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Marilyn Manson am Novarock 2018

Patrick Wally

nova rock

Wenn der Teufel einschläft

Marilyn Mansons überanstrengtes Set am gestrigen, ersten Abend des Nova Rock Festivals. Und was sonst noch passiert ist.

Von Lisa Schneider

T. S. Eliot hätte sein weltberühmtes Gedicht „The Waste Land“ wohl nach den Weiten des Nova Rock Festivals im Burgendland benannt, hätte er es nicht schon 1922 geschrieben, hätte er nicht als amerikanischer Staatsbürger gelebt. 433 Zeilen hat das Gedicht, ungefähr 500 Mal mehr Menschen pilgern jedes Jahr wieder, und heuer zum 14. Mal, vor die Bühnen der Pannonia Fields, Nickelsdorf. „Waste Lands“ nämlich, so sieht es hier aus, nicht im schönen, eher im wüsten Sinn, es hat geregnet seit Mittwoch, auch am Donnerstag, dem ersten Festivaltag, tröpfelt es noch.

Macht nichts, Späne werden aufgeschüttet, hargesottene Nova Rock-BesucherInnen, die mittlerweile gefühlt alle hier sind, haben die Gummistiefel dabei, die alte Jean an den Beinen, die Haube auf. Zu Nova Rock-Zeiten bleibt man nicht wegen des Wetters zuhause.

Publikum am Novarock 2018

Patrick Wally

Anreisetag ist Mittwoch, so richtig los geht’s am Donnerstag, mit dem besseren Wetter und den Bands. Um 14.00 eröffnet eine junge, frische, so eine „band to watch“ die Blue Stage, eine der beiden Riesinnen am Nova Rock. Die Band heißt Starcrawler, es ist ein Punk-Glamrock-Quartett aus dem sonnigen L.A., die sich den Frust über die fehlende Wärme mal einfach so aus den Gitarrensaiten, Boxen und Mikros prügeln. Elton John hat ihren ersten Song „Ants“ in seiner Radiosendung Rocket Show auf Beats 1 gespielt, Dave Grohl sie zu seinem eigenen Festival eingeladen. Außerdem stolpert in einer dunklen Spelunke in besagtem Sonnenstaat Ryan Adams über die Band, lässt nicht weniger als diese Worte kurz später auf Twitter über sie los: "One single show in a weird alleyway and I might as well have been seeing KISS playing on the moon.”

Starcrawler am Novarock

Patrick Wally

KISS, Sterne, Ryan und einige Monate später ist das selbstbetitelte Debutalbum im Kasten, das die Band live einspielt - und es ist auch so eine dieser Bands, die man am besten eigentlich live erleben sollte. Arrow de Wilde, Sängerin von Starcrawler, deren Vater Aaron Sperske schon Drummer bei Ariel Pink und Father John Misty war, stellt ohne Schatten familiärer Vergangenheit ihre eigene, schräg-verquere Show auf die Bühne. Man möchte ihr im ersten Augenblick helfen, sie aufheben, bis man versteht, dass sie gern da unten liegt, am Boden, während sie singt, sich wälzt, sich das Mikrokabel gefährlich nahe um die Handgelenke schnürt.

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Pizza, Ryan Adams und Austria. Die Band Starcrawler im Wordrap mit Lisa Schneider.

Zwischen den Gitarrenriffs kreischt ihre Stimme nach oben, dann verlieren sich ihre Augen wieder im Nichts, lethargisch in die Ferne starrend, und plötzlich durchzuckt es sie wie ein Stromstoß, es geht von vorn los, der Punk, der Schweiss, hinaus damit. Diese Band ist so jung, drei der vier Mitglieder noch nicht in ihren 20ern angekommen, und liefert genau den Drive, den man aus diesen Jahren auch selbst kennen will; brennend, berstend, und schade, dass sich erst so wenige Leute vor die Hauptbühne bewegt haben. Aber gut, es ist 14.00, Zelte müssen aufgestellt werden. Und immerhin brauchts auch ein bisschen Zeit, Körperschmuck und -pflege vor den Gigs zu betreiben.

Publikum am Novarock 2018 2

Patrick Wally

Landesgenossen Black Stone Cherry aus Kentucky schließen wenig später an der Red Stage an, es ist, passend zum Nova Rock-Genre-Crossover-Gedanken eine Mischung aus Hard, Heavy, Schweiß und mit Reggae vermischte Hiphop-Vibes. Passt in die nicht vorhandene Spätnachmittagssonne, die man sich hier zumindest hinter den Wolken vorstellt, Bikinitops sind da, Badehose, oben ohne überall, es ist Festivalzeit. Wer fragt da nach den Temperaturen, puh, ja, auch wenn die gerade mal um die 20 Grad geschwebt sind.

Dead Cross am Novarock 2018

Patrick Wally

Auch mittlerweile Legende Corey Taylor führt es wieder einmal zurück aufs Nova Rock, wie oft er hier mit Slipknot aufgetreten ist weiß ich nicht, mit seiner zweiten Band Stone Sour wohl doch etwas weniger. Es ist die zartere, weichere seiner Bands, wenn auch weit entfernt von Samt und Seide: zwischen glasklaren Balladen („Through Glass“), und Slipknot’scher Anleihe („Get Inside“) haben Stone Sour am Anfang ihrer Karriere zwischen zwei Polen getanzt; mittlerweile spielen sich Stone Sour mehr am Mittelweg ein, das aktuelle Album „Hydrograd“ will beides vereinen, das Böse und das Gute, das tut nicht wirklich gut. Veranschaulicht am besten auch durch das eher nur schemenhaft gute Video zur Single „Song 3“.

