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On Bells @Waves Vienna Festival

Alexander Galler

Waves Vienna Festival 2019: Gedanken zu einigen Highlights.

Das jährliche Showcase-Festival Waves Vienna war in seiner 9. Ausgabe politisch, laut, jung und divers wie immer.

Von Lisa Schneider

Wenn es herbstelt draußen und die Blätter sich orange, rot, braun färben, ist es Zeit, ins Wiener WUK zu pilgern, um die Musik zu feiern. Mit jedem Jahr seines Bestehens - es ist heuer das neunte - wird das Waves ein bisschen größer und internationaler. Der Fokus aber liegt nach wie vor einerseits auf der österreichischen Musikszene und andererseits auf der von zwei Gastländern. Heuer waren das Ungarn und Schweden.

Waves Vienna Festival 2019 Atmosphäre Innenhof

Alexander Galler

Herbstzeit ist Waves-Zeit im Wiener WUK. Im Innenhof zwischen Blättern und Bühnen.

Nach der schwedischen Musikszene gefragt denkt man vielleicht zuerst an „Mama Mia“ von ABBA oder doch „God Knows“ von den nicht mehr ganz so wichtigen Indie-Größen Mando Diao. Nach dem heurigen Waves denkt man dann vielleicht an weichen Psych-Pop von Melby oder an Linn Koch-Emmery und die 60ies-Gitarre, die gerade wieder so gut und groß wird.

Und ungarische Musik? Erster musikbezogener Gedanke - Sziget Festival?

Aktuelles aus der ungarischen Szene

David Bali vom ungarischen Musikexportbüro hat uns im FM4-Interview erzählt, dass es aktuell drei Musikgenres gibt, die sich auch im Ausland wettbewerbsstark zeigen: Dream- bzw. Gitarrenpop, elektronische Musik - nicht Pop-, sondern Clubmusik - und Heavy Metal bzw. Harcore-Punk. Ins erste Genre muss man wohl am ehesten die ungarische Band Platon Karataev stecken, die am Eröffnungsabend, am Donnerstag, das gute alte Abschlussballgefühl aus dem Pubilkum herausgelockt hat.

Das Waves Vienna Festival findet nämlich heuer wieder nicht nur im WUK und all seinen größeren und kleineren Bühnen, sondern auch in der angrenzenden Schule HLMW Michelbeuern statt. Das bedeutet, man stürmt zum Lieblingsact durch die Schulgänge wie damals in der großen Pause zum Buffet oder, ganz cool kid, in den Raucherhof. Die Decken sind niedrig, ein Eau de Teenie weht durch die Luft. Kurios, wenn ab und zu die Schulglocke bimmelt. Und dann schon wieder passend zum jungen Festivalgedanken, der dem Waves als Showcasefestival inhärent ist.

Platon Karataev also pumpen die gute, verflossene Melancholie durchs Klassenzimmer, es sind Songs wie Märchen, die von verstorbenen, mystischen Gestalten erzählen, geborgt bei Shakespeare genauso wie bei Tolstoi. Das Harte und die Romantik und dabei nicht so alt und verschwurbelt wie man sichs jetzt vielleicht denkt. Das Englische hat einen ungarischen Akzent, aber aus annehmbaren Unzulänglichkeiten ist nicht selten große Kunst geworden.

Platon Karataev @Waves Vienna Festival

Kiki Heindl

Platon Karataev heißt eine tolstoi’sche Romanfigur. Und eine sehr gute ungarische Band.

Die beste neue Rap-Sensation aus der Ukraine: alyona alyona

Freitagabend beginnt es dann schon am frühen Abend im Klassenzimmer - es ist wohl eher doch eine Aula - zu donnern und zu grollen. Die ukrainische Rapperin alyona alyona und ihr rauer, kluger Ton tauchen gerade in allen relevanten Blogs und Listen auf.

Katharina Seidler hat alyona alyona zum FM4-Interview getroffen. Nachzuhören hier.

