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Billie Eilish @FM4 Frequency Festival

Franz Reiterer

fm4 festivalradio

Billie Eilish ist die eigentliche Headlinerin am Eröffnungsabend des FM4 Frequency Festival 2019

Der aktuell spannendste amerikanische Pop-Shootingstar, Billie Eilish, spielt einen verfrühten Headliner-Slot am FM4 Frequency Festival 2019. Sie zu übertreffen, wird schwierig. Auch für Pop-Crossover-Größen wie Twenty One Pilots.

Von Lisa Schneider

Noch nie war das FM4 Frequency Festival in St. Pölten so früh ausverkauft wie heuer, in seiner 19. Ausgabe. Um Ostern herum waren die Drei-Tages-Pässe weg. So auch bald die Tageskarten für Donnerstag, den Eröffnungsabend. Und das vor allem, weil den Booker*innen ein Blick in die Zukunft gelungen ist, wie es hier in Österreich nur selten passiert: Billie Eilish, eine der spannendsten Popmusikerinnen ihrer Zeit, hat hier ihr hiesiges Debütkonzert gespielt.

Das Pop-Phänomen ihrer Zeit: Billie Eilish

Millionen Klicks auf Youtube, Millionen Streamingzugriffe, Millionen Instagram-Follower. So sieht heute musikalische Machtverteilung aus: Geht etwas viral, geht es richtig viral. Und wie schnell es mit einer Musikkarriere momentan über Nacht zum Erfolg gehen kann, sieht man an der Uhrzeit, zu der Billie Eilish am FM4 Frequency Festival spielt: Es ist halb sieben Uhr, es ist früher Abend. Die Sonne scheint noch.

FM4 Frequency Festival

Von 15. bis 17. August im Greenpark St. Pölten und auf Radio FM4. Mit Trettmann, Billie Eilish, Alligatoah, Mavi Phoenix, Yungblud, Sookee, Macklemore, The Offspring, Charli XCX, Fil Bo Riva uvm.

Am heurigen Glastonbury Festival ist sie zur fast gleichen Zeit auf der Bühne gestanden, was für dortige, legendäre Verhältnisse immer noch als Auszeichnung zu verstehen ist. Hier am FM4 Frequency Festival ist es weniger Auszeichnung als Beweis dafür, wie früh in der Line-Up-Planung an Billie Eilish gedacht wurde. Erst nachdem feststand, dass sie hier in St. Pölten auftreten würde, ging mit der Veröffentlichung ihres ersten Albums „When We All Fall Asleep, Where Do We Go“ der große Erfolg so richtig los.

Home-schooled in L.A. aufgewachsen, schreibt und produziert Billie Eilish ihre Songs mit ihrem 22-jährigen Bruder Finneas. Die mittlerweile 17-Jährige veröffentlicht im Alter von 14 Jahren ihren ersten Song, „Ocean Eyes“, und wird via Soundcloud entdeckt. Als die Major-Labels an ihr zu zerren beginnen, um sie dazu zu bringen, mit „elaborierten Songschreibern“ ins Studio zu gehen, kehrt sie wieder zurück ins Kinderzimmer, rollt sich zwischen den Kissen ein und singt so die Vocals für ihr im heurigen Frühling veröffentlichtes Debütalbum ein. Ganz wie in dem Moment, als sie sich gestern Abend auf die Bühne legt und einfach so drauflos singt. Der Bedroom-Pop, auf den die Welt, und vor allem die Teenager dieser Welt, gewartet haben. Ihre Songs handeln von Schmerz, Depression, Selbstzweifel und Außenseitertum.

Der gute Schmerz

Wo wir schon beim Schmerz sind: Er ist Billie Eilishs wichtigstes Instrument. Wann war die Welt je gleichzeitig so schlimm und schön wie in diesen jungen Lebensjahren? Es ist aber hier nicht alles Emo, was im Video in Form einer Spinne – wie auch in den gestrigen Bühnen-Visuals - aus ihrem Mund kriecht. Billie Eilish mischt das Weiche, Zerbrechliche mit breitbeinigem Rap-Jargon und legt damit einen Popentwurf vor, der von den Machenschaften anderer, gleichaltriger Teenie-Stars weit entfernt ist. Billie Eilish ist Emo, ist aber gleichzeitig Goth, Punk, Trap und Pop; ist mal Lana Del Rey, mal Kanye West und dann wieder Trent Reznor.

Billie Eilish ist außerdem eine Symbolfigur für die gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahre, vor allem aber für die der Musikindustrie: das perfekte weibliche Popstarimage bröckelt schon seit längerem. Es gibt keinen bauchfreien, girly-bezopften Tanz mehr vor den Schulspinden. Stattdessen Pickel in Großaufnahme, vornehmlich gepostet auf Instagram.

