Spätfolgen der Hightech-Globalisierung treffen Pentagon

Die Auslagerung der zivilen Produktionstätten nach Übersee hat die Industriebasis der US-Streitkräfte so ausgedünnt, dass es für immer mehr kritische Komponenten von Waffensystemen in den USA kaum noch Lieferanten, Know-How und Ingenieure gibt.

Von Erich Moechel

Die jährliche Bilanz des Pentagon zum Status der Industriebasis der Militärs 2018 wurde erst jetzt zur Veröffentlichung freigegeben. Auf den 130 Seiten zum Versorgungsstatus quer über alle Waffengattungen offenbart sich da nämlich ein- und dasselbe tiefsitzende Strukturproblem. Die Verlagerung der Industrieproduktion nach Übersee hat die Versorgungsbasis des Militärs so stark ausgedünnt, dass es für eine Unzahl kritischer Komponenten - wenn überhaupt -nur noch ein, zwei US-Lieferanten gibt.

In direkter Folge sind die USA bei Hyperschalltechnologien zuletzt weit hinter Russland und China zurückgefallen, obwohl die USA ein Vielfaches investieren. Die geplante „Space Force“ steht vor ganz ähnlichen Problemen, die auch die „US Navy“ immer mehr beeinträchtigen. Da die zivilen Industrien dieser Sektoren weitgehend ausgelagert wurden, erodiert der Wettbewerb unter den US-Zulieferern, die Gesamtzahl der Ingenieure und Facharbeiter schrumpft.

Russland überholte die USA

Bei der Forschung im Hyperschallbereich für Raketenantrieben lagen die USA Jahrzehntelang voran, scheiterten aber bis jetzt an der letzten große Hürde dieser Technologie. Grund ist das Fehlen bestimmter Materialien, die auch bei Temperaturen jenseits von Tausenden Grad Celsius stabil bleiben. Dabei handelt es sich um Verbundmaterialen aus Karbonfasern bzw. um Metall-Keramik-Legierungen. In allen Symbolzeichnungen werden die Hyperschall-Flugkörper deshalb mit rotglühenden Kanten und Leitwerkstummeln dargestellt.

Diese exponierten Teile müssen unbedingt gekühlt werden, sonst verformen sie sich und glühen ab. Damit geht jede Steuerungsmöglichkeit verloren und die annähernd keilförmigen Flugvehikel stürzen ab. Russland hat diese Materialien bereits großteils im Griff, das haben die erfolgreichen Tests seit Ende 2018 gezeigt. Dort hat bereits die Serienfertigung dieser neuen Waffen begonnen, während die USA noch immer keinen brauchbaren Prototypen haben. Die Analysten gehen jedenfalls davon aus, dass Russlands Vorsprung auf die USA mindestens 18 Monate beträgt.

Materialforschung im Hintertreffen

In der Bestandsaufnahme spielt der Materialsektor eine große Rolle, denn die Probleme beschränken sich längst nicht auf den Sektor Hyperschall, sondern gehen quer durch die Waffengattungen. Im Bereich Mikroelektronik ist der Weltmarktanteil der USA seit 1998 von 25 auf 5 Prozent geschrumpft, die Industriebasis erodiert parallel dazu. Die Folge gibt es im Zivilbereich immer weniger Ingenieure und Facharbeiter, mit den Fabriken verschwindet auch das Know-How.

Es werde immer schwieriger, Lieferanten aus den USA zu finden, die gegen Weltraumstrahlung gehärtete Halbleiter für militärische Anwendungen entwickeln, heißt es in dem Bericht. Die US-Hersteller für leistungsfähige Wandelfeldröhren-Verstärker seien vor allem von europäischen Firmen an die Wand gedrückt worden. Die USA Marktanteile gingen seit 1990 auf von 50 auf 10 Prozent zurück. Solche Hochleistungsverstärker für Mikrowellenfunk werden standardmäßig in zivile wie militärische Satelliten aller Art verbaut. Dasselbe gilt für Präzisionsgyroskope, Infrarotdetektoren und anderes raumfahrttaugliches Material, unter den US-Herstellern gibt es dafür immer weniger Wettbewerb.

Vom Atomarsenal bis zu Allerweltstechnologien

Derselbe negative Trend zeigt sich gleich mehrfach bei der Instandhaltung des nuklearen Arsenals, essentielle Komponenten etwa zur Steuerung ballistischer Raketen können nicht mehr in den USA gefertigt werden, da sowohl Grundmaterialen wie Know-How fehlen. Dieses Problem ist jedoch nicht auf den Hightech-Sektor begrenzt, auch militärische Allerweltstechnologien sind betroffen. So werden 80 Prozent der „Combat Vehicles“ von Armee und Marine Corps - leichte Radpanzer, Mannschaftstransporter usw. von nur einer Firma an einer einzigen Fertigungstätte produziert.

Gemeint ist damit der Hersteller des in den US-Streitkräften omnipräsenten „Stryker Combat Vehicle“, der vollständig von Militäraufträgen abhängig ist. Bleiben die zwischendurch einmal für längere Perioden aus, was angesichts der schwer voraussagbaren Vergabepolitik des Pentagon mehr die Regel als die Ausnahme ist, kommt das Unternehmen finanziell ins Schwimmen. Dasselbe gilt für viele Militärzulieferer, die nach dem großen Exodus der Industrie in gewissen Sektoren verblieben sind. Sie sind alle vollständig auf Militäraufträge angewiesen, weil sie den Zivilsektor allein aus Kostengründen nicht mehr bedienen können.

Vorläufiges Fazit

Auch bei so konventionellen Ressourcen wie kaltgewalzten, verstärkten Aluminiumplatten, die in Militärfahrzeugen, Kriegsschiffen und Kampfjets verbaut werden, bestehe Versorgungssicherheit für die US-Streitkräfte, heißt es im Bericht des Pentagon. Mit den Importzöllen auf solche Aluminium- und Stahllegierungen hatte der Handelskrieg von Präsident Donald Trump gegen den Rest der Welt begonnen. Inzwischen kriselt es bereits in der US Navy, die den Exodus der zivilen Schiffsbauindustrien zeitversetzt zu spüren kriegt. Es gibt immer weniger Facharbeiter und Ingenieure dafür in den USA, in den letzten 30 Jahren sind die Weltmarktanteile der US-Werften von 50 auf fünf Prozent abgestürzt.