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Screenshot aus "Detroit: Become Human"

Sony Computer Entertainment / Quantic Dream

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Aufstand der Androiden

In nur 20 Jahren könnte ein ständiges Koexistieren von Mensch und Android zum Alltag gehören. Das wirft ethische, soziale, wirtschaftliche und politische Fragen auf. Wie instabil das unsere Gesellschaft machen könnte, damit beschäftigt sich das aktuelle Blockbuster-Game „Detroit: Become Human“.

Von Robert Glashüttner

Es sollte mehr um die inneren Werte gehen, heißt es bei romantischen Beziehungen oft. Auch bei Robotern und Androiden geht es in unserer gegenwärtigen Gesellschaft kaum noch um optische Merkmale. Unser neues Narrativ ist das, was hinter der Hülle aus Elektronik und Plastik steckt: die künstliche Intelligenz und die Gefahr, die von ihrer rasanten Weiterentwicklung ausgeht.

Hier bin ich Mensch

Die klüger und selbstbewusst werdenden Androiden haben ihre Wurzeln in der alten Geschichte vom Golem, der erst aus Lehm geformt wird und dem anschließend eine Seele innewohnt. Es ist die Geschichte über Viktor Frankenstein, der aus einzelnen Stücken ein lebendiges Wesen erschafft. Und natürlich ist es auch die Geschichte der Figur Data aus Star Trek: The Next Generation, die ethische und philosophische Debatten über die manchmal unklar verlaufenden Grenzen zwischen Person und Produkt evoziert. Data selbst ist dabei stets von der Sehnsucht getrieben, immer menschlicher zu werden.

„Detroit: Become Human“ ist exklusiv für Playstation 4 erschienen.

Beide Perspektiven, also die des Menschen und die der menschlich werdenden Maschine, sind in dieser Konstellation gleichermaßen interessant. Bei der einen steht die faszinierende Frage im Mittelpunkt, wie empfindsames, selbstreflexives und von Motivation getriebenes Leben überhaupt entsteht. Bei der anderen geht es darum, wie wir Menschen mit dieser neuen Spezies Mensch (oder etwas Mensch-Ähnliches) koexistieren wollen und werden. Dass Technologie und Wirtschaft meist schneller fortschreiten, als es das gesellschaftliche, soziale und politische Gefüge erträgt, ist eine Tatsache. Demnach ist es nicht unwahrscheinlich, dass uns Menschen das Thema künstliche Intelligenz schneller überrumpeln wird, als uns lieb ist.

Screenshot aus "Detroit: Become Human"

Sony Computer Entertainment / Quantic Dream

It’s alive!

Genau in dieses durchwachsene Koexistieren von Mensch und Maschine in einer nahen Zukunft fügt sich „Detroit: Become Human“ ein, der neue interaktive Film des französischen Spieleentwicklerstudios Quantic Dream. Es ist eine zugespitzte Erzählung, die mutmaßt, was wäre, wenn eine zynische, vom Leben überforderte und von Technologie verwöhnte Großstadtgesellschaft auf revolutionsdurstige Roboter trifft.

Im Jahr 2038 sind Androiden für viele die perfekten Servicekräfte, die nicht nur einkaufen, putzen und die Kinder abholen, sondern auch für sexuelle Dienstleistungen optimiert sind und häusliche Gewalt erst mal apathisch über sich ergehen lassen. In Detroit, wo einst die Autowirtschaft der USA florierte und dann zusammengebrochen ist, blüht nun die neue und aufstrebende Industrie der Androiden. Dass aber die Idylle trügt, klopft uns das Spiel schon in der allerersten Szene mit dem Holzhammer ein: Da trifft ein Androiden-Cop auf einen wild gewordenen Artgenossen, der ein Kind als Geisel genommen hat und droht, sich mit ihm in den Abgrund zu stürzen.

Screenshot aus "Detroit: Become Human"

Sony Computer Entertainment / Quantic Dream

Der Aufstand der Androiden ist das eindringlich servierte Thema von „Detroit: Become Human“. Durch einen nicht näher erklärten Softwarefehler werden aus Maschinen nach und nach menschliche, fühlende Wesen, die sich nicht länger unterjochen lassen wollen. Wir begleiten drei Androiden auf ihrem Weg zur Selbstbestimmung: den bereits erwähnten Cop namens Connor sowie die beiden Haushaltskräfte Kara und Markus. Connor wird einem grantigen Kriminalbeamten zugewiesen, Kara einem drogensüchtigen Arbeitslosen und Markus einem gutmütigen, alten Maler, der ihn ermutigt, seine Persönlichkeit zu ergründen.