Das gestrige Set ist in Ordnung, es ist teilweise sogar hervorragend gespielt; Corey Taylor außerdem ganz „man of the people“, selbst im Nova Rock-T-Shirt gekleidet ist ein charmanter Frontmann. Gut platziert im Tagesablauf: ein kleines Warm-Up, auf das, was später hoffentlich noch heißer wird.

Stone Sour am Novarock 2018

Patrick Wally

Jetzt Kraftklub aus Chemnitz, die Strizzi-Bande, die erklärtertweise „nicht nach Berlin“ will, wie liebenswerte Gockel rotjackettiert über die Bühne stolziert, hüpft, springt. Man muss sie lieben oder hassen.

„Ich wär gern weniger wie ich, ein bisschen mehr so wie du“, das ist der Sprechchor, den man sogar nach vielen Litern diverser Flüssigkeiten noch schnell mitgrölen kann; in der offensichtlichen Schlichtheit ihrer Kunst liegt bei Kraftklub gleichzeitig die Praktikabilität wie die Rafinesse. Sie singen von den einfachen, oft gehörten Weisheiten, die deshalb nicht weniger wahr sind; das Miteinander, das warme Gefühl. Teilen wir uns die Songs, den Schweiß, das Glück und den Gatsch. Es ist das Aufbegehren gegen Konsum und Globalisierung, gegen die Niederstampfung der großen Punkwerte ihrer Jugend, und das in ihrer ganz eigenen linkisch-liebenswerten Art trotziger Großmäuler.

Kraftklub am Novarock 2018

Patrick Wally

Es geht bei Kraftklub aber nicht nur um die Songs, die mögen nicht überdurchschnittlich herausragend sein; die Performance aber ballert das ganze noch einmal in andere Höhen. Es drückt, es schiebt, der Frust, aber vor allem der Spaß will hinaus, das spürt die Band, das spürt vor allem aber das Publikum. Als zum allkraftklub’schen Abschluss der Show noch eine kleine Beistell-Bühne, auf der die Band quasi durch ihr Publikum rudert, ausgepackt wird, ist die Euphorie dann grenzenlos.

Ihre Berlin-Hymne ertönt, nein, auch das Nova Rock will nicht nach Berlin, es ist zwar matschig, aber es ist auch sehr schön hier. Stage diving nach Hause, auf die Hauptbühne, bald nach Graz, wo sie am 23. 8. die Kasematten bespielen; und am 24. 8. kommen sie dann in die Arena Wien.

Marilyn Manson am Novarock 2018

Patrick Wally

Fast pünktlich zur Geisterstunde ist er da, der dunkle Fürst, Marilyn Manson, für viele trotz immer schwarzer Pose die Lichtgestalt ihrer nostalgisch angehauchten, vielleicht jetzt schon etwas verklärten Metal-Jugend. Die schon etwas reiferen BesucherInnen, vielleicht sogar Fans der ersten Stunde, der Klassiker, die sich durch seine Karriere ziehen, der „Dope Show“, des „Irresposible Hate Anthem“. Klassisch holt uns Marilyn Manson gestern mit den Worten „We love hate / we hate love“ zurück in seine verschrobene Welt, in der alles Kopf steht, wir landen schließlich alle mal in der Hölle. Das Set ist eine Hitlist, das macht Spaß, gerade am Nova Rock Festival, wo nicht nur Teile des Publikums, sondern gern auch die Headliner schon das etwas höhere Alter erreicht haben dürfen. Eine Nostalgieshow also, deren Konzept funktioniert, die aber an der Praxis scheitert: Brian Warner wirkt kraftlos, abgekämpft, die hohen Töne wollen nicht mehr, manchmal versagt ihm die Stimme gänzlich.

Der Wavebreaker ist zuerst dicht, dann nur mehr locker gefüllt, vorne gibt’s Gerangel, böse Zungen würden es den „Mitleids-Moshpit“ nennen. Auch als großer Fan muss man sich eingestehen, dass es hier leider stimmt, die fetten Jahre sind vorbei, und auch das aktuelle Album mit erstaunlich schlechten Songtiteln wie der Lucifer-Anspielung „Say10“ machen das alles nicht besser. Es ist ein schöner Slot, der Headliner des ersten Abends, nachdem die Toten Hosen abgesagt haben; ab geht Manson von seiner Kanzel vielleicht aber mit ähnlich schalem Mundgeschmack wie sein Publikum, das war zu wenig, zu gewollt, zu angestrengt. Wie schon nach dem Auftritt im Wiener Gasometer letzten November bleibt hier eigentlich nur noch festzuhalten, wie gut, ja erleichternd es ist, dass Marilyn Manson seinen Kultstatus früh schon in Zement gemeißelt hat. Der bröckelt zwar, aber hält am Schluss.

Der erste Abend ist vorbei, es folgen noch drei weitere - und eine schöne Nachricht vor dem Zubettgehen: Die Ärzte, ihrer und auch vieler anderer Ansicht nach die beste Band der Welt, ist der erste offiziell bestätigte Headliner fürs Nova Rock 2019.

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