FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Sylvie Goulard

APA/AFP/Kenzo TRIBOUILLARD

Erich Moechel

Digitale Agenden der EU wieder in der Schwebe

Bei der Besetzung des dafür zuständigen Binnenmarktressorts spielt IT praktisch keine Rolle. Der Streit zwischen Frankreich und Deutschland geht in erster Linie um das neue Generaldirektorat Raumfahrt und Verteidigung in selbigem Ressort.

Von Erich Moechel

Nach dem klaren Votum gegen die designierte Kommissarin Sylvie Goulard im EU-Parlament hängt die digitale Agenda der neuen EU-Kommission wieder in der Luft. Frankreich muss jetzt einen neuen Vorschlag für das Ressort Binnenmarkt präsentieren. In Brüssel wurden am Freitag bereits erste Forderungen laut, einige Kompetenzen dieses riesigen Ressorts auf andere zu verteilen.

Emanuel Macron

APA/AFP/Ludovic MARIN

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte sich bei einer Pressekonferenz zum Thema am Donnerstag ziemlich echauffiert. Macron hielt sich mit Kritik an Kommissionpräsidentin von der Leyen dabei nicht zurück.

Für die Vertraute Emmanuel Macrons war ein Schlüsselressort vorgesehen, das drei Generaldirektorien und neben dem gesamten Binnenmarkt auch fast alle Digitalagenden umfasst. Obendrein kamen auch noch Raumfahrt und Verteidigung neu dazu. Hintergrund der Ablehnung ist ein seit Sommer schwelender Streit zwischen Frankreich und Deutschland um die Führungsrolle in der Kommission, der zuletzt eskalierte. Die digitale Agenda ging dabei völlig unter, es scheint sich alles um die Rüstungsindustrie zu drehen.

Rüstungsindustrie statt Informationstechnologie

Sylvie Goulard

APA/AFP/Kenzo TRIBOUILLARD

Sylvie Goulard war am Mittwoch ziemlich siegessicher angetreten. Am Ende hatte sie anstelle der notwendigen Zweidrittelmehrheit, mit 82 zu 29 fast zwei Drittel der Abgeordneten gegen sich.

Schon beim ersten Hearing hatten EVP-Abgeordnete die härtesten Fragen an Goulard gestellt.

Bei dieser Auseinandersetzung spielt die digitale Agenda anscheinend überhaupt keine Rolle. Goulard wurde auch kaum zu Sachthemen befragt, Hinweise auf Kompetenzen Goulards in Informationstechnologien gibt es überhaupt keine. Goulards Biografie bescheinigt der Politologin und Buchautorin zwar umfassende Fachkompetenzen in der Außenpolitik, desgleichen verfügt sie als ehemalige Vizepräsidentin der französischen Nationalbank praktische Erfahrung im Finanzbereich. Als - wenn auch kurzzeitige - Verteidigungsministerin Frankreichs wäre Goulard auch für Raumfahrt und Verteidigung qualifiziert.

Da ist die Französin aber nicht allein, denn auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war davor Ministerin für Verteidigung. Der Aufbau eines neuen Generaldirektorats für eine künftige Verteidigungsunion steht ganz oben im Portfolio, mit dem von der Leyen angetreten ist. Dafür wird ein EU-Verteidigungsfonds bis 2021 bereitgestellt und für den Anfang mit 13 Milliarden Euro ausgestattet werden. Und nur um das scheint es zu gehen, zumal in französischen Medien die derzeitige französische Verteidigungsministerin Florence Parly als aussichtsreichste Kandidatin für das Binnenmarktressort gehandelt wird.

Abmontierte Spitzenkandidaten

Dabei geht es um das neue Spitzenkandidaten-Prinzip, das bereits bei den EU-Wahlen 2014 galt. Jean-Claude Juncker, damals Spitzenkandidat der konservativen Fraktion (EVP) wurde damit zum Präsidenten der nun abtretenden Kommission gekürt. Diese Neuregelung, dass nur ein von seiner Fraktion gewählter Spitzenkandidat als Präsident der Kommission in Frage kommt, war auf dringenden Wunsch des EU-Parlaments vorangetrieben worden. Dort hofft man dadurch die traditionell niedrige Wahlbeteiligung im EU-Raum zu erhöhen.