Es ist ein kleines Musikmärchen: Vor etwas weniger als einem Jahr, im Oktober 2018, hat die Kindergärtnerin Aljona Savranenko aus dem Kiewer Vorort Baryschiwka in der Ukraine einen ihrer Songs auf Youtube hochgeladen. Der Rest ist Geschichte: Ihr erster Song wird schon bald weltweit in Magazinen gefeatured, ihr Name steht in der Vogue und der New York Times. Aktuell tourt alyona alyona kreuz und quer über den Planeten.

Ihre Songs schreibt sie auf Ukrainisch - und darin liegt auch zu einem gewissen Grad die ureigene Macht: auch, wenn wir nicht verstehen, was sie erzählt, ist es dank ihrer Bühnenpräsenz förmlich zu spüren, worum es geht: um Feminismus, um Body Positivity, um Prekariat. Das könnte Lizzo gut gefallen. Meine Kollegin Katharina Seidler sagt über alyona alyonas Auftritt:

„Die ukrainische Rapperin wird zurecht als der neue Star am europäischen HipHop-Himmel gefeiert; der sympathische Schulaula-Charme des Saales passt gut zu ihren freundlichen, selbstermächtigenden Messages. Ein solches Rolemodel kann man jungen Menschen, wie sie zum Beispiel die Gänge und Klassen der Schule, in der das Waves stattfindet, untertags bevölkern, nur wünschen. Ein Glückstreffer und unumstrittenes Highlight des diesjährigen Waves Vienna Festivals.“

Alyona Alyona @Waves Vienna Festival

Patrick Muennich

Hat sie alle weggefegt: die ukrainische Rapperin alyona alyona.

Es ist der schöne, alljährliche Horror hier am Waves, und so auch auf jedem anderen gut ausgesuchten Festival: Überschneidungen sehr guter Acts lassen sich nicht vermeiden. Deshalb habe ich alyona alyona verpasst, aber dafür einen anderen, besten Auftritt am heurigen Waves erlebt.

Der Künstler als Gesamtkunstwerk: On Bells

Jakob Kolb nennt sein Soloprojekt On Bells. Er hat in Barcelona Malerei studiert und ist aktuell an der Universität für Bildende Kunst in Wien in der Malerei-Klasse von Daniel Richter eingeschrieben. Das Hin- und Her zwischen Kunststilen und -gattungen tut seiner Musik sehr gut.

Jakob Kolb war letzte Woche im FM4 Soundpark zu Gast. Die Listening Session inklusive Interview gibt’s hier nachzuhören.

Vor gut einem Jahr veröffentlicht Jakob Kolb seine erste EP „Come On Over“, der Titeltrack ist eine schlanke Liebeserklärung an die 80er-Jahre, eine kleine Nostalgiediskoperle nach all dem sperrigen Zeug. Daneben sitzt aber, ganz ungeniert, genauso ein Techno-Ungetüm (passend „Demons“ getauft) sowie diverse Field-Recordings, Tropical Beats und schlichte Gitarrenpopsongs. Beatgedröhne und Schmuseschnulze, schwarzer Samt hängt über seinem Tischchen mit Effektgeräten, ganz passend zu der Zauberkiste, die seine Musik ist.

Das Trendaufwärmen vergangener Jahrzehnte steht hier im Gegensatz zum Anspruch des Solokünstlers: Was ist eine Band, wenn einer allein live vier Instrumente gleichzeitig bedient? Ist das die musikalische Post-Postmoderne, in der alle Genres endlich verwachsen sind zur absoluten, goldenen Mitte? Vielleicht.

Und mit welcher Leichtigkeit sich Jakob Kolb durch alles wühlt, was er findet, was er gut findet, und wie er Musik daraus macht. Mal trashig, mal substantiell, immer ernst gemeint. Oder doch nicht? Ein Künstler ist er, und dann ein Musiker, der dem am Waves schon auch vorherrschenden Erfolgsdruck mit einer gewissen Selbstironie gegenübertreten kann. Vielleicht auch, weil er weiß, dass er der einzige auftretende Act hier ist, der gleichzeitig auf der Kunstmesse Parallel Vienna ausstellt.

