig und introvertiert-melancholisch. All das steckt in „Underworld“.

Unterwegs also entstehen viele neue Songs von Inner Tongue; unterwegs heißt natürlich mit seiner Band, mit seinen Freunden, seinem Kollektiv. Das sind Cornelia Jaušovec (Synth, Backing Vocals),Helmut Schwab (Bass),Florian Tiefenbacher (Drums, Percussions)und Philipp Wohofsky (Piano, Rhodes, Synth).
Immer ist die Rede von „ihm“, Inner Tongue; auf die Frage, ob es sich eigentlich um ein Soloprojekt handelt, muss er schmunzelnd mit „Jein“ antworten. „Ich als Songschreiber stehe schon vorne, schreibe das grundlegende Material, produziere. Aber es ist trotzdem die Band, die mit mir mitgeht, es gibt viel Feedback und Austausch. Die Sachen, die wir dann im Studio aufnehmen, sind geprägt von jedem einzelnen. Aber ja, trotzdem sind es Musikstücke, mit denen ich meine Zeit verbringe.“

Inner Tongue klingt nach Band

Es ist elektronischer Future-Pop („Next Life“), mal eher Neo-Soul-orientiert („Dig Deeper“), immer auch ein bisschen R’n’B-lastig. Und, er klingt nach Band. Er verlangt live auch das volle Band-Setting. Der Sound entsteht an der Gitarre oder am Klavier.

Diesen Prozess - einerseits das analoge Entstehen der Songs, andererseits das Live-Einspielen der Stücke mit Band im Studio - hat Inner Tongue von der EP zum Album beibehalten. Elektronik legt sich danach, wie ein dünner Mantel, über die Songs - und genau so macht es nach wie vor die Stimme. „Ich schreibe meine Songs immer noch so, dass sie auch ohne Stimme funktionieren könnten/sollten. Für mich ist es spannend, zu beobachten, dass, wenn das Gerüst erst einmal steht und ich beginne, drüberzusingen, sich die Stimme sofort ihren Platz nimmt.“ Das kommt besonders stark auf Songs wie „Teeth“ heraus, auf dem es zwei Protagonisten gibt: den Gesang und das Klavier. Es ist auch der älteste Song des Albums, der sich in einer - verglichen mit den anderen - sehr vereinfachten Version von Klavier und Rhythmus einbettet, ein Relikt aus alter Zeit, vor OP, Band, Tour.

LIVE

Gefeiert wird der Release von „Favours“ am 11. Juni im Wiener Porgy & Bess und am 13. Juni im Privatclub Berlin.

Wie zwischen analog und elektronisch verwischt Inner Tongue auf „Favours“ auch den Gegensatz von alt und neu: zwei Songs, die schon auf der Debüt-EP zu hören waren, haben ihren Platz auch am Album gefunden. Eine diesbezüglich kurz aufflammende Skepsis kann getrost beiseite geschoben werden: sie fügen sich wie abgemacht in den Popmantel ein, der „Favours“ ausmacht. „Uns war klar, dass wir bei einem Album auch etwas aus unserer kurzen Vergangenheit mitnehmen wollen. Wir hatten noch eine Vision zu erfüllen, eine Richtung abzuschließen, und der Weg zwischen EP und Album war zu kurz, um da in eine komplett andere Richtung zu gehen.“

Das Debütalbum ist fertig - es sind zwölf ausgesuchte „Favours“, die Inner Tongue seinem Publikum im Tausch gegen ihre Aufmerksamkeit schenkt. Gute Taten also statt Geld als Bezahlung. Klingt nach einem guten Konzept.

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