Wir spielen abwechselnd Szenen der drei Figuren und können die Umgebung untersuchen, Gegenstände benutzen und mit anderen Figuren sprechen. In vielen Situationen müssen wir durch unsere Entscheidungen – oft in Sekundenschnelle - beeinflussen, wie die Story weitergeht. Um beim vorigen Beispiel zu bleiben: Wollen wir den Geiselnehmer besänftigen, auf ihn schießen oder ihm gleichgültig gegenübertreten? Auf Dialogszenen folgen oft Actionszenen, wo es dann darum geht, möglichst rasch bestimmte Tasten oder Tastenabfolgen zu drücken. Wirkliches Scheitern oder Game Over gibt es allerdings nicht. Auch Hauptfiguren können sterben und das Spiel geht weiter – nur sind dann natürlich bestimmte Abschnitte im Game nicht mehr zugänglich.

Wilde Mixtur aus Filmgenres

Um zu veranschaulichen, wie viele Möglichkeiten wir pro Szene tatsächlich haben, wird danach immer ein Fließdiagramm eingeblendet, das alle möglichen Verzweigungen und natürlich auch unsere jeweiligen persönlich getroffenen Entscheidungen anzeigt.

Die Szenen selbst sind inhaltlich bunt zusammengewürfelt: Bei Kara und dem von ihr beschützten Mädchen Alice geht es um Familie und Flucht, mit Markus durchleben wir Revolution und Terrorismus, und Connor ist die ideologisch gebeutelte Androiden-Zweitbesetzung von „Mission: Impossible“. Die Stimmungen in den Szenen haben eine hohe Bandbreite, die von herzzerreißenden Mutter-Kind-Dialogen bis hin zu verstörenden Body-Horror-Einlagen reicht. Generell ist Subtilität keine Stärke von „Detroit: Become Human“: Für Ambivalenzen bleibt beim ständigen Zähnefletschen zwischen den beiden Fronten keine Zeit.

Screenshot aus "Detroit: Become Human"

Sony Computer Entertainment / Quantic Dream

Größtmöglicher Produktionsaufwand

Bei der Entwicklung des Spiels hat man heftig geklotzt: Hunderte Seiten Drehbuch wurden geschrieben, Dutzende SchauspielerInnen haben monatelang im Motion-Capture-Studio performt und rund 200 EntwicklerInnen waren vier Jahre mit der Fertigstellung des Spiels beschäftigt.

Doch so eindrucksvoll die aufwendige filmische Inszenierung von „Detroit: Become Human“ präsentiert wird, so plakativ wird der Kampf zwischen Mensch und Maschine erzählt. Die plötzliche und massive Integration von Androiden in alle sozialen und beruflichen Lebenswelten wirkt unglaubwürdig. Ebenso wirkt der allzu rasche Aufstand der nunmehr menschlichen Roboter gehetzt. Der Übergang von der emotions- und motivationslosen Maschine hin zum rebellischen Quasi-Menschen benötigt hier eine nur ganz kurze Entwicklungsphase; später genügt es, wenn Markus als der Heiland durch die Straßen schreitet, andere Androiden am Arm packt und ihnen „Erwache!“ zuflüstert.

Zwingendes Setting

Die Film-Spiel-Hybriden von Quantic Dream und Firmenleiter David Cage sind seit jeher bekannt dafür, auf kurzweilige, action- und emotionsgeladene Inszenierungen zu setzen. Das Thema künstliche Intelligenz und die Reaktion der Menschen darauf birgt dabei das bisher zweifellos dringlichste Setting und stellt sich damit über die Vorgänger: die eher durchschnittliche Krimigeschichte in „Heavy Rain“ (2009) und die verschwurbelt-spirituelle Coming-of-Age-Story „Beyond: Two Souls“ (2013). Spielerisch freilich hat sich in den letzten zehn Jahren kaum etwas verändert.

„Detroit: Become Human“ ist eine außergewöhnliche Achterbahnfahrt, die man nicht missen möchte und die man sich früher oder später zumindest ein Mal in einem Durchgang zu Gemüte führen sollte. „Detroit“ ist trotz der erzählerischen und spielerischen Durchschnittlichkeit ein Erlebnis, das wegen des brisanten, aktuellen Themas noch länger im Kopf nachhallt und deshalb einen relevanten Platz in der Gameskultur einnehmen wird.

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