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Interpol Arena 2018

Franz Reiterer

Der Traum ist aus

Die Band Interpol aus New York City hat in Wien ihr abgebrochenes „Turn on the Bright Lights“-Konzert vom Vorjahr nachgeholt. Diesmal ohne Gewittersturm. Aber leider auch sonst ohne große Lichtblicke.

Von Alexandra Augustin

Epischer ist ein Konzert wahrscheinlich auch noch nicht abgesoffen: Als die New Yorker Band Interpol letztes Jahr im August die Open Air Bühne in der Wiener Arena betritt, gehen sich nicht mal acht Klagenummern aus. Ein schneidend heißer Sommerabend endet in einem aufbrausenden Gewitter und heftigem Regen, mitten in der Nummer „Stella Was a Diver and She Was Always Down“. Die großen Emotionen der Vorfreude spiegelten sich wohl auch im Wetter wieder. Menschen flüchten nass bis auf die Knochen in die Konzerthalle der Wiener Arena, die sich zu einem schwülen, feuchten, viel zu grell beleuchteten Kessel entwickelt. Ein Baum knickt irgendwo lautstark um. Große Gefühle. Große Erwartungen. Große Enttäuschung.

Einen Nachbericht und Fotos vom damaligen abgebrochenen Gewitter-Konzert von Interpol gibt es hier.

Versucht haben sie es damals: Interpol haben die Nummer acht des geplanten Sets sorgfältig und brav - in schwarze Anzüge gehüllt wie gewohnt - durchgespielt. Danach haben sie die Bühne wie gebeutelte, durchnässte Hunde verlassen. Nicht einmal dreißig Minuten mit Interpol. Ja, auch Rock’n’Roll Stars sind nicht unverwundbar. Der Gewittersturm, der größte Feind von Sicherheitsvorschriften, Effektpedalen, Frisuren und teuren Lederschuhen: Lichter aus, Thunderstruck, over and out.

Turn off the Bright Lights

Wenn Bands anfangen, ganze Alben in chronologischer Reihenfolge der Tracks und in voller Länge auf die Bühne zu bringen, dann sind das im besten Fall grandios durchkonzipierte Konzertmomente, wie bei The National, vielleicht eine Album-Release-Show von Courtney Barnett oder wahlweise ein Geniestreich der Melvins. Im schlimmsten Fall elendig verglimmende Popsternchen in einer grotesk anmutenden Revue, irgendwo in einer blutleeren Mehrzweckhalle zwischen Reno und Wiener Neustadt. Auch Rockstars müssen manchmal essen, was den dafür meist sehr hohen Ticketpreis leider trotzdem nicht immer rechtfertigt.

Das Spektrum des Pop und der damit gekoppelten, kollektiven Gefühlswelt vieler Menschen ist naturgemäß ein breites. Das hätte für Interpol letztes Jahr bedeutet, ihren Musikfans der ersten Stunde, mit ihren ersten kleinen Schrammen vom Leben und einem latenten Hang zum Jammertum über das eigene Älterwerden mal wieder einen so richtig guten Abend zu bescheren. Eine Portion verklärte Nostalgie, Erinnerungen an bessere Tage in schlechten Zeiten, dazu der Soundtrack zum eigenen Lebensabschnitt im Ohr: Dazu lässt sich auch gut ein Glas zuviel trinken und eine Zigarette rauchen. Vielleicht auch drei.

Interpol Arena 2018

Franz Reiterer

And some people say it’s just rock’n’roll...

Denn diese Band hat nicht nur die New Yorker Musikszene und Konsorten bis nach Übersee in den jungen 2000er Jahren einschneidend geprägt, sondern auch eine (damals) junge Generation an MusikliebhaberInnen berührt wie nur wenig andere ihrer Zeit. Das legendäre Album „Turn on the Bright Lights“ von 2002 war und ist ein tiefschwarz funkelnder Rohdiamant. Eine der besten Platten der Dekade und der letzten 20 Jahre. Der Post Punk-Sound der kaputten, nordenglischen 1980er-Jahre, wiederbelebt durch vier junge Männer aus New York City. Ein wärmender, schwarzer Flicken für das eigene zerrissene Herz. Eine Platte, die man sich wie eine wohlige Decke umlegen kann, zu der man immer wieder zurückkehren kann. Musik, verbunden mit einer glaubhaften Haltung.

