Die Kriegswirren in Nordsyrien fast live im Netz
Von Erich Moechel
Die rasche Eskalation in Nordsyrien und die Verschiebung der strategischen Fronten lässt sich nur wenig zeitversetzt im Netz verfolgen. Inzwischen sind bereits zwei kartografische Services verfügbar, auf denen die Kampfhandlungen in Nordsyrien nahezu in Echtzeit dargestellt werden. Beide setzen auf dem freien Landkartendienst OpenStreetMap auf.
Den großen Überblick hat die von einem Start-up in der Ukraine betriebene Website Liveuamap, die bereits seit 2014 aktiv ist und seitdem ausgebaut wurde. Vor allem Postings und Videos aus Sozialen Netzwerken und Onlinemedien bilden die Grundlage. Die neuere „Syrian Civil War Map“ basiert offenbar auf Informationen des Zusammenschlusses kurdischer Milizen SDF.
Liveuamap
Ein Abzug mit Folgen
Aktuell dazu in ORF.at
Die USA bemühen sich derzeit um Schadensbegrenzung und bieten an, zwischen der der Türkei und der SDF zu vermitteln.
Der durch den Abzug der US-Streitkräfte erzwungene fliegende Wechsel der Kurden in eine Allianz mit dem Regime und damit Russland hat bei Beobachtern und Journalisten für einige Verwirrung gesorgt. Über die Kartendienste konnte man seit Sonntag Abend auch einzelne Evakuierungsflüge genau verfolgen, zuletzt wurde das Hauptquartier der Vereinten Nationen in der Grenzstadt Qamislo evakuiert. Wie überstürzt dieser Rückzug vonstatten gegangen war, zeigen Bilder, die das russische Militär am Dienstag über Twitter verbreitete.
Russische Armee
Sie zeigen die Übernahme der mithin größten syrischen US-Basis in Manbij, in den Straßen der Stadt patrouilliert inzwischen die russische Militärpolizei. Eine eigene Zeltstadt kann sich die russische Armee dort sparen, denn eine solche wurde von den USA nebst Wohncontainern hinterlassen. Das Beunruhigende ist, dass keine 15 Kilometer weiter westlich heftige Gefechte zwischen den kurdischen Truppen und eindringenden islamistischen Milizen toben. Am mehreren Punkten des umkämpften Gebiets im Norden steht die Armee des Assad-Regimes nur wenige Kilometer den türkischen Streitkräften fast direkt gegenüber.
Putins pax russica für Syrien
2015 rettete das direkte Eingreifen Russlands den syrischen Machthaber Bashar al Assad, dessen Truppen in arge Bedrängnis geraten waren
Am Sonntag Nachmittag hatte das russische Staatsfernsehen ganz überraschend ein fünfzig Minuten langes Interview mit Wladimir Putin ausgestrahlt. Der Anlass war Putins Staatsbesuch in Saudiarabien, alle wichtigen Passagen betrafen aber die Zukunft Syriens. Innerer Frieden sei letztlich nur durch Verhandlungen erreichen, allerdings müsse davor die „territoriale Integrität Syrien wiederhergestellt werden und zwar vollständig“. Alle „illegitimen“ fremden Militärs müssten das Land verlassen und nur die syrische Armee SAA habe hüten. Dann ging es doch etwas überraschend in dieser Tonart weiter.
RT
„Syrien war schon immer ein multikonfessioneller Staat und sollte darauf stolz sein“, sprach Putin, dem das Wort „multikulturell“ dann doch nicht über die Lippen ging. Die Rechte aller Minderheiten müssten dafür in der Verfassung verankert sein. Dazu müsse die bestehende Verfassung geändert werden, oder überhaupt eine neue her, das sei unabdingbar für „die künftige Regierung Syriens“. Dann gleich noch einmal: „die künftige legitime Regierung Syriens“. Die Baath-Partei hatte sich 1962 an die Macht geputscht, seitdem regiert dort dieselbe Familie, denn Baschir al Assad hatte die Macht von seinem Vater Hafis schlicht geerbt. Offiziell heißt das Land „Syrische Arabische Republik“, bis 2012 war die Vorherrschaft der Baath-Partei sogar in der Verfassung festgeschrieben. War das also recht deutlich an Assad adressiert, so ging die oben zitierte Passage direkt in Richtung der USA und Türkei. Ebenso deutlich machte Putin mit dieser Ansprache, welche Großmacht ab jetzt in der Region das Sagen hat.
Liveuamap
Wer die Kartographen sind
Mehr über die Betreiber von Liveuamap.com gibt es in diesem Interview mit Rodion Rozhkovsky aus dem Jahr 2016
Die Website Liveuamp war 2014 gegründet worden, um die Kampfhandlungen im Osten der Ukraine zu dokumentieren. Schon bald danach hagelte es Anfragen aus aller Welt, ob es denn möglich sei, auch andere Konflikte darzustellen, wie einer der Gründer in einem FM4-Interview von 2016 angegeben hatte. Von da an wurden neben dem Bürgerkrieg in der Ukraine auch die Kämpfe in Syrien eine ganze Reihe internationaler Konflikte auf der Website dargestellt. Mit einer solchen Konflikt-Website sei direkt kein Geld zu verdienen, hieß es seitens der ukrainischen Firma, deshalb werde sie als Promotions-Tool für ihre Mapping-Services benutzt, ѕagte Rodion Rozhkovsky, einer der beiden Geschäftsführer von Liveuamap.com. Trotz des rasanten Publikationstempos ist das Meldungskonvolut überraschend zuverlässig, wenn dennoch Falschmeldungen durchrutschen, werden sie sehr schnell korrigiert.
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Publiziert am 16.10.2019