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Fleabag Still

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Are you talking to me? Fleabag macht uns zu gar nicht so unwilligen Kompliz*innen

Phoebe Waller-Bridge ist das neue Wunderkind der Film- und Serienwelt. Sie schrieb so hochgelobte Serien wie „Killing Eve“ und „Fleabag“, war für die Titelrolle in „Doctor Who“ im Gespräch und wurde zuletzt gebeten, das Script zum neuen James-Bond-Film aufzupeppen.

Von Jenny Blochberger

Die zweite Staffel von „Fleabag“, das wurde bereits bestätigt, ist auch die letzte. Das mag Fans traurig stimmen, aber nur, bis man die letzte Folge gesehen hat – denn wenige Serienfinali lassen einen derart befriedigt zurück. Ganz schön vermissen wird man die unkonventionelle Heldin und ihre spinnerte Familie, das ja; aber wenn es denn zu Ende sein muss, dann genau so, wie es sich Serienerfinderin Phoebe Waller-Bridge ausgedacht hat.

„I have a real aversion to sentimentality, but I also really want to write about love and friendship.“
Phoebe Waller-Bridge

Fleabag, gespielt von Waller-Bridge selbst, ist ein Mistkerl. Sie spielt mit den emotionalen Bedürfnissen ihres sensiblen Boyfriends, kultiviert ihr gestörtes Verhältnis zu ihrer Familie und zieht jederzeit einen lustigen Sager echter Intimität vor. Ein klassischer Bad Boy – nur eben im Körper einer Upperclass-Frau Anfang 30, die in London ein Café mit Hamster-Motto betreibt. Ihre beste Freundin ist tot, ihre Schwester hochgradig neurotisch und ihr verhuschter Vater steht unter der Knute seiner neuen Lebensgefährtin, die die Kunst der passiv-aggressiven Herzlichkeit meisterlich beherrscht (Olivia Colman in Bestform). Interessantes Detail: nicht alle Charaktere haben richtige Namen, Fleabag selbst etwa oder auch Colmans „Godmother“. Dass mir das erst gegen Ende der ersten Staffel aufgefallen ist, ist ein weiterer Beweis für Waller-Bridges Talent für Dialoge, die trotz der Auslassung derart wesentlicher Informationen tadellos funktionieren.

Wir sind Mitverschwörer*innen

Der Clou ist, dass wir nicht nur Zuseher*innen sind, sondern so etwas wie die imaginären Freund*innen der Hauptfigur. Die vierte Wand wird nicht nur ständig durchbrochen, sie ist quasi nicht vorhanden. Fleabags Kommentare in die Kamera machen uns zu Mitverschwörer*innen, uns vertraut sie ihre innersten Gedanken an, wir kommen in den Genuss von witzigen One-Linern, die niemand anderer hört, wir erfahren es exklusiv, wenn sie unsicher oder wütend ist. Das ist ein brillanter Kunstgriff, der uns auf Fleabags Seite zieht und uns somit auch dranbleiben lässt, wenn sie sich grauenhaft danebenbenimmt – und das tut sie oft und mit mitunter katastrophalen Folgen.

Fleabag Still

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Nach der doch ein wenig schockierenden Auflösung der ersten Staffel hat Fleabag Sympathiepunkte auch dringend nötig. Und so beginnt die zweite Staffel mit einer in sich ruhenden, gelassenen Hauptfigur, die schnellem Sex erst mal abgeschworen hat und fest entschlossen ist, sich beim eleganten Abendessen mit ihrer Familie auf keinen Streit einzulassen. Wie das endet, kann man sich ausmalen. Eskalierende Familienessen sind ja ein derart beliebtes Klischee, dass man höchst misstraurisch auf Filmfamilien schaut, die etwa ein Thanksgiving Dinner hinter sich bringen können, ohne sich anzuschreien oder in Tränen auszubrechen. Waller-Bridge, die Meisterin der Worte, lässt sich die Gelegenheit zur Entgleisung natürlich nicht entgehen – aber wie sie es macht, ist großes Kino: jeder Satz für sich selbst erscheint relativ harmlos, aber aufeinander geschichtet wachsen sie zu einem monströsen Turm, der einfach umfallen muss. Wie er es dann tut, ist mindestens so unterhaltsam wie absurd.

Man darf Fleabag endlich auch mal richtig mögen

Zum Haupt-Cast gesellt sich in der zweiten Staffel ein unkonventioneller irischer Priester (Andrew Scott, Moriarty in „Sherlock“), der eine große Faszination auf Fleabag ausübt. Wie die Beziehung zwischen diesen beiden Charakteren ausgelotet wird, hat eine Tiefe und Zärtlichkeit, die man der Fleabag der ersten Staffel nicht zugetraut hätte. Es ist auch eine Wohltat, die Hauptfigur endlich mal richtig mögen zu dürfen. Fleabag ist in Staffel 2 weniger selbstzerstörerisch und weniger rücksichtslos und trotzdem nicht weniger auf Zack.

Die ebenfalls von Waller-Bridge geschriebene, preisgekrönte Serie „Killing Eve“ mit Sandra Oh hat Martina Bauer hier besprochen.

Auch die anderen Figuren machen Entwicklungen durch – zum Besseren (Fleabags Schwester Claire) oder auch zum noch Schlechteren, selbst wenn man das bei Claires schleimigem Ehemann Martin nicht für möglich gehalten hätte. Konsistent unerträglich bleibt die Stiefmutter, die auch die gemeinsten Aussagen mit einem milden Lächeln garniert; den einen Auszucker, bei dem sie ihre Contenance ausnahmsweise völlig verliert, gönnt man ihr von Herzen. Als Extra-Zuckerl gibt es tolle Gastauftritte von Kristin Scott-Thomas als erfolgreiche Businessfrau und Fiona Shaw als No-Nonsense-Therapeutin, die sich von Fleabags Charme nicht einwickeln lässt. Wir, die Zuseher*innen, lassen uns natürlich gerne davon einwickeln. Fleabag ist ja auch so etwas wie die beste Freundin, deren Fehler wir in Kauf nehmen, weil man mit ihr eben auch die halbe Nacht lang über irgendwelche Absurditäten lachen kann, die niemand anderer versteht, oder bei der ein Blick reicht, um genau zu wissen, was sie denkt.

Fleabag Still

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Wenn schließlich die Alabama Shakes ihren Herz-Schmerz-Blues über die nächtliche Schluss-Sequenz gießen, bleibt man mit einem traurig-glücklichen Gefühl zurück. Von Fleabag müssen wir uns verabschieden - aber wir haben ja noch Phoebe Waller-Bridge, und die hat bestimmt schon den nächsten Geniestreich in petto.

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