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Schweiz gegen Serbien, Xhaka gegen Milinkovic Savic

APA/AFP/Patrick HERTZOG

Blumenaus WM-Journal

Das Ende des begnügenden 1:0 und der Adler-Konflikt.

Endlich ein Tag ohne 1:0, ohne feige Favoriten. Und endlich wieder ein Tag mit einem jetzt schon legendären Match, der Fehde um den albanischen Adler.

Von Martin Blumenau

Es gab bereits zehn davon, innerhalb nur eine Woche. Zehn 1:0-Spiele, die entweder mit Glück in den letzten Minuten (drei) oder mit deutlichem arbeitsverweigernden Zurückschalten nach der Führung (sieben, vier davon big names, die es besser können sollten) erwirtschaftet wurden. Das sind Matches, wie sie der Fußball nicht braucht. Oder nur am Rande hinnimmt.

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Das sich-begnügende 1:0 aber war in der ersten WM-Woche prägend, vorherrschend und so unangenehm dominant wie der Geruch in der U-Bahn Station am Stephansplatz.

Heute war es damit vorbei. Und ich glaube daran, dass die drei Partien dem Turnier einen Ruck in eine andere, weniger stinkige Richtung geben werden. Denn sowohl Brasilien als auch Nigeria wurden für ihr Nachsetzen nach dem 1. Tor mit einem höheren Sieg belohnt.

Es lässt sich ohnehin nicht nachvollziehen, was eine bewusste Zurücknahme nach einer Führung bringen soll: vielleicht werden ein paar körperliche Reserven geschont - aber der psychische Stress, den minutenlanges, halbstündiges oder über eine Stunde langes angstbesetztes Vorsicht-Spiel auslöst, ist damit nicht aufzuwiegen. Wer sich über einen längeren Zeitraum verbiegen, verkrampfen und verstellen muss, kriegt einen Knacks ab und wird die nächste Stress-Situation dann keinesfalls locker wegstecken.

Tschutti Heftli Matchplakat Brasilien Costa Rica

Tschuttiheftli

Vor allem für Favoriten, die meist mit Spielern bestückt sind, die derlei aus ihren Vereinen nicht kennen, ist eine solche Zurücknahme zutiefst kontraproduktiv. Teams wie Frankreich oder Spanien, die sich selber als Titelanwärter sehen, zwacken da einen Teil ihrer eigenen psychischen Basis weg.

Im Gegensatz dazu ist der Belohnungsfaktor eines befreienden Sieges nach fortgesetzter Anstrengung ein echter Freisetzer von Glücks- und Selbstbewusstseins-Hormonen. Neymar hat das Nachsetzen (und sein daraus entstandenes eigenes Tor) womöglich von seinem Starrkrampf befreit. Zumindest hat er geheult wie ein Kleinkind, und das ist gut so. Genauso hat sich das Team von Nigeria aus einer spielerischen Verzagtheit, also einer veritablen Kollektiv-Depression befreit, und durch dieses Herauskitzeln eines freudigen Erlebnisses zumindest eine Chance im direkten Finale gegen Argentinien zu bestehen.

Der beste Grund gegen ein rein absicherndes Spiel nach einer knappen Führung ist aber immer noch der Grundgedanke von Fußball; an legendären Auseinandersetzungen beteiligt zu sein. So wie das heute Abend die Mannschaften von Serbien und der Schweiz taten, ganz bewusst.

Das Match war bereits im Vorfeld zu einer Fehde um kulturelle Hegemonien und politische Fehden geworden. Serbiens streng nationalistischer und regierungsnaher Verband hatte verbal scharf gegen die aus ex-jugoslawischen Ländern stammenden Secondos der Schweiz geschossen. Und davon gibt es einige: Dzemaili ist gebürtiger Mazedonier, Seferovic Bosnier, Drmic und Gavranovic sind Kroaten, Coach Petkovic ist in Sarajewo geboren. Und Granit Xhaka, Behrami und Shaqiri sind Albaner, genauer gesagt Kosovaren, Behrami und Shaqiri auch gebürtige.