On Bells @Waves Vienna Festival

Alexander Galler

Ein Zauberer: Jakob Kolb als On Bells.

Geplanter Siegeszug: International Music

Manche Highlights stehen schon im Vorfeld fest, schön auch, wenn sich die Erwartung bestätigt. International Music, die unprätentiöseste Band der Welt, reist aus Essen einmal mehr nach Wien, um den kleinen Kult einmal mehr anzuheizen. Das Debütalbum als ein wichtigstes des letzten Musikjahres, wie kann es auch anders sein, wenn darauf Fragen gestellt werden wie: „Warum schreibst du den Hasen nicht mit H?“ Nur zu dritt, und trotzdem die atmosphärische Dichte eines Orchesters im Nacken, predigen International Music süffisant wie es die Jünger*innen hören wollen von Lakonie, Häresie, Schönheit, Klugscheißertum und allem, was sonst noch gut ist auf dieser Welt.

International Music @Waves Vienna Festival

Anna Zehetgruber

Erwartungsgemäß großartig: International Music.

Gut-träge Saitenzelebrierung: Good Wilson

Hohe Erwartungen bestätigen, das können International Music. Keine Erwartungen voraussetzen, das machen sympathischerweise Good Wilson: Im FM4-Interview kurz vor dem Auftritt der Grazer/Wiener Band meint Sänger, Gitarrist und Songschreiber Günther Paulitsch, man solle zu einem Good Wilson-Gig immer ohne besondere Erwartungen kommen. „Und dann“, fügt er hinzu, „vielleicht überrascht nach Hause gehen.“ So ist es passiert: Good Wilschon schreiben Songs für einsame Menschen, wie das auch perfekt hierher passt, in den Frühherbst, wenn die Natur sich auf Winterschlaf einstellt und man vielleicht nochmal kurz überdenkt, mit wem man die kalten Monate verbringen möchte.

Musik, in die man sich einwickeln mag wie in eine Decke. So einfach, schlicht und weich ist dieser Popentwurf, es rieselt dahin, unaufgeregt langsam und trotzdem melodisch zum richtigen Grad ausgefuchst. Retro-schick und endlich wieder analog hat hier wohl jemand viel Jonathan Wilson, War On Drugs oder Skinshape gehört.

Good Wilson @Waves Vienna Festival

Hannah Toegel

Herbstmusik: Good Wilson.

Eine Geschichte ohne Ende

Vieles war fantastisch hier, am Waves Vienna Festival 2019. Ironie und totale Ernsthaftigkeit. Blödsinn und Kunst, blödsinnige Kunst. Nachdenken über die Welt, ihre Musik und die Frage, wieso das ungarische Panel voller besetzt war als das schwedische. Eine (durchaus mal notwendige) Interessensverschiebung?

Außerdem: Die wohl beste Soulpopband des Landes, das Wiener Trio Elis Noa. Der gewitzteste Geschichtenerzähler, subtilste Witze-Performer und Experimental-Folksong-Schreiber John Moods (auch kein Wunder, Jonathan Bree ist immerhin ebenfalls Fan!). Der gemeinsame Spaß an Westküsten-Chören, Surf-Gitarren und psychedelischen Glöckchen mit der Brightoner Band Penelope Isles. Und das gute Geschichtenerzählen mit der Folk-Singer-Songwriterin Hayley Reardon. Eine auch heuer wieder fast endlos fortführbare Liste, um deshalb einmal mehr bei International Music zu bleiben: „Warum bekomm ich’s immer so wie ich es bestellt hab?

Elis Noa @Waves Vienna Festival

Kiki Heindl

Elis Noa aus Wien. Empfehlung: die gesamte EP „Love Letters“.

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