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Japanischer Supermarkt

TORU YAMANAKA / AFP

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Mikrokosmos Supermarkt

Im kurzen Roman „Die Ladenhüterin“ der japanischen Autorin Sayaka Murata wird eine Supermarktfiliale zum Safe Space für eine junge Frau.

Von Christian Pausch

In Japan findet man sie an jeder Ecke: Convenient Stores - kurz und liebevoll Konbinis genannt. Sie haben meistens rund um die Uhr geöffnet, es gibt alles, was man ohne weitere Zubereitung essen kann, meistens in mundgerechte Häppchen verpackt. Außerdem alles, was man für den Haushalt braucht, aber auch hier immer in kompakter Form: winziger Rasierschaum, kleine Einwegzahnbürste, eine Einzel-Portion Waschmittel.

Genau in so einem Konbini spielt „Die Ladenhüterin“, der neue Roman von Sayaka Murata. Und die Autorin hat diesen Ort nicht zufällig als Schauplatz gewählt, hat sie doch selbst bis vor Kurzem in einem solchen gearbeitet.

Autorin Sayaka Murata.

Takuya Sugiyama

Autorin Sayaka Murata musste ihren Job im Konbini aufgeben, da er nach dem Erfolg von „Die Ladenhüterin“ Tag und Nacht von Fans belagert wurde.

Schon als Kind wird der Protagonistin Keiko Furukura bewusst, dass sie anders ist. In der Schule eckt sie mit ihren Ideen und Aussagen meistens an, genauso wie später am College. Ihren Eltern und ihrer Schwester bereitet sie deshalb unendlich viele Sorgen, was dazu führt, dass Keiko sich immer mehr in sich selbst zurückzieht.

In europäischen Breitengraden würde man Keiko wohl einfach als socially awkward bezeichnen. In Japan - also zumindest im Japan des vorliegenden Romans - wird sie aber als nicht funktionierendes Mitglied der Gesellschaft abgestempelt. Erst als sie eines Tages an einem Konbini vorbeikommt und sich kurzerhand für eine freie Stelle bewirbt und diese auch bekommt, scheint ihr Umfeld zufrieden zu sein.

Zum ersten Mal war es mir gelungen, am normalen Leben teilzunehmen. Als wäre ich gerade erst geboren worden. Mein erster Tag im Konbini war mein Geburtstag als normales Mitglied der Gesellschaft.

Schnell erkennt man als Leser*in, dass alles, was Keiko gebraucht hat, ein System aus Regeln ist, an das sie sich halten kann. Der Konbini dient der Autorin als Metapher für Japan, ein Land, in dem man ohne Probleme einzig und allein für den Job, die jeweilige Firma und deren Regeln leben kann, wenn man sich vom eigenen Dasein nicht viel mehr erwarten sollte.

Buchcover "Die Ladenhüterin"

Aufbau Verlag

Sayaka Murata - „Die Ladenhüterin“, 145 Seiten, ins Deutsche übersetzt von Murakami-Übersetzerin Ursula Gräfe, erschienen beim Aufbau-Verlag.

Es tut beim Lesen oft weh, wie sehr Keiko selbst verinnerlicht hat, dass sie nicht funktionieren würde, nicht fähig wäre normal zu leben, gäbe es den Konbini nicht. Gleichzeitig erkennt man nach und nach, wie wertvoll dieser kleine Supermarkt für sie ist, wie er ihr ein Gefühl des Dazugehörens verschafft. Über dreißig, kinderlos und als Ladenhilfe tätig zu sein scheint für Keiko kein Problem darzustellen, eher sogar ihren Idealzustand, wären da nur nicht ihre Freund*innen und die Familie:

Vor meinen alten Freundinnen behauptete ich, dass ich wegen einer chronischen Erkrankung zu schwach für einen richtigen Beruf sei und deshalb nur als Ladenhilfe arbeite. Im Konbini hatte ich gesagt, meine Eltern seien pflegebedürftig. Beide Ausreden hatte meine jüngere Schwester sich für mich ausgedacht.

Schwerwiegende Entscheidung

Mehr und mehr Ausreden beschwören auch entsprechende Fragen herauf und es kommt, wie es kommen muss. Ihr sorgfältig errichtetes Gebilde aus Regeln und Lügen beginnt zu wackeln. Also scheint es nur einen Ausweg zu geben: eine neue, größere Lüge muss her, die alle vorherigen in den Schatten stellt.

Als nicht mehr ganz so junge Frau im Konbini zu arbeiten ist nur gesellschaftlich akzeptiert, wenn man verheiratet ist und durch die gering geschätzte Arbeit den Ehemann finanziell unterstützt. Also beschließt Keiko sich einen Mann zu besorgen, mit fatalen Folgen.

Man musste die Dinge, über die andere sich wunderten, aus seinem Leben verbannen. Wahrscheinlich bestand darin die sogenannte Heilung.

„Die Ladenhüterin“ ist ein Roman über eine Gesellschaft, die Menschen schnell zu Außenseitern stempelt, aber auch ein Roman über die Konbinis, die kleinen Läden, die in Japan den gesellschaftlichen Alltag zu einem Großteil mitbestimmen und deren Angestellte kaum Beachtung oder Respekt erhalten. Allen voran ist es aber ein Buch über eine junge Frau, die sich nicht aufhalten lässt, ihr eigenes, wenn auch eigenwilliges Leben zu leben, die Geschichte eines ungewöhnlichen Empowerments.

Im System auf-, ja sogar unterzugehen ist alles andere als die Traumvorstellung vieler, aber Sayaka Murata zeigt mit ihrer kühlen Sprache einen Gegenentwurf zu dem, was als „normal“ gilt. Sie hält den Leistungsgesellschaften, in denen wir alle leben, einen Spiegel vor und regt damit zum Nachdenken an.

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