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Noam Chomsky

APA/AFP/Heuler Andrey

„Man kann gewisse Sachen erreichen, wenn man sich für sie einsetzt.“

Der österreichische Blogger und Publizist Emran Feroz hat Noam Chomsky Interviewt - und der hat ihm alles erklärt. Jetzt ist dieses Interview zur aktuellen Lage pünktlich zu Chomskys 90. Geburtstag auch als Buch erschienen: „Kampf oder Untergang - Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen“

Von Boris Jordan

Er ist der Erfinder der „generativen Transformationsgrammatik“, die dem Menschen eine Art genetische Prädisposition zur Sprachfähigkeit konzediert, mit der er einen der wichtigsten Beiträge zum „amerikanischen Strukturalismus“ geliefert hat. Er ist Miterfinder der nach ihm benannten „Chomsky- Schützenberger-Hierarchie“ für formale Sprachen, die maßgeblich zur Entwicklung der Computerlinguistik beigetragen hat. Er war Professor für Linguistik auf der berühmtesten Technischen Hochschule der Welt, dem Massachusetts Institute für Technology (MIT). Er ist Träger der Ehrendoktorwürde von Harvard, Cambridge, Amherst, London, Bologna, Athen, Peking, Kalkutta und Zypern, Träger des Erich Fromm Preises und der Helmholtz Medaille, außerdem wurden nach ihm ein Asteroid und eine Programmiersprache benannt.

Dass Noam Chomsky vom Reader’s Digest in einem Ranking der „100 Most Trusted People in America“ - hinter Clint Eastwood und dem Unsterblichkeitsesoteriker Sanay Gupta - auf Platz 20 rangiert, dürfte ihn wohl weniger beeindrucken, auf einer Liste, die von Tom Hanks und drei anderen SchauspielerInnen angeführt wird.

Kritiker des Neoliberalismus

All das wäre wohl nicht ausreichend, damit die Welt Noam Chomskys 90. Geburtstag dieser Tage so prominent begehen würde. Der bekennende Anarchist und „meistzitierte Außenseiter der Welt“ gilt seit 50 Jahren als der prominenteste und schärfste Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik und der neoliberalen Weltordnung. Spätestens seit seinem Buch „Amerika und die neuen Mandarine“ (1969) vergeht kaum ein Jahr, in dem Chomsky nicht weltweit zitierte Analysen zum schlimmen Zustand der Welt und der (Mit-) Schuld der USA daran publiziert.

Zu nahezu jedem weltpolitisch relevanten Thema hat der Professor mit der sanften Stimme seine scharfen, teilweise zugespitzt-treffenden Kommentare losgelassen und dabei taktisch wenig Fehler begangen. Neben seiner höflich- bestimmten Art und seiner akribischen Medienarbeit hat vor allem eines dazu beigetragen, dass seine Stimme immer noch eine der meistgehörten geblieben ist: Eine wissenschaftliche Redlichkeit zieht sich auch durch seine Publikationen. Außer politikwissenschaftlichen Fachpublikationen oder offiziellen Stellen bemüht Chomsky nahezu ausschließlich die konservative Presse zur Untermauerung seiner - dann polemisch zugespitzt formulierten – Theorien und politischen Schlussfolgerungen. Wenn jemand Sätze formuliert, wie „Die Republikanische Partei der USA ist die gefährlichste Organisation der Welt" oder „Jeder Amerikanischer Präsident nach dem Zweiten Weltkrieg wäre erhängt worden, wenn die Nürnberger Prozesse auf ihn angewendet worden wären“, tut er gut daran, nicht irgenwelche Meinungsblogs von AktivistInnen, ja nichtmal Attac oder Occupy als Belegquelle anzugeben, sondern sich gleich auf die „Washington Post“, die „New York Times“ oder den „Economist“ zu beziehen. Und an das hält sich Noam Chomsky strikt. In Zeiten wo jeder, vom Präsidenten abwärts, irgendetwas daher plappert, ist das nicht gerade Nichts. Ebenso, wie es ihm stets gelungen ist, zu sämtlichen Ideologismen Distanz zu halten, als „Linker“ Kritik an der Sowjetunion und an China zu üben und als Kind osteuropäischer Juden einer der schärfsten Kritiker der israelischen Siedlungspolitik zu werden. Letzteres hat ihm auch den Vorwurf eingebracht, „jüdischen Selbsthass“ zu üben, was er in seinem neuen Buch lakonisch quittiert: „ich bin glücklich, mit Elijah, der sich dem schlimmsten König, der in der Bibel erwähnt wird, widersetzte, in Verbindung gebracht zu werden“

Ein Begleiter durch die weltpolitischen Brennpunkte

Für eben jenes Buch, „Kampf oder Untergang - Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen“, hat der österreichische Blogger und Journalist Emran Feroz Noam Chomsky in seiner neuen Wahlheimat Tucson besucht und ist mit ihm die brennendsten weltpolitischen Fragen der jüngsten Vergangenheit durchgegangen - die der greise Professor wie immer pointiert, souverän und faktenreich beantwortet hat. So ist dieses Buch - wie fast alle von Chomsky - ein Begleiter durch die weltpolitischen Brennpunkte der letzten Jahre: Klimawandel, Kriege, Terror, Religion, Finanzkrise, Ungleichheit und wie wenig der westliche Kapitalismus von selbst gegen all das zu unternehmen bereit zu sein scheint.

