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Buchcover: Comic: zwei Menschen in einem Wald

Carlsen Verlag

Gezeichneter Grusel

In der neuen Comicreihe „Die Unheimlichen“ werden Gruselgeschichten neu interpretiert. Nicolas Mahler zeichnet Elfriede Jelinek, Lukals Jüliger widmet sich Edgar Allen Poe und Isabel Kreitz setzt sich mit Sarah Khan auseinander. Über Grusel, Vampire, Zombies und Camgirls.

Von Zita Bereuter

Unheimlich ist für Nicolas Mahler etwas, was nicht erklärbar ist. Etwas, was man sich eher vorstellt. Etwas, das man nicht richtig einordnen kann. Beim Zeichnen von Gruseligem sollte man seiner Meinung nach nicht zu sehr in Details gehen. Zu konkreter Grusel funktioniere nicht.

Details gehen auf Kosten des Geheimnisvollen. „Grusel hat schon was mit Unkonkretem zu tun, das man sich vorstellt. Sonst wäre es kein Grusel, sondern Schocks, wenn man konkret etwas grausliges zeichnet.“

Auch der Berliner Zeichner Lukas Jüliger setzt auf Reduktion. Je weniger Information, desto mehr Identifikationsfläche sei möglich, erklärt er.

Die beiden wurden von Isabel Kreitz eingeladen. Für die Hamburger Illustratorin und Autorin Isabel Kreitz stellt das Zeichnen von Gruselgeschichten einen besonderen Reiz dar. Sie ist die Herausgeberin der Comic Reihe „Die Unheimlichen“. Von ihr ist auch einer der eben erschienenen drei Bände: „Den Nachfolgern im Nachtleben“ nach einer Kurzgeschichte von Sarah Khan. Daneben hat Lukas Jüliger die Erzählung „Berenice“ von Edgar Allen Poe adaptiert und Nicolas Mahler widmet sich Elfriede Jelineks Text: „Der fremde! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs“.

Klassische und moderne Schauergeschichten werden in dieser Reihe von deutschsprachigen Zeichnern neu adaptiert. Allen gemein ist, dass es Graphic Novels, also abgeschlossene Geschichten sind, sie umfassen wie traditionelle Comicalben exakt 64 Seiten, sind kunstvoll gefertigt und zweifärbig – eine Reduktion , die „ökonomisch super“ sei, erklärt Nicolas Mahler. „Weil man sehr viel schwarz einsetzen kann. Im besten Fall stellt man sich in dem Schwarz etwas vor.“

Lukas Jüliger: Berenice

Berenice, die Cousine des Ich-Erzählers, wird im Original von einer mysteriösen epilepsieartigen Krankheit befallen. Mysteriös ist auch der Ich-Erzähler. „Die Geschichte schleicht so vor sich hin – es baut sich sehr viel auf. Man weiß nicht recht, wo es hin geht“, erklärt Lukas Jüliger seine Faszination für die Geschichte. „Es gibt dieses Element der Besessenheit und das ganze kulminiert am Ende in einem grausigen verstörenden Akt, das fand ich spannend.“

Lukas Jüliger lässt die Geschichte in der Gegenwart spielen. Das erinnert an einen Manga und spielt auch mit Cosplay. Seine Berenice ist ein Camgirl: Sie zeigt ihr Leben im Internet – mit einer Webcam Live gestreamt. Das Camgirl-Element gebe viel her für das Motiv der Besessenheit. „Dass man sich jemanden im Computer anschaut und sich vielleicht in diesen Menschen verliebt, ohne dass dieser Mensch von einem weiß.“ Das Unheimliche, Bedrohliche und Verstörende – gerade auch in Beziehungen - schwang schon in Lukas Jüligers Debütcomic „Vakuum“ mit. „Beziehungen haben einfach das Element des Bedrohlichen. Man weiß ja nicht, was wird und wie es läuft, es kann ja durchaus Unheilversprechend sein.“

Nicolas Mahler: „der Fremde! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs.“

In dieser Erzählung von Elfriede Jelinek aus dem Jahr 1968 erscheint ein mysteriöser Fremder in einem kleinen Dorf auf dem Land. Dass dabei ein Vampir vorkommt, erzeugte bei Nicolas Mahler umgehend Bilder, Versatzstücke, die es in Vampirfilmen gibt: Ein Dorf, Dorfbewohner, jemand wohnt weit entfernt, ein Wirtshaus. „Irgendwas stimmt nicht.“

Das Cover von „Der Fremde!“ erinnert stark an den alten Vampirfilm Nosferatu. Nicolas Mahler war früher fasziniert von den klassischen Bildern aus alten Vampirfilmen. Stundenlang habe er sich Standfotos von Schlüsselszenen angeschaut. Jetzt endlich könne er dieses Nerdwissen einsetzen.

Nachdem er zuletzt den massiven Klassiker „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust adaptiert hat, war die Textauswahl bei Jelineks nur 13 Seiten umfassender Erzählung sehr viel einfacher. Bei einigen Sätzen hätten sich Bilder geradezu aufgedrängt. Diese habe er dann notiert, die Dramaturgie und den Bilderfluss entwickelt und gezeichnet. Pro Seite ein Bild mit einem Textzitat. Typisch sind die minimalistischen Figuren und auch der trockene Humor. Der sei schon im Originaltext. Und Humor sei da hilfreich. „Weil wenn es nur wieder eine x-beliebige Vampirgeschichte wäre, würde ich das auch hinterfragen – warum macht man das? Je öfter schon was da war, desto mehr ladet es ein, das in einer Weise zu überhöhen.“

Isabel Kreitz: „Den Nachfolgern im Nachtleben"

Während sich Lukas Jüliger mit seiner Adaption von „Berenice“ sehr weit vom Original entfernt, hält sich Isabel Kreitz sehr eng an die Vorlage „Die Gespenster von Berlin“ der jungen Deutschen Autorin Sarah Khan.

Diese Zombiegeschichte spielt im gegenwärtigen Berliner Nachtleben. Selbstverliebte Szenemenschen wollen herausfinden, ob das Nachtleben in den Achtzigerjahren besser war, und graben zu diesem Zweck eine Leiche aus. Das wirklich Gruselige ist weniger der Zombie, als die eigentlich durchschnittlichen und unsympathischen Protagonisten – eine kleine Gesellschaftskritik mit viel Wiedererkennungswert.

Insgesamt zehn Bände sind von „Die Unheimlichen“ geplant, halbjährlich soll eine neue Folge erscheinen. Ende Oktober dann „Das Wassergespenst von Harrowby Hall“ adapiert von Barbara Yelin.

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