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Bilderbuch Open Air Konzert in Schönbrunn

Josef Beyer

Bilderbuch in Schönbrunn: Larger than (magic) life

Self-fulfilling prophecy: Ein Triumph von Bilderbuch in einer Frühsommernacht vor dem Schloss Schönbrunn.

Von Katharina Seidler

Vor 596 Tagen haben Bilderbuch dieses Sommernachtskonzert angekündigt. Sie hatten im selben Jahr an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Wiener Arena ausverkauft, waren von Jan Böhmermann in den Himmel gelobt worden („Das ist auf Platz 0 in den Charts, also über der Nummer 1, weil es so gut ist“) und hatten von Amadeus bis Berlinale mit Auftritten, Preisen, Ansagen und geilen Outfits von sich reden gemacht. Als Steigerung blieb da diese megalomanische Idee: 15.000 Menschen auf dem Vorplatz von Schloss Schönbrunn, wo bisher nur eine Handvoll Pop-Konzerte stattgefunden hat, von Künstlern wie Air, Lenny Kravitz und David Gilmour. Und weil der Vorverkauf so gut lief, gleich ein zweites Mal. Sie machen es, weil sie es können.

Die beste Band ihrer Generation

Bilderbuch sind im deutschsprachigen Raum die beste Band ihrer Generation, das stimmt nicht nur, weil sie mindestens vier von sechs sehr gute, schlüssige, mutige Alben herausgebracht haben (da gehört das jüngste, „Vernissage my heart“ als Teil 2 eines Überraschungs-Doppel-Album-Coups nicht einmal unbedingt dazu) oder weil sie live eine unbestreitbare Wucht sind. Es ist auch ganz einfach deswegen wahr, weil sie es sagen, leben und verkörpern.

Bilderbuch Open Air Konzert in Schönbrunn

Paul Gärtner

Mehr als jede andere Band in D-A-CH, vergleichbar vielleicht nur mit den ganz, ganz großen Deutschrappern, begreifen Bilderbuch die Möglichkeiten der Popmusik, den öden Alltag hinter sich zu lassen, und zwar nicht erst seit Instagram. Wen interessiert barfüßige Authentizität auf der Bühne, wenn ich dort Alien, Dandy, Messias, Übermutter oder Zeitreisender sein kann? Maurice Ernsts charakteristischer Blick, in dieser Nacht übergroß immer wieder auf den jeweils zwei mal fünf geteilten LED-Screens an den Bühnenseiten, suggeriert verführerisch und verschmitzt ein vermeintliches Geheimwissen: Wir haben die Zukunft gesehen.

Bilderbuch Open Air Konzert in Schönbrunn

Nikolaus Ostermann

Die Lichtshow des Bilderbuch-Open-Air-Spektakels vor Schönbrunn passt laut „Falter“-Interview in 25 Lkws, das kann man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wer sich nicht mit Bühnentechnik auskennt, oder vielleicht auch wer sich auskennt, verbindet solche Dimensionen in etwa mit den Rolling Stones, Coldplay oder, sagen wir, den Zaubershows von DJ Bobo. 25 Trucks, mein ganzer Besitz passt in einen halben. Vor der beeindruckenden Schlosskulisse stellt sich die Bühne nun als eine Art geöffnete Muschel dar. Diese ist nach dem Überthema „One Earth“ in Neonschrift gestaltet: Lava-Lampen, Globen, ein goldener Saturn, ein riesiger Wasserhahn, aus dem LED-Wasser fließt, eine Ventilatoren-Armee für Wind. Bei „Soft Drink“ werfen Maschinen Hunderttausende mit Nebel gefüllte Seifenblasen aus. Wenn sie platzen, steigen Wölkchen in den Himmel.

Bilderbuch Open Air Konzert in Schönbrunn

Josef Beyer

Die Musik hält, was der Hype verspricht

Die Setlist nun lässt sich mit der Kombination aus „Mr. Supercool“, „Mein Herz bricht“ und „Memory Card“ aus den letzten beiden Alben im betont gemäßigten Tempo an. Schon lange wollen sich Bilderbuch nicht mehr an der unermüdlichen Suche nach dem neuen „Maschin“ oder dem neuen „Bungalow“ beteiligen, auch wenn sie solche Megahits weiterhin locker aus dem Ärmel schüttelten. Dies beweist etwa „Mr. Refrigerator“, die erste Zugabe, in deren Genuss man einzig bei Livekonzerten kommt. Über ein mögliches Erscheinungsdatum dieses über-funky Rock-Krachers gibt es keine Informationen. Noch so ein Bilderbuch-typischer Trick: Die Mythosbildung funktioniert, aber vor allem, weil die Musik hält, was der Hype verspricht. „Mr. Refrigerator“ ist eine Offenbarung.

Viel Gutes ist über die perfekt eingespielte Band, an diesem Abend erweitert durch den kongenialen Lukas König am zweiten Schlagzeug, und ihre beeindruckend choreografierte Show zu sagen. Längen gibt es auch; sie sind von Bilderbuch wohl bewusst eingeplant. Während der minutenlangen Space-Kraut-Jams am Ende von „Europa 22“ bekommt das Publikum Zeit zur Kontemplation. Darüber, was ein geeinter Kontinent in „Zeiten wie diesen“ bedeutet, über die politischen Verhältnisse im Land und außerhalb („Endlich kehrt wieder ein bisschen Frieden ein in dem kleinen Österreich“, Zwischenaussage Maurice Ernst) und über die eigene Verantwortung, die Zukunft mitzugestalten. Auf T-Shirts, Fähnchen und Facebook-Profilbildern sind die Europasterne neuerdings als cooles Symbol und beherzte Ansage vermehrt zu beobachten; an der Schlossfassade drehen sie sich heute als gigantische Visuals.

Bilderbuch Open Air Konzert in Schönbrunn

Josef Beyer

Bilderbuch haben die besten Fans

Live kehren Bilderbuch vor allem den Soul ihrer Songs heraus. „Ich hab Gefühle“, singt Maurice Ernst im gleichnamigen Song immer wieder und springt ins Publikum. Tausende Hände tragen ihn über den Vorplatz: „Manchmal da fühl ich, diese Welt sie braucht mich.“ Dass Bilderbuch besonders bezaubernde Fans haben, kann man in der U-Bahn nach Schönbrunn wieder einmal beobachten oder in den höflichen Schlangen an den Bars und WCs oder an den strahlenden Gesichtern aus der Menge, die die Kameras immer wieder auf die großen Leinwände werfen. Kudos an die junge Frau, die sich von oben bis unten anschüttet, um ihren Freunden fünf große Bier ganz nach vorne mitzubringen. Kudos an die tapferen Kinder auf den Schultern ihrer Eltern, das kleine Mädchen neben mir, das „Plansch“ auswendig mitsingen kann und cooler angezogen ist als Band und Publikum zusammen, an die Freundinnen- und Jungsgruppen, die seit eineinhalb Jahren die Tickets für dieses Spektakel im Posteingang hatten.

Das Leben als glitzerndes Magic Life, und eine Band, die größer als ebendieses ist. Man hat Bilderbuch live möglicherweise schon druckvoller erlebt, aber das Gefühl von one world, one love, no nation wurde an diesem Frühlingsabend deutlicher denn je. Diese kalte Welt braucht mehr Approximation.

Aufgrund technischer Schwierigkeiten haben wir hier leider nicht das ganze Konzert für euch, aber ihr könnt in einige Livesongs reinhören:

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