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Bonobo in der Wiener Arena

Franz Reiterer

In 90 Minuten um die Welt

Der britische Meisterproduzent Bonobo zeigt beim ausverkauften Open-Air in der Arena Wien, wie elektronische Musik mit analogen Instrumenten verpartnert wird – und man mit einem Konzert günstiger um die Welt reist.

Von Florian Wörgötter

Die Konzertreihe FM4-Indiekiste möchte ihr Publikum „auf eine Klangreise einladen, die durch feinste Sounds, Eklektizismus und die Liebe zur Musik besticht.“ Einen besseren Traumschiff-Kapitän als Simon Green aka Bonobo hätte man für den gestern anstehenden Trip nicht finden können.

Der britische Producer, DJ und Multiinstrumentalist zeigt knapp 3.000 Fans in der ausverkauften Open Air-Arena Wien, wie man die Nullen und Einsen der elektronischen Musik mit analoger Wärme belebt. Bonobo, die Galionsfigur des Innovationslabors Ninja Tune, sortiert Weltklänge wie Gamellan und Gnawa zu Downbeat, Nu-Jazz und Clubsounds – welche Kulturen in den Samples auch aufeinandertreffen, Bonobo macht daraus eine internationale Friedensgemeinschaft. Diesmal übersetzt er seine Beats mit einer sechsköpfigen Akustikband samt Sängerin in eine stimmige Rundreise.

DER FLIEGENDE KLANGTEPPICH

Der programmatische Opener „Migration“ setzt die Klangreise in Gang. Das gleichnamige sechste Studio-Album (2017) bestimmt auch den Großteil des Sets, auf dem er das Thema auf seine persönliche Sicht runterbricht. Die ersten Takte des unentschlossenen Pianos im dunklen Nebel vermitteln Unruhe und Ungewissheit vor dem Abheben im Flieger. Diese Anspannung löst sich – wie im Laufe vieler seiner Stücke – in befreiende Triebkraft auf, wenn man endlich vom Boden der Realität abhebt und den Ballast des Alltags zurücklässt. Bonobos Sound ist schwereloses Schweben in der Vogelperspektive. Von oben sieht alles eine Spur kleiner aus.

Auch Simon Green, 42, zog die letzten Jahre wie ein Nomade um den Globus. Während eineinhalb Jahren auf „The North Borders“-Tour (2013) war der Laptop sein Tonstudio. Durch Todesfälle in der Familie und Schattenseiten seiner sonnigen Wahlheimat Los Angeles stellte er sich vermehrt Fragen nach Heimat und Identität. Auf der Suche nach Antworten zog es ihn hinaus in die Wildnis, in die Berge und die Wüste. Bonobo nimmt uns heute abend auf diese Reise mit – klanglich und visuell.

VIRTUELLES ENTERTAINMENT

Das für den Grammy nominierte „Bambro Koyo Ganda“ pumpt marokkanischen Gnawa-Gesang mit Club-Beats auf. Der Afro-Latin-Breakbeat „We could Forever“ treibt den galoppierenden Pferden den Funk durch die Glieder. Währenddessen flimmern Landschaftspanoramen über die bühnengroße Breitwand: gefrorenes Eismeer, schneebedeckte Wälder, karge Steppen, verlassene Ruinen, glühende Kohlen und gleißende Lavaströme. Der Rote Faden: Ein Lichtstrahl, der uns wie der Regenschirm des Reiseführers den Weg weist. Die auf die Musik abgestimmten Visuals entstammen der kreativen Hand von Strangeloop, die auch schon für Pharrell Williams und Flying Lotus am Werk war.

Auf Hits seiner TripHop-Gründerphase der Nullerjahre müssen wir verzichten; Bonobo spielt ausschließlich Nummern der letzten drei Studioalben „Black Sands“ (2010), „The North Borders“ (2013) und „Migration“ (2017) und marschiert auch heute auf dem eingeschlagenen Kurs der elaborierten Elektronik, komplexen Arrangements, manchem Uptempo-Clubsound und Live-Instrumentierung.

ELEKTRONIK MIT INSTRUMENTEN

Bonobo steuert seine Kommandozentrale in der Bühnenmitte, umringt von seinem kompetenten Sextett bestehend aus Schlagzeug, Gitarre, Trombone, Trompete, Saxofon/Querflöte und E-Piano. Seine Hände fliegen über einen analogen Korg-Synthesizer und einen Midi-Controller, der weitere Samples auf zwei Laptops am Boden ansteuert. Oder er erzeugt mit Sticks auf einem Midi-Drum-Pad virtuelle Schlagzeug-Sounds am Computer.

Immer wieder zupft Bonobo auf seinem E-Bass geradlinige Basslinien, während sein Fuß am Pedal den nächsten Loop auslöst. Manchmal passiert auch alles gleichzeitig. Seine Band begleitet ihn dabei nicht bloß, sondern geht mit ihm eine Synthese ein und wird zum gleichwertigen Partner erhoben. Sängerin Szjerdene nimmt sich mit ihrem souligen Gesang jedoch sehr zurück. Ein Ausbruch hätte ihr genauso gut gestanden wie es das bunte Midi-Blumenkleid getan hat, mit dem sie sich deutlich von den Herren in ihren Schwarz-Weiß-Outfits abgehoben hat.

LAUT RIESELT DER SCHNEE

Zum Schluss beim Song „Kerela" kommt noch ein Knalleffekt, den Bonobo eigentlich nicht nötig hätte: Dampfschwaden blasen einen weißen Konfettisturm übers Publikum hinweg. Jedes groß wie ein halbes Wuzelpapier; in Summe der geschätzte Jahresverbrauch aller Raucherhöfe Österreichs. Es ist schön anzusehen, wie sich das Arena-Publikum minutenlang in eine Schneekugel verwandelt, während am Bildschirm die Glühwürmchen tanzen. Dem Publikum taugt’s, ein weiterer Schuss wäre nicht notwendig gewesen.

Nach gut eineinhalb Stunden watet Bonobo nach zwei Zugaben von der eingeschneiten Bühne. Er hinterlässt keine großen Worte, dafür einen perfekt choroegraphierten Abend wie ihn nur ein DJ gestalten kann.

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