Im Zentrum der digitalen Agenda im Binnenmarktressort steht der geplante „Digital Services Act“, der die E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 modernisieren soll.

Nach den EU-Wahlen Ende Mai hatte der Fraktionsführer und Spitzenkandidat der konservativen EVP, Manfred Weber, schon wie der neue Präsident der Kommission ausgesehen. Bis der französische Staatspräsident Emmanuel Macron im EU-Ministerrat die gesamte Vereinbarung über den Haufen warf. Damit hatte Macron Manfred Weber um seinen sicher geglaubten Posten gebracht, sehr zur Erbosung nicht nur der EVP-Fraktion, sondern auch weiter Teile des EU-Parlaments. Interventionen aus einem Mitgliedstaat zur Einschränkung von Kompetenzen des EU-Parlaments kommen dort ganz schlecht an.

Margrethe Vestager

APA/AFP/Aris OIKONOMOU

Die designierte Kommissarin für Wettbewerb und Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, absolvierte ihr Hearing hingegen souverän. Als Vizepräsidentin ist Vestager für die Koordination aller digitalen Agenden in der Kommission zuständig. Das Schlüsselressort dafür, das Kommissariat Binnenmarkt, hängt allerdings wieder in der Luft.

Finanzaffäre als rotes Tuch

Vor den Hearings hatte es noch danach ausgesehen, als hätte Goulard alle Vorwürfe bereinigen können.

Das erklärt die unfreundliche Stimmung des zweiten Hearings am Mittwoch, das sich vom für Goulard schlecht verlaufenen ersten damit kaum unterschied. Obendrein hatte Macron mit Goulard für dieses mit Zusatzkompetenzen aufgeblasene Kommissariat eine Kandidatin nominiert, der zwei Finanzaffären nachhängen. Dagegen ist man im Parlament der Union seit den Skandalen um Beratungsverträge und zu enge Kontakte zu Lobbygruppen vergangener Kommissionen allergisch.

Parallel zu ihrer Tätigkeit als Abgeordnete beriet Goulard drei Jahre lang (2013-2016) einen Immobilieninvestor, insgesamt brachte ihr das um die 300.000 Euro ein. Diese Tätigkeit sorgte zwar für hochgezogene Augenbrauen bei den Abgeordneten, war aber offiziell gemeldet und somit nicht illegal. Was für die Parlamentarier schwerer wog, war, dass die Anti-Betrugsbehörde OLAF gegen Goulard wegen desselben Delikts ermittelte, das schon Marine Le Pen von der Rechtaußenfraktion und andere Abgeordnete in die Bredouille gebracht hatte.

Die Demontage von Mme Goulard

Goulard hatte einen ihrer parlamentarischen Mitarbeiter im EU-Parlament verbotenerweise für Parteiarbeit abgestellt. Als das 2017 aufkam, verlor Goulard ihren gerade erst angetretenen Posten als französische Verteidigungsministerin. Goulard zahlte zwar 50.000 Euro zurück, doch dann nahm OLAF die Ermittlungen auf und das erwies sich als fatal. Auf die Frage, warum sie als EU-Kommissarin geeignet sein sollte, wenn sie als französische Ministerin nicht geeignet sei, wusste Goulard keine Antwort. Gekommen war diese Frage wie so viele aus der konservativen Fraktion, die Goulard dann einstimmig ablehnte, mit Ja votierte am Ende fast nur die liberale Fraktion (Renew Europe).

Wie es weitergeht

Man darf gespannt sein, wen Frankreich nun statt Goulard aufstellen wird. Wenn die derzeit amtierende französische Verteidigungsministerin tatsächlich nominiert werden sollte, dann wäre das ein sicheres Indiz dafür, dass es in diesem Konflikt tatsächlich in erster Linie um die europäische Führungsrolle in den Bereichen Rüstungsindustrie und Raumfahrt geht.

Es gibt wieder einen RSS-Feed für diesen Blog, einfach so gebaut von einem Leser, der keinen Artikel verpassen will. Sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. sind über dieses Formular verschlüsselt und anonym beim Autor einzuwerfen. Wer eine Antwort will, gebe tunlichst eine Kontaktmöglichkeit an.

Aktuell: