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Abgase strömen aus dem Auspuff eines Autos mit Dieselmotor

Jan Woitas/dpa-Zentralbild/

Erich Moechel

Erste Indizien für Software-Betrug der Autoindustrie bereits 2002

Drei Jahre lang hatte die Autoindustrie eine EU-Richtlinie zur Patentierung von Software in Autos vorangetrieben. Durch den Patentschutz - das stärkste aller Eigentumsrechte - wäre jeder Versuch einer Software-Analyse mit Strafen geahndet worden.

Von Erich Moechel

In Deutschland drohen Fahrverbote für ältere Diesel-PKWs, Audi-Chef Rupert Stadler sitzt seit Juni in U-Haft und die EU-Kommission hat ihre Kartellermittlungen gegen deutsche Autobauer ausgeweitet. Der mutmaßliche Großbetrug bei den Abgaswerten geschah bekanntlich mit einer verdeckt eingebauten Software, die den Motor drosselte, wenn er auf einem Prüfstand war. Die EU-Kommission ermittelt nun bereits 20 Jahre zurück.

Vor 16 Jahren startete eine EU-Richtlinie, die eine Analyse solcher Softwarefunktionen schwer bis unmöglich gemacht hätte. Obwohl Software in Europa explizit davon ausgenommen war (und ist), sollte sie unter Patentschutz gestellt werden können, wenn sie patentierte Hardware steuert. Drei Jahre lang versuchte die Kommission ab 2002 mit allen Mitteln, diese Richtlinie durchzubringen. Erst kurz vor ihrem endgültigen Scheitern 2005 stellte sich heraus: Die treibende Kraft hinter der Richtlinie waren nicht IT-Konzerne sondern die europäische Autoindustrie.

Europäisches Patentamt in München

CC BY 2.0 Oliver Kurmis - https://www.flickr.com/photos/kurmis/101721548/

CC BY 2.0 von Oliver Kurmis via flickr. In der Zentrale des Europäischen Patentamts in München liefen damals die Fäden zusammen.

Patentschutz gegen technische Analysen

Die Einführung von Softwarepatenten war Kernthema bei der Konferenz zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens im November 2000.

Patentschutz ist das stärkste Instrument der Eigentumsrechte. Es ist mit weitaus höheren Sanktionen belegt als etwa Copyrightverletzungen und diese Sanktionen greifen schnell. Das Re-Engineering einer patentgeschützen Erfindung und die Veröffentlichung dieser Ergebnisse hat sofort einstweilige Verfügungen zur Folge und ist mit hohen Strafen belegt. Software selbst ist nach EU-Recht bis heute nicht patentierbar und das hat einen einfachen Grund.

Während es von der Einreichung einer Patentschrift bis zur Erteilung im Schnitt etwa 18 Monate dauert, liefen die Update-Zyklen von Software schon um das Jahr 2000 im Halbjahrestakt. Damit stimmte eine zum Patent eingereichte Software nach 18 Monaten mit der aktuellen Version nicht mehr überein. Deswegen hatte Europa - anders als die USA - schon sehr früh entschieden, dass Software selbst nicht patentierbar sei. Diesen Konsens stellte die gerade einmal drei Seiten umfassende Richtlinie zur „Patentierung computerimplementierter Erfindungen“ im Februar 2002 plötzlich in Frage.

Patente auf Hyperlinks und Download-Balken

Als mit dem Boom des World Wide die sogenannte „New Economy“ der Dot.com-Blase gegen Ende der 1990er Jahre nach Europa überschwappte, kamen auch die US-Patente auf Software mit. Vor allem eingesessene Konzerne, aber auch die ersten Dot.coms, reichten erfolgreich Patentschriften ein, über die man heute nur den Kopf schütteln kann. IBM hielt ein Patent auf den Downloadbalken, also die grafische Darstellung des Download-Status einer Datei, Amazon verfügte bereits über ein Patent für „One-Click-Shopping“.

Romano Prodi

APA/Georg Hochmuth

Kommissionspräsident war damals der Italiener Romano Prodi (SPE). Die Mehrheit stellten nämlich die Sozialdemokraten, unter den wenigen konservativen Kommissaren war damals der Österreicher Franz Fischler als Landwirtschaftskommissar.

Die British Telecom wiederum hielt ein Patent auf Hyperlinks und hatte schon im Jahr 2000 versucht, von Internetprovidern Lizenzzahlungen für die Verwendung von Hyperlinks einzuklagen. Microsoft hatte die „Sudo“-Funktion zum Wechseln zwischen Benutzer- und Administratorrechten patentiert, die alle UNIX-Systeme bereits in den 80er-Jahren hatten. Unbekannte kleine Firmen klagten IT-Firmen wegen Downloadfunktionen im WWW. Die auf Kassensysteme in Supermärkten spezialisierte UNIX-Firma SCO erhob überhaupt gleich Patentanspruch auf Linux, ein anderes Unternehmen verfügte über ein Patent auf die grundsätzliche Funktionsweise eines Webshops.

Ende 2000 hatte die Protestbewegung bereit 55.000 Unterschriften gegen Softwarepatente gesammelt. 200 europäische Softwarefirmen schlossen sich den Protesten an

Die Gegenbewegung tritt auf

Die gesamte Open-Source Szene war da bereits in Aufruhr, die Electronic Frontier Foundation und Internetpioniere wie John Perry Barlow schalteten sich ein. Gewarnt wurde vor der Übernahme des nicht einmal zehn Jahre alten WWW durch Großkonzerne und der damit einhergehenden Zerstörung der jungen Internetkultur. Hätte auch nur einer der frühen WWW-Entwickler um Tim Berners-Lee ein Patent auf eine Basisfunktion des Netzes angemeldet, hätte sich das Web niemals so rasch und wahrscheinlich überhaupt nicht so weit entwickelt, so wurde allgemein gewarnt. Mit der rasant steigenden Popularität des Internets landete das Thema schließlich sogar in den Breitenmedien.

Und während die amerikanische Dot.Com-Blase gerade platzte, sprach sich auch die EU-Kommission immer öfter dafür aus, gewisse Patente auf Software unter bestimmten Bedingungen ebenfalls zuzulassen. Als in Europa jedoch langsam publik wurde, dass auch das europäische Patentamt schon 30.000 solcher Softwarepatente ausgestellt hatte, breitete sich auch hier unter Programmierern, Netzwerkern und der gesamten technischen Avantgarde im Internet Unmut aus. Auch in Europa wurden unter den offenbar bedenkenlos ausgestellten Patentzuteilungen dieselben Ansprüche auf „Erfindungen“ erhoben, die weder neu waren oder tatsächlich eine technische Komponente aufwieѕen.

Screenshot eines Dokuments

Public Domain

Patente auf Ideen, Methoden und Routinen

Wegen der heftigen Proteste kamen die Pläne vorerst vom Tisch, ein Jahr später, nämlich Ende 2001 begann jedoch die Diskussion über Software-Patente wieder von vorn

Patentiert wurden vielmehr Ideen, Methoden oder Herangehensweisen und Grundfunktionen des Internets bzw. des WWW. Quer durch die Technikerzunft stieg die Befürchtung, dass auch allgemein geläufige Programmierroutinen patentiert werden könnten und irgendein Konzern damit beginnen würde, auch darauf Lizenzgebühren zu erheben. Vertreter der EU-Kommission betonten hingegen immer wieder, dass die Patentpläne der Union völlig anders geartet wären und keineswegs dass WWW beträfen.

Das Europäische Patentamt (EPO) stellte hingegen umgerührt weiter „Trivialpatente“ aus, dieser Begriff kam damals langsam auf. Das EPO ist nämlich keine Institution der Europäischen Union und somit nicht direkt an die Beschlüsse der Union gebunden. Vielmehr geht das EPO auf das „Europäische Patentübereinkommen“ von 1973 zurück, das auch die Türkei und eine Reihe von Nicht-EU-Staaten unterzeichnet hatten. EU-Kommission und Parlament hatten und haben im Europäischen Patentamt also nicht das Sagen.

Die Trickserei der Kommission beginnt

Am 20. Februar 2002 war es dann soweit. Die EU-Kommission legte die erste Version der Richtlinie zu Softwarepatenten vor

Als die EU-Kommission im Februar 2002 ihre Richtlinie zur Patentierbarkeit computerimplentierter Erfindungen herausbrachte, herrschte Verblüffung. Der Text der Richtlinie umfasste gerade einmal drei Seiten, das war schon einmal äußerst ungewöhnlich für eine EU-Regulation. Der Richtlinientext selbst drehte sich ausschließlich um die Patentierbarkeit von nicht näher definierter Hardware mit integriertem Computer und war in der abstrakten technologieneutralen Brüsseler Technokratensprache gehalten.

Die wachsende Zahl der Kritiker ging davon aus, dass diese Richtlinie nur dazu diente, den Grundsatz der Nicht-Patentierbarkeit von Software In Europa zu kippen, um eine viel weitergehende Regelung nachfolgen zu lassen. Die EU-Kommission wiederum berief sich auf dringende Forderungen aus „der Industrie“ und einen diesbezüglichen Beschluss des Ministerrats, also der Mitgliedsstaaten, um „die europäische Industrie“ gegen Diebstahl geistigen Eigentums durch gewisse, fernöstliche Staaten zu schützen.

Zwischenbilanz Teil eins

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Erst bei den jüngsten Untersuchungen zum Dieselskandal in Deutschland kam zu Tage, dass auch die Betrugssoftware zur Drosselung der Motorleistung auf Prüfständen im Auftrag der Autobranche von den Elektronikzulieferern entwickelt wurde. Wie es die Autobranche schaffte, auch danach fast zwei Jahre lang völlig im Hintergrund zu bleiben und die EU-Kommission bis zur Selbstverleugnung drei Jahre lang immer wieder denselben Text vorlegte, den die Gremien des EU-Parlaments ebenso regelmäßig mit wachsenden Mehrheiten ablehnte; wie ausgerechnet die österreichische Wirtschaftskammer unter den ersten war, die sich auf die Seite der protestierenden Techniker stellten und andere nationale Wirtschaftskammern folgten - all das lesen Sie in Teil zwei, der am Mittwoch, 3. Oktober erscheinen wird.

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