Billie Eilishs Songs sind keine Hits, die normalerweise die Charts stürmen, sind oft keine catchy Ohrwürmer. So lassen sich auch die Längen im Live-Set erklären - das Publikum liebt, feiert und zelebriert sie gestern Abend trotzdem wie nichts anderes davor und danach. Die Songs leben von Eigentümlichkeiten, Introspektive, gemurmelten Lyrics und saftigen Beats. Viel ist über das Genre-Clashing, das Billie Eilish betreibt, geschrieben worden. Dass der Großteil ihrer Fanschar (ob deren Jugend) mit den meisten der oben aufgezählten Referenzpunkte gar nichts anfangen kann, zeigt nur einmal mehr, wie aktuell ihre Musik ist. Große Popmusik holt auch die Menschen ins Boot, die sich nicht um Hypes oder Kritikerlieblinge scheren.

Das Publikum besteht zu gut zwei Dritteln aus besagten, sehr oft weiblichen Teenagern – und zu einem Drittel aus deren Eltern. Billie Eilish spielt in einer Generation, in der die großen „Gen Z“-Stars wie Dave Grohl oder Thom Yorke ihre eigenen Kinder zu eben ihrem Konzert mitnehmen. Thom Yorke soll einmal im Backstage folgenden Shout-Out an sie gerichtet haben: „You’re the only one doing anything fucking interesting nowadays.“

Ob sich die begleitenden Eltern am ersten FM4 Frequency-Abend dasselbe gedacht haben? Es scheint ganz so: Billie Eilish ist live von einer Kraft, der man sich schwer entziehen kann. Sie singt, sie rappt, sie tanzt. Es ist ihr unfassbares Selbstbewusstsein und das Gefühl für den richtigen Moment, das die sonst eher leere Bühne mit ihrer Präsenz füllt. Vergleiche sucht man lange. Vielleicht ähnlich wie Grimes? Möglich. So performt jedenfalls ein Star, der weiß, was er will und was er kann.

Die junge Routine

Es herrscht Atemlosigkeit, auch in den Ruhepausen, oder wenn Billie Eilish schlicht das reine Luftholen als Singen durchgehen lässt. Das Publikum ist laut, es schreit jede Zeile mit. Auch das hat man hier, vor der größten Bühne beim Festival, selten erlebt.

Billie Eilish ist routiniert, vielleicht schon zu routiniert nach ihrer gerade abgeschlossenen Australien-Tour. Das merkt man an Bühnenansagen wie „How are you doing“, „You wanna go crazy tonight?“, oder „You’re having a good time?“. Diese Fragen sind nicht einzigartig, sondern Phrasen eines durschnittlichen Konzertabends. Ebenso der Moment, in dem sie die Crowd bittet, einmal kurz das Handy aus der Hand zu legen: „to enjoy the moment“. Die bittere Ironie. Sie, die in den sozialen Medien mehr Follower als Justin Timberlake und Jared Leto gemeinsam versammelt.

Unabhängig von den soundtechnischen oder zwischenmenschlichen Qualitäten ihres Sets ist Billie Eilish vor, während und nach ihrem Auftritt in St. Pölten vor allem eins: eine wichtige Identifikationsfigur. Wer hätte in diesem Alter nicht gerne selbstbewusste Sätze gesagt wie: „I don’t give a fuck about what anybody thinks of me“ – und sie auch ernst gemeint?

Authentizität ist ein schwieriges Wort, wenn es darum geht, erfolgreiche Popmusik zu beschreiben. Es ist aber vor allem ein Wort, das Fans von Billie Eilish benutzen, um sie zu beschreiben. Dass natürlich auch die Geschichte der 17-Jährigen, die den großen internationalen Durchbruch feiert, sich die Haare blau oder grün statt blond färbt und je nach Quelle mit vier, acht oder zehn Jahren ihren ersten Song geschrieben hat, ein perfektes Karriere-Konstrukt ist, sei dahingestellt. Das ist kein Vorwurf, das ist die Industrie.

So macht Crossover Sinn

Hätte man hier in einem gedanklichen Schwung gebucht, wäre nach Billie Eilish die britische Band der Stunde, The 1975, auf der Bühne gestanden. Stattdessen gibt es eine eher kantenlose Darbietung der britischen Popmusikerin Anne-Marie und danach, zur Freude aller, die zuletzt das FM4 Frequency 2010 besucht haben, schön-klassisch-belanglosen Indierock der finnischen Band Sunrise Avenue. Nichtsdestotrotz: Als Headliner des Tages folgt eine der aktuell erfolgreichsten internationalen Popbands überhaupt: Twenty One Pilots.

