Neuer Rüstungswettlauf um Vorherrschaft im Frequenzspektrum
Von Erich Moechel
Die Lieferung des russischen Luftabwehrsystems S-400 an die Türkei wird den Konflikt im Nahen Osten erst so richtig anheizen. Gemeint sind damit nicht die aktuellen Kampfhandlungen von Syrien bis zum Jemen, sondern die Auseinandersetzung der Großmächte USA, Russland und China, die hinter diesen Nahostkriegen steht.
Foto oben: Vitaly Kuzmin (CC BY-SA 4.0), Ausschnitt
Dabei geht es nur vordergründig um Flugabwehrraketen oder Kampfjets, im Hintergrund aber um deren Steuerung, um Radare, Kommunikationssysteme und letztendlich um die Vorherrschaft im elektromagnetischen Spektrum. Unter dem Schlagwort „Spectrum Warfare“ werden die US-Streitkräfte bereits seit Monaten reorganisiert. Der „Cyberschlag“ der USA gegen den Iran war ein erster Testlauf für diese neue, hybride Strategie.
TRT
Reminiszenzen an den Kalten Krieg
Der Cyberschlag der USA gegen den Iran zeitigt die erwartbaren Folgen. China unterstützt den Iran jetzt bei der Cyberrabwehr
Seit gut einem Jahr geistert der Begriff „Spectrum Warfare“ bereits durch die militärischen Fachmagazine in den USA. Die schriftliche Stellungnahme des designierten Chefs des Generalstabs der US-Streitkräfte spart dazu nicht mit Klartext. Die US-Streitkräfte müssten ihre „nicht-kinetischen Kapazitäten stärken“ und anders organisieren, wird General Mark Milley vom Fachmagazin C4isrnet zitiert. Mit „nicht-kinetisch“ sind elektronische & informationelle Kriegsführung sowie alle Cyberaktivitäten gemeint, die bisher weitgehend nebeneinander und isoliert betrieben wurden.
„Electromagnetic Spectrum Operations“ sind die Nachfolger des analogen „Electronic Warfare“ aus dem Kalten Krieg. Die vergleichsweise primitiven analogen Störsender von damals sind heute raffinierte Set-Ups zur Manipulation der gegnerischen Navigationssysteme, denn die sind bevorzugte Ziele der „Spectrum Warriors“. Radare werden heute weniger geblendet als mit gefälschten Echos manipuliert. Von den F-35-Kampfjets, die nun doch nicht an die Türkei geliefert werden, ist etwa bekannt, das sie gegnerische Radarimpulse aufzeichnen und minimal zeitversetzt zurücksenden können. Damit werden die Signallaufzeitberechnungen der Radarstation irritiert. Das Ergebnis sind falsche Zielkoordinaten.
indeed.com
Wie Cyber die elektronische Kriegsführung fraß
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In der US Army, wo der Vier-Sterne-General Milley bis jetzt Stabschef war, wird bereits in diese Richtung umgebaut. Die quer durch die Army verstreuten Einheiten für elektronische Kriegsführung wurden der Cyberabteilung unterstellt, seit Monaten trainieren diese bisher voneinander getrennten Einheiten bereits gemeinsam. Auch in allen anderen Teilen der US-Streitkräfte ist dieser Umbau bereits angelaufen, um die verwandten Disziplinen - Cyber, elektronische und informationelle Operationen - unter ein Kommando zu bringen.
Eine solche gemischte Einheit hat den „Cyberschlag“ gegen die iranischen Revolutionsgarden geführt. Auch wenn die dazu von der US-Seite ventilierten Informationen ziemlich spärlich sind, so ist doch klar, dass es ein Angriff zweier unterschiedlicher Einheiten war. Mit nicht näher detaillierten elektronischen Mitteln wurden die Command/Control-Systeme, also die Kommunikationsinfrastruktur der Bodentruppen attackiert. Zugleich wurde die übergeordnete Befehlskette der Revolutionsgarden mit Cyberangriffen erfolgreich penetriert - wenn man den US-Angaben hier Glauben schenken mag.
„Spread Spectrum“ im Iran
Public Domain
Der Iran sprach nicht ganz überraschend von einem Misserfolg und präsentierte nicht einmal zehn Tage danach ein neues gegen solche elektronischen Angriffe gesichertes Kommunikationssystem für die Bodentruppen. Der ziemlich wolkigen und unvollständigen Beschreibung der Iraner nach sollte es sich um ein „Spread Spectrum“ System nach dem neuesten Stand der Technik handeln, ein Funksystem, das auf einer Vielzahl ständig wechselnder Kanäle arbeitet und so schon einmal schwer zu entdecken ist.
Ob es sich tatsächlich um ein autochthones System handelt, das Techniker des iranischen Staatsfernsehns IRIB allein entwickelt haben, wie behauptet wird, darf bezweifelt werden. Zivile TV-Techniker, die mit Multiplexing-Technologien (also mit Multikanal-Funksystemen zur Verbindung mit TV-Satelliten) Erfahrung haben, kommen militärischen „Spread Spectrum“-Technologien zwar technisch noch am nächsten. Die sind allerdings so komplex, dass nur die USA, eine Handvoll NATO-Staaten und China über eigene solche fertig entwickelten Systeme verfügen.
Ein Fingerzeig in Richtung China
Russland sei ebenfalls gerade dabei, seine Command/Control-Systeme ebenfalls auf den neuesten Stand zu bringen, liege bei den Bodentruppen jedoch deutlich zurück, merkte der designierte Kommandeur des Generalstabs der US-Streitkräfte vor dem Kongressausschuss noch an. Die entsprechenden Einheiten Chinas seien für Operationen im elektromagnetischen Spektrum hingegen bereits „strategisch, operativ und taktisch besser als so manche andere Staaten“. Damit waren wohl die NATO-Partnerstaaten angesprochen.
Die Regierung Chinas hatte wenige Tage nach dem Schlag der USA denn auch eine gemeinsame Initiative mit dem Iran zur Abwehr von Cyberangriffen verkündet. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass China damit über ein detailliertes Funklagebild rund um den „Cyberschlag“ der USA verfügt. Gemeint sind damit detaillierte Aufzeichnungen des gesamten Frequenzspektrums über eine gewisse Zeitspanne, um die benutzten Wellenformen, Modulationen, Pulsdauer etc. zu analysieren. Das sind die altbekannten Methoden der „Signals Intelligence“ (SIGINT) der NSA für ihre Spionagezwecke. Die „Spectrum Warriors“ analysieren die Signale, um die Signalquellen zu zerstören.
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Publiziert am 14.07.2019