Tschutti Heftli Matchplakat Serbien Schweiz

Tschuttiheftli

Nun existiert der Kosovo jedoch im serbischen Denken nicht: er ist nur eine autonome Provinz. Dass der Kosovo nicht mehr von der serbischen Zentrale verwaltet, regiert oder sonstwie bestimmt wird, dringt in diese Irrationalität nicht durch. Die Mehrheit der Staaten der Welt hat den Kosovo anerkannt: egal. Der Kosovo ist unveräußerbar und überhaupt, die Schlacht am Amselfeld, und dann wird es blut-und-boden-politisch bist in die allertiefsten Untiefen unbewältigter Geschichte und gruseliger Nationalismen.

Die drei Kosovaren haben sich in das Geplänkel hineinziehen lassen und damit die Fehde erst möglich gemacht. Und es war auf dem Platz zu spüren, von Anfang an - nicht nur wegen der Pfiffe der serbischen Fans, sondern auch in der Spielanlage der beiden Teams: das war Kampf um jeden Schritt; um jeden Fußbreit Gras, um jeden Tritt. Da herrschte kein geselliges Miteinander von hochbezahlten Profis, die sich von den großen Klubs kennen und mögen, da war Abneigung und Verachtung zu spüren. Und dementsprechend wurde gespielt. Ohne Rücksicht auf sonst gern beachtete Details wie Wirkung, Optik, Symbolik, Dinge, die jeder Profi durchaus im Blick hat und sei er noch so peripher.

Bei der Fehde zwischen Serben und Schweizer Kosovaren samt Freunde (und gefühlt waren alle mit an Bord, bis hin zu Kapitän Lichtsteiner) ging es 90 Minuten lang darum zu gewinnen, den Gegner wegzudrängen und in jeder Situation den eigenen Vorteil auszuspielen; ohne Vorbehalte und Bedenken.

Daraus entwickelte sich ein atemberaubendes Match, ein loderndes Feuer an Strafraumszenen im Minutentakt. Es war das aufregendste seiner Art seit dem 3:3 zwischen Spanien und Portugal. War es dort die Qualität, die hohe Kunst, war es hier die direkte Ansprache, quasi der Blick in das Stammhirn des Spiels.

Und die Vogel-Geste, die Shaqiri und Xhaka nach ihren Toren in die Menge deuteten, das ist knallhart politisch, das ist der albanische Doppelkopf-Adler und das ist das schlimmste was man tun kann an Provokation. Wobei es klar war, dass es so oder dann eben andersrum enden würde. Bei einem serbischen Siegtor wäre eine andere, genauso provokante Geste durchs Stadion geflogen.

Solange diese im Kern kriegerischen Handlungen sich auf die Sport-Stadien beschränken und dort eine Ersatz-Handlung setzen, macht diese Verlagerung von archaischen Fehden aber sogar ein wenig Sinn, auch politisch gesehen. Besser es werden Bälle geschossen als bullets.

1. Runde
Costa Rica: Serbien 0:1 Review
Brasilien : Schweiz 1:1 Review
2. Runde
Brasilien : Costa Rica 2:0
Serbien : Schweiz 1:2 Review
3. Runde
Serbien : Brasilien 0:2
Schweiz : Costa Rica 2:2

Gruppe E

Brasilien 2 1 0 5:1 7
Schweiz 1 2 0 5:4 5
Serbien 1 0 2 2:4 3
Costa Rica 0 1 2 2:5 1
Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D
Russland Portugal Frankreich Argentinien
Saudi-Arabien Spanien Australien Island
Ägypten Marokko Peru Kroatien
Uruguay Iran Dänemark Nigeria
Gruppe E Gruppe F Gruppe G Gruppe H
Brasilien Deutschland Belgien Polen
Schweiz Mexiko Panama Senegal
Costa Rica Schweden Tunesien Kolumbien
Serbien Südkorea England Japan

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