Buchcover: Noam Chomsky "Kampf oder Untergang"

Westend Verlag

Noam Chomsky - "Kampf oder Untergang - Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen. Noam Chomsky im Gespräch mit Emran Feroz, Westend Verlag, Frankfurt/ Main 2018

Obwohl die Klientelpolitik seines amtierenden Präsidenten für ihn keine Überraschung darstellt, findet Noam Chomsky vor allem zu Donald Trumps hartnäckiger Leugnung des von Menschen verursachten Klimawandels scharfe Worte: „Es fällt schwer diesen Zustand in Worte zu fassen. Der mächtigste Staat der Geschichte zeigt nicht nur kein Interesse daran, derartige existenzielle Bedrohungen [den Klimawandel] anzusprechen, sondern beschleunigt gleichzeitig die Zerstörung. All das geschieht nur, damit mehr Geld in bereits überfüllte Taschen wandert. Die geringe Aufmerksamkeit bezüglich dieser Realität ist ebenso schockierend. Ein weiteres Problem ist die Aufmerksamkeit , die Trumps Persönlichkeit geschenkt wird. Während die Medien nämlich vor allem auf ihn fokussiert sind, arbeiten Trumps Vertreter sehr intensiv daran, die Interessen ihres Klientel – die Reichen und Mächtigen - zu bedienen, während sie weiterhin die Werte der breiten Bevölkerung sowie zukünftiger Generationen zerstören.“

In Fragen der Migration gibt der Professor ein europäisches Beispiel: „Es war Papst Franziskus, der das Ganze auf den Punkt brachte, als er meinte, dass die Migranten nicht die Ursache der Krise sind, sondern deren Opfer. Warum betrachten wir es überhaupt als Krise, wenn zum Beispiel 8000 Opfer von Krieg und Zerstörung in Österreich ankommen, einem reichen und mächtigen Land mit acht Millionen Einwohnern? Andere Staaten, die weitaus weniger wohlhabend sind, nehmen vielmehr Geflüchtete auf. Im Libanon sind vierzig Prozent der Bevölkerung Geflüchtete, die von einem Verbrechen zum nächsten geflohen sind, etwa vor jenen, die kürzlich im Irak und in Syrien stattgefunden haben und dort weiterhin zum Alltag gehören.“

Außerdem spricht Noam Chomsky über die Voraussetzungen und die Mitschuld des Westens und seiner kolonialen Geschichte an der Ungleichheit der Welt, an der derzeitigen klimatischen Bedrohung und den daraus resultierenden Wanderbewegungen. Und er warnt vor der Möglichkeit, dass all diese Probleme zugleich auftreten und sich gegenseitig hochschaukeln könnten, was seiner Ansicht nach nicht nur in eine weltumspannende Katastrophe, sondern buchstäblich in das Ende jedes organisierten menschlichen Zusammenlebens münden würde.

Immer noch Optimist

Trotz seines täglich Brot gewordenen Zeichnens von düsterer Gegenwart und Zukunft ist Noam Chomsky mit 90 Jahren noch immer Optimist geblieben, mit einer nahezu rührenden Abwesenheit von jeglichem Zynismus und einem Vertrauen in die Bürgerrechtsbewegungen seiner Zeit:"[J]a die Zeiten sind unschön, aber es gibt auch Zeichen von Hoffnung. Man muss daran denken wie die Dinge gewesen sind und was in den letzten Jahren erreicht wurde. All dies geschah nicht einfach so, es war kein Geschenk des Himmels. Es geschah dank ernstem, hingebungsvollen Aktivismus, hauptsächlich durch junge Menschen […] Man kann gewisse Sachen erreichen, wenn man sich für sie einsetzt“

Wie eine Begründung eines langen Aktivistenlebens schließt auch dieses Buch: „Ich versuche lediglich, eine Art der intellektuellen Selbstverteidigung näherzubringen. Und ich meine damit gewiss kein akademisches Studium an der Universität. Dort wird so etwas nämlich nicht gelehrt. es geht mir vielmehr um die Entwicklung unabhängigen Denkens, und das ist gar nicht so einfach, wenn man alleine ist. Unser vorherrschendes System ist gut darin, die Menschen voneinander zu isolieren. Jeder ist allein, wie ein Hamster im Rad. [..] Man kann die Welt nicht alleine ändern.“

Noam Chomsky im Gespräch mit Emran Feroz auf You Tube:

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