Es ist nicht der erste, auch nicht der zweite Gig von Twenty One Pilots hier in Österreich: vor drei Jahren, und auch heuer im Februar haben sie die Wiener Stadthalle ausverkauft. Eine Band, die aktuell drei Abende hintereinander das Wembley-Stadion füllt - und somit ebenfalls eines der größten Pop-Phänomene, die man live sehen kann. Es ist einmal mehr die Genre-Crossover-Idee, die an sich eine schreckliche ist, aber gut gemacht zum kommerziellen Jackpot avancieren kann.

Vielmehr als Billie Eilish haben Twenty One Pilots ihre Mischung aus Pop, Hiphop, Elektronik, Nu Metal und dem Oasis nicht so unähnlichen Songwriting vielmehr Richtung Mainstream ausgerichtet. Es ist ein in seiner Diversität sehr klassisches Festival-Set, ein Konzert, bei dem die Heavy-Metal-Liebhaberin neben dem Hiphop-Experten steht, und bei dem dann schließlich alle in die hooklastigen Refrains einstimmen. Ist man wirklich großer Fan der Band Twenty One Pilots, braucht man wohl keine anderen Acts mehr auf seiner privaten Playlist. So, wie das früher etwa bei Linkin Park war.

Das Schöne an Twenty One Pilots ist gar nicht unbedingt die Musik, sondern die Art, wie klug Vokalist Tyler Joseph ans Songwriting herangeht. Am Album „Blurryface“, das der Band Weltruhm eingebracht hat, findet sich deren meistgehörter Song: „Stressed Out“. Ein Song, der alles mitbringt, um erfolgreich zu sein: ein Singalong ohne notwendige Textexegese.

Konzentriert man sich trotzdem auf den Inhalt, ist es ein noch größerer Spaß: „I wish I found some better sounds no one’s ever heard / I wish I had a better voice that sang some better words / I wish I found some chords in an order that is new / I wish I didn’t have to rhyme every time I sang“. Demut im Angesicht des großen Erfolgs, und das, noch bevor der große Erfolg da war. Vielleicht ist es das, was die Band so sympathisch macht. Es sind die Skills von Tyler Joseph am Bass, am Klavier und an der Ukulele, aber auch das brennende Auto auf der Bühne, das die Show so spektakulär wirken lässt.

Die Themen mental health und Depression ziehen sich durch den Abend, so auch durch die Songs des aktuellen Twenty One Pilots-Albums „Trench“. Nicht wie bei Billie Eilish als die Verkörperung dessen, wie depressiv und cool man gleichzeitig sein kann, sondern als die totale Offenlegung der eigenen Ängste: „I was told when I get older all my fears would shrink/ But now I’m insecure and I care what people think“. Es muss eine seltsame, emotionale Diskrepanz sein, sein Geld mit Songs zu verdienen, die von den eigenen Schwächen handeln. Noch dazu, wenn Tausende im Chor miteinstimmen - was zurückführt zum Potential von Authentizität als Marketingstrategie.

Ab und zu, vielleicht am besten hier in der Ausnahmezone Festival, wo alle die Hände zum richtigen Zeitpunkt heben, darf man den Zynismus aber auch mal zur Seite schieben.

Auch noch gut oder bemerkenswert am ersten Abend des FM4 Frequency Festival

Die Weekender-Stage, die kleine, gemütliche abseits der großen Bühnen, hat unter anderem das Wiener/Südtiroler Duo Anger eingeladen. Die Band, die sich aktuell vom Dreampop-Image ihrer ersten EPs verabschiedet und uns mit gut-sprödem, zeitgenössischem und immer noch verliebtem Schrammel-Pop auf ihr erstes Album vorbereitet. Es erscheint im September.

Die Salzburger Indierockband Please Madame füllt dann erstmals - keine zu unterschätzende Aufgabe - die Höhle namens Weekender Stage, bevor dann die Nostalgiekünstler Flut Vocoder, Gitarren und Weltraum übernehmen.

Global“ heißt ja auch das aktuelle Album dieser sehr jungen oberösterreichischen Band, deshalb baumeln nachgebaute Planeten vom Himmel und wir schweben zurück in die 80er: „Schlechte Manieren“ ist das Herzstück im Set, ist Diskosong und gleichzeitig guter alter Surfrock Marke Feelgood.

Dendemann erlebt einstweilen das große Drama des FM4 Frequency Festival 2019. Er muss zur selben Zeit auf die Bühne wie Billie Eilish. Nur ist es leider nicht die Space, sondern die Green Stage.

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