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Karas im Parlament

APA/HERBERT NEUBAUER

Erich Moechel

Kehrtwende bei Copyright im EU-Parlament

Die ÖVP-Abgeordneten werden im EU-Parlament überraschend für eine Debatte im Parlament samt neuen Änderungsanträgen stimmen. Der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas zu ORF.at: „Es sind noch viele Fragen ungeklärt.“ Eine breite Mehrheit gegen ein Durchwinken zeichnet sich ab.

Von Erich Moechel

Die Abgeordneten der ÖVP im EU-Parlament werden kommende Woche in Straßburg nicht für ein Durchwinken der Copyright-Richtlinie im Plenum abstimmen. Vielmehr trete man für eine vorherige Plenardebatte und die Möglichkeit zu Änderungsanträgen ein, hieß es auf Anfrage von ORF.at aus dem Büro des Abgeordneten Othmar Karas (EVP).

Am 20.Juni hatte der Rechtsausschuss noch mit 14 zu neun überraschend deutlich für die umstrittenen Upload-Filter und die „Linksteuer“ in der Richtlinie gestimmt.

Damit stellen sich die Abgeordneten der ÖVP gegen die von Berichterstatter Axel Voss (EVP) im Rechtsausschuss (JURI) vorgegebene Agenda, die Richtlinie im Schnellgang durch das Plenum bringen und im Trilogverfahren mit dem Ministerrat zu verabschieden. Das ist per se zwar ungewöhnlich, aber für diese umstrittene Richtlinie typisch. Wie die Abstimmung im Rechtsausschuss gezeigt hat, ziehen sich die Brüche auch durch die anderen Fraktionen.

Abstimmungsergebnis

Gemeinfrei

Bei der Abstimmung im Justizausschuss vor einer Woche hatten sich Brüche in den Fraktionen bereits abgezeichnet. Die beiden liberalen (ALDE) MEPs vertraten nicht die Position Angelika Mlinars, ebensowenig wie die beiden Pro-Stimmen der Sozialdemokraten zur Mehrheitslinie der SPE passen. Die beiden Abgeordneten der rechten ENF-Fraktion, der auch die FPÖ angehört, stimmten für die Richtlinie, die MEPs der FPÖ erheben hingegen schwerwiegende Einwände.

Große Mehrheit für Revision zeichnet sich ab

Als sich Mitte Juni im Netz verbreitete, dass auch die beliebten Memes plötzlich kostenpflichtig werden sollen, begann ein Proteststurm im Netz, der bis jetzt anhält.

Damit zeichnet sich eine große Mehrheit unter den österreichischen EU-Abgeordneten ab, die nächste Woche für eine Revision des Richtlinientexts und eine ausführliche Debatte im Plenum eintreten werden. Auch die EU-Abgeordneten der FPÖ treten gegen eine Mandatserteilung des EU-Parlaments zu sofortigen Trilogverhandlungen mit dem Ministerrat ein.

Die einzige Abgeordnete aus Österreich Im Rechtsauschuss, MEP Evelyn Regner (SPE) hatte schon dort gegen den Text der Richtlinie gestimmt, zwei ihrer Fraktionskollegen taten das Gegenteil. Ebenso verhält es sich mit der liberalen ALDE-Fraktion, deren österreichische Abgeordnete Angelika Mlinar tritt ebenfalls für Nichterteilung des Mandats nächste Woche ein, im JURI-Ausschuss hatten zwei Liberale gegen das Mandat gestimmt.

Abstimmungsergebnis

Gemeinfrei

Auch bei den Gegenstimmen im Justizausschuss ein ähnliches Bild: Die beiden MEPs der EFFD (UKIP und andere EU-Gegner) haben gegeneinander gestimmt, obwohl sie derselben nationalen Partei „Fünf Sterne“ angehören und überraschend haben sich die beiden MEPs des ECR (Rechtskonservative), die sonst zumeist der EVP folgen, hier enthalten.

„Wichtige Fragen ungeklärt“

„Es sind noch viele Fragen ungeklärt“, schrieb Karas an ORF.at. „Das Thema ist zu wichtig, als dass wir im Schnellschussverfahren den Ausschussbeschluss einfach durchwinken könnten. Wir wollen eine große Plenardebatte mit dem gesamten Parlament, bevor wir in die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten gehen.“ Damit tragen die MEPs der ÖVP, die diesen Beschluss gerade erst gefasst haben, der Welle an Kritik Rechnung, die von einer mittlerweile schier unüberschaubaren Zahl von Interessengruppen getragen wird.

Diese könnten unterschiedlicher nicht sein: Von Bürgerrechtsorganisationen über den Berichterstatter der Vereinten Nationen zur Meinungsfreiheit, die gesamte „Hall of Fame“ der Internet-Pioniere, Service-Provider, die aufstrebende europäische Digitalwirtschaft und nicht zuletzt die Autorinnen und Autoren, die tatsächlichen Urheber jener Artikel, für die von den Verlegern eine „Linksteuer“ erhoben werden soll. Seit sich zuletzt im Netz verbreitet hatte, dass auch die beliebten „Memes“ dadurch kostenpflichtig werden sollten, herrscht ein Proteststurm im Netz, MEPs aller Fraktionen werden seitdem mit Protestmails bombardiert.

Vorläufiges Fazit

Die ursprünglich bereits für Montag angesetzte Behandlung im EU-Parlament wurde mittlerweile auf Donnerstag nächste Woche verschoben, es ist nun damit zu rechnen, dass die Copyright-Richtlinie doch nicht im Schnelldurchgang verabschiedet wird. Angesichts der aktuellen tektonischen Bewegungen in der politischen Gemengelage kann dadurch zwar nicht direkt auf das Stimmverhalten der EU-Abgeordneten am Donnerstag schließen. Ein Trend ist es allemal und auch ein Beіspiel, wie das EU-Parlament funktioniert.

Auch wenn der EU-Kommission und dem Ministerrat, die bis jetzt alle EU-Regulationen initiieren, zu Recht vorgeworfen wird, weit mehr auf Lobbyisten der Industrie als auf die Benutzer zu hören, so ändert sich das, sobald die Richtlinie ins Parlament kommt. Je mehr MEPs sich damit befassen und je länger sie das tun, desto stärker wird der Gegenwind, vor allem wenn - wie im Fall der Copyright-Richtlinie - teilweise von falschen technischen Prämissen ausgegangen wird.

Der Österreich-Aspekt

Was Österreich anbetrifft, so ist dieser Schritt der österreichischen MEPs aus fünf Fraktionen, den wohl kaum jemand so erwartet hätte, angesichts der angespannten Situation im Wiener Nationalrat sehr bemerkenswert. Drei Stellungnahmen aus den anderen Fraktionen liegen bereits vor, an einer wird noch gearbeitet. Die bisher vorliegenden Antworten an ORF.at enthalten kaum parteipolitisches HickHack als vielmehr grundlegende Kritik von missachteten Bürgerrechten bis zur Dysfunktionalität. Letzteres will heißen: Die Verleger werden dadurch nichts lukrieren.

Im Follow-Up werden die Stellungnahmen der anderen vier Fraktionen im Detail veröffentlicht. Alle österreichischen MEPs, die ihre Statements für ORF.at bereits vor der überraschenden Wendung abgegeben haben, sind zu Addenda eingeladen.

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