Eine Platte genau zur rechten Zeit: Der Börsencrash, die fallenden Twin Towers, ein Stolpern auf den Scherben und Trümmern, hinein ins neue Jahrtausend. Die düstere Soundästhetik von Interpol, die (damals vier) Protagonisten in ihren schwarzen Anzügen mit Hang zum Understatement und die unverkennbare, melancholische Bariton-Stimme von Paul Banks: Show me something real! Auch wenn bei Interpol musikalisch und performancetechnisch natürlich jedes Detail immer schon sehr schlau durchgedacht war. Und die leidige Frage nach Authentizität beantwortet sich im Pop ja ohnehin selten. Die roten Scheinwerfer auf eine leere Leinwand gerichtet, als Coverbild auf der Debütplatte: Die Band ist die Projektionsfläche ist deine Band.

Oder wie es der gewisser Musikjournalist namens Scott Seward einst in einer Rezension für The Village Voice sehr schön auf den Punkt gebracht hat: „If I like them because they remind me of eating bad bathtub mescaline in the woods and listening to Cure singles, well, that’ll do. You might like them for completely different reasons.

Aus den unterschiedlichsten Gründen sind Interpol bis heute eine Band, zu der Fans pilgern, wenn sie ruft. Und auch zum Ersatztermin ließ sich niemand lange bitten - übrigens der erste Termin der aktuellen Tour.

...but does it get you right down to your soul?

Vienna, we are coming to finish what we started. Love and umbrellas, Interpol“, hat die Band vor einiger Zeit schon auf ihrer Facebookseite verlautbart. Aber ein Jahr später ist freilich alles etwas anders. Interpol haben eine neue Platte namens „Marauder“ gemacht, die Ende August erscheint. Den ersten Vorgeschmack gibt es schon: Ein solides, kompaktes, im treibenden 4/4 Takt dahin peitschendes Stück namens „The Rover“.

Es wird aber nicht die erste Nummer des Abends sein, auch wenn das natürlich nur konsequent wäre. Es ist auch keine Nummer von „Turn on the Bright Lights“. Eröffnet wird der Konzertabend mit „Not Even Jail“ von der, ja, auch recht guten, zweiten Platte „Antics“. Dazu betreten die seit 2010 als Trio operierenden Mitglieder von Interpol, inklusive zwei Begleitmusiker, die Bühne. Paul Banks in der Mitte, mit Sonnenbrille im Gesicht, dabei ist es gerade Dunkel geworden. Aber ja, Attitude. Die schwarzen Slim Fit Anzüge sitzen noch immer passabel, wenngleich man sich etwas an Männer in den mittelbesten Jahren erinnert fühlt, die den Anzug ihres Abschlussballs mal wieder aus den Kasten holen, um zu kontrollieren, ob er noch passt. Kaum eine Regung, kaum ein Wort, außer einer knappen, auf deutsch ausgesprochenen Begrüßung und ein kurzer Kommentar über das diesmal wohlgesonnenere Wetter. Und nach einem kurzen Begrüßungsjubel ist auch seitens des Publikums erst einmal wenig Begeisterung spürbar.

Wo ist die Euphorie

Das Konzert wirkt seltsam aus der Zeit gefallen. Es funktioniert irgendwie nicht. Die Band wirkt nicht eingespielt. Was dann folgt, ist recht gut in der Kategorie „Best of“-Show zu verbuchen, einmal quer durch den Backkatalog hindurch: „All the Rage Back Home“ von der Platte „El Pintor“ von 2014. Dann wieder ein Zeitsprung zurück zu 2004, „C’mere“ von „Antics“. Danach „The Scale“ von der 2007er Platte „Our Love to Admire“. Eigentlich keine schlechte Idee so viele gute Songs aneinander zu stückeln. Sämtliche Fanherzen freut das auch, doch wirklich ergriffen wirkt trotzdem niemand. Der Funke zündet nicht. Es fehlt der Spannungsbogen.

Lieblingssongs sind im besten Fall wie gute Freunde, die einen durchs ganze Leben hindurch begleiten. Wenn das so ist, dann sind diese Lieder wie alte Freunde, die man sehr lange nicht mehr gesehen hat. Die man plötzlich wieder trifft und weiß, dass sie einem einmal viel bedeutet haben. Und die einem trotzdem im besagten Moment fremd und fern erscheinen.

Interpol Gitarrist Arena 2018

Franz Reiterer

Crazy like the good, old days

Erst bei Song Nummer Sieben, „The New“ vom Debut „Turn on the Bright Lights“, wird die Sonnenbrille abgenommen und die Bühne versinkt im roten Lichtermeer. Danach bei „Anywhere“ taut auch die Menge etwas auf. „Rosemaaaary“ jauchzt das Publikum mit bei der Nummer „Evil“. Hände gehen in die Luft bei „Slow Hands“. Und bei „Pioneer to the Falls“ und „Obstacle 1“ gibt’s dann doch diesen speziellen Moment, wo einem das Herz aufgeht und man in der Musik versinkt. Crazy like the good old days, endlich. „Obstacle 1“ ist überhaupt die beste Nummer des Abends. Dieser brillante Song mit seinem wunderbar poetischen Text, über den man stundenlang Abhandlungen in diversen Onlineforen nachlesen kann. Doch auf diesen Moment hat man immerhin 16 Nummern warten müssen.

Die neue Platte „Marauder“

Die eine von zwei neuen Nummer des Abends ist das besagte „The Rover“, der Rumtreiber. Ein Lied, das gut auf große Festivalbühnen passt. Aber Interpolsongs hören, das tut man dann doch meist allein zuhause, in den eigenen vier Wänden, und dort wirkt die Nummer auch irgendwie deplatziert. In Onlineforen bezeichnen Fans das neue Lied als „lukewarm“, außerdem klinge Paul Banks irgendwie wie Ozzy Osbourne. Dabei hat diese Nummer, genauso wie die neue Platte, sehr wahrscheinlich mehr zu bieten, als man vielleicht auf den ersten Blick erkennen mag.

„The song is about a cult figure who is the rover. He is, not unlike most cult figures, a very narcisstic powerful person, who to some may cause chaos, to others absolute oneness“, erzählt Interpol-Schlagzeuger Sam Fogarino im FM4-Interview. Das lässt, zum aktuellen Empire Me-Zeitgeist passend, viele Interpretationsmöglichkeiten offen. Man möchte mehr erfahren.

Die neue Platte „Marauder“ drehe sich um das große Überthema „Scheitern“, so Sam Fogarino. Der Mensch, der sich im Spiegel selbst erkennen muss, und sieht, dass er kein guter ist.

“Marauder is a facet of myself. That’s the guy that fucks up friendships and does crazy shit. He taught me a lot, but it’s representative of a persona that’s best left in the song. In a way, this album is like giving him a name and putting him to bed”, so Sänger Paul Banks in einem Pressetext. Und auch das klingt natürlich spannend, genauso wie die Backgroundinformationen zur Entstehung der Platte: Der Wechsel zu einem neuen Produzenten, Dave Fridmann. Der hat schon den Sound der Flaming Lips, von MGMT und von Sleater-Kinney auf „The Woods“, mit der großartigen Nummer „Jumpers“, groß aufgeblasen. Aufgenommen in seinen Tarbox Road Studios, irgendwo in einem unendlichen Wald, in Upstate New York. Ein kleines Holzhaus auf einem Hügel, isoliert von der Außenwelt im Nichts, rundherum nur Bäume. Ja, hier lässt es sich gut laut jammern und schreien. Man möchte mehr von der neuen Platte hören, aber heute wird das nicht mehr passieren.

Interpol Arena 2018

Franz Reiterer

Come wait, it’s over

Und dann ist es auch schon wieder vorbei mit dem Konzert. Von allem ein bisschen, von allem zuwenig. Alle Lieder auf dem Präsentierteller serviert und trotzdem fühlt man sich hungrig zurückgelassen. Liegt es an den eigenen, überladenen Erinnerungen, die hier die Erwartungshaltungen zu hoch schrauben? Aber ja, soll ein Konzert nicht im besten Fall auch ein Ort sein, wo man in großen Emotionen schwelgen darf, ja soll?

Es ist jedenfalls, wie so oft, kompliziert.

Am Heimweg lachen Menschen wieder über die Geschichte vom Gewittersturm vor einem Jahr. Sie erinnern sich an die kleinsten Momente und alle bewegenden Details. Ob sie in einem Jahr von dem heutigen Abend noch sprechen werden? Das ist zu bezweifeln.

Die neue Platte „Marauder“ erscheint am 24. August auf Matador.

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