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Wurst im alten FM4 Studio

Lukas Lottersberger

„Ich bin sowohl Conchita als auch WURST.“

Song-Contest-Gewinner Tom Neuwirth hat sich auf seinem neuen Album „T.O.M. - Truth Over Magnitude“ als WURST quasi neu erfunden. Statt Conchitas glamouröser Diven-Balladen, Abendroben und Perücken gibt’s nun tanzbaren Elektro-Pop, Lack, Leder und Sex. Ein Gespräch über die neue Platte, Selbstfindung, die Jurorentätigkeit bei „Queen Of Drags“ sowie die anstehende Tour.

Von Daniela Derntl

FM4: Vor kurzem ist deine neue Platte „T.O.M. – Truth Over Magnitude“ herausgekommen. Und das ist ja auch dein Debüt-Album für dein neues Projekt WURST. Die Platte ist seit ein paar Wochen heraußen. Wie waren denn die Reaktionen?

WURST: Die Reaktionen waren sehr positiv. Ich glaub, ich war am wenigsten nervös. Wahrscheinlich die Leute um mich herum etwas mehr, weil man ja nicht weiß, ob das ankommt oder nicht. Mich hat es extrem gefreut, dass auch verstanden wurde, was da gerade passiert ist, und die Musik auch gemocht wird. Ich liebe dieses Album, ich höre es rauf und runter, was für mich nicht so selbstverständlich ist. Ich bin eher so die Kategorie: Meine eigenen Sachen schaue und höre ich mir dann nicht an. Aber dieses Album liebe ich!

FM4: Welcher Song ist da gerade bei dir auf Heavy Rotation?

WURST: Momentan ist es „Can’t Come Back“, weil ich den bald live performen werde, in einer sehr besonderen Besetzung. Und deswegen muss ich mir das ein bisschen anhören, damit ich den Text weiß. Das ist immer so eine Geschichte mit dem Text. Da improvisiere ich auch manchmal gerne.

FM4: Über diesen Song wollte ich eh auch mit dir sprechen. Denn interessant ist, dass du jetzt als WURST auch Dialekt sprichst, und vorher als Conchita nur gestochenes Hochdeutsch. Gibt es jetzt auch beim Singen andere Zugänge? Denn in diesem eben erwähnten „Can’t Come Back“, klingst du ja auch ganz anders, gerade am Anfang des Songs.

Nachhören:
Das gesamte, ausführliche Gespräch von Daniela Derntl mit Tom Neuwirth gibt es hier zum Nachhören.

WURST: Ich singe so tief wie nie zuvor, und das ist tatsächlich gar nicht so leicht. Also da zu intonieren ist schon eine Herausforderung. Aber das ist auch so ein Punkt von diesem Album, dass ich wirklich auch meine ganze Bandbreite zeigen kann. Und auch eine Bandbreite zeigen kann, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie habe.

WURST über den Start des neuen Projekts

FM4: Wann war denn für dich klar, dass es so mit Conchita nicht mehr weitergehen konnte – und du dich verändern musst. Wann war der Startschuss für das neue Projekt?

WURST: Der Startschuss kam definitiv nach der Entscheidung, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Ich glaub – ganz banal – als ich aufgestanden bin, und nicht mehr glücklich war und keinen Bock mehr auf nichts hatte. Das hab ich ein paar Monate hingezogen, und dachte mir, ja, das wird schon wieder. Aber es wurde nicht wieder. Und dann habe ich mich mit mir selbst auseinander gesetzt. Ich habe dann auch eine Gesprächstherapie begonnen, weil ich mir dachte, ich komme da allein nicht mehr weiter, ich brauche anscheinend irgendwie einen neuen Input. Das hat mir extrem viel geholfen. Und ich hab dann wirklich auch verstanden, dass ich für mein eigenes Leben verantwortlich bin und ich nicht herumlamentieren kann und sagen: Die verstehen mich nicht. Und die verstehen mich nicht. Nein! Ich hab es nicht mehr verstanden, und deswegen musste ich was Neues machen.

FM4: Welche Erkenntnisse haben dich da sonst noch weitergebracht – vor allem am künstlerischen Weg?

WURST: Vor allem hab ich mein Ego einmal ganz genau angeschaut, und hab darüber nachgedacht, wie ich denn so durch die Welt gehe, und wie ich mit Menschen umgehe. Ob ich wirklich so leiwand bin, wie ich glaube? Und das sind wir leider alle nicht! (lacht) Wir verletzen Menschen mit unserer Art, und das in der Gänze zu sehen und auch zu akzeptieren, hat mir, glaube ich, diesen Freiheitsschub gegeben, auch etwas zu machen, wo jetzt niemand gesagt hätte: Ja! Elektropop! Super Idee! Und mit dieser Freiheit war es mir dann Wurst. Es war mir egal, ich hab es einfach machen müssen, und dann ist das alles passiert.

WURST über die Arbeit mit Eva Klampfer und Albin Janoska

FM4: Du musstest also durch einen dunklen Tunnel durch, und dann hast du zusammen mit Songschreiberin Eva Klampfer aka Lylit und Produzent Albin Janoska ein Licht am Ende des Tunnels gemeinsam gesehen? Kann man das so sagen?

WURST: Definitiv! Ich bin durch viele Songwriting-Camps gewandert in den letzten Jahren. Erfolglos, weil ich bin nicht so wahnsinnig talentiert, wenn es darum geht. Und dann wirklich durch einen Zufall hat mir Severin Trogbacher, der in meiner Band Gitarre spielt und auch mein Band-Leader ist, den Albin Janoska vorgestellt. Und Albin sagt so: Würdest du gerne mit der Eva arbeiten? Und ich dachte mir, das gibt es ja nicht. Da reist man durch ganz Europa, um irgendwie Songs zu schreiben, und dann sitzen sie eh alle da und warten.

Wurst

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FM4: Albin Janoska kennt man vielleicht von Count Basic…

WURST: Count Basic und Sohn produziert er auch. Man hört sich die Platte an, und versteht, worum es geht!

FM4: Eva Klampfer aka Lylit hat dir die Songs auf den Leib geschrieben. Und ich hab gelesen - und ich frage dich jetzt, ob das so stimmt - dass die Figur WURST erst während der Arbeit am Album entstanden ist. Es war also am Anfang noch gar nicht klar, für wen die Songs jetzt geschrieben werden?

WURST: Genau! Die Eva und ich haben viel darüber gesprochen, für wen das jetzt ist. Wie heiße ich dann? Geht sich das irgendwie aus? Tatsächlich waren auch schon einige Songs fertig und ich wusste, dass „Trash All The Glam“ die erste Single wird. Das war der Moment, wo wir zusammengesessen sind, und irgendwie Gedanken darüber gemacht haben, wie das Video ausschauen könnte. Und ich bin ein sehr visueller Mensch, und es kommt dann einfach plötzlich. Wir waren dann beim Location-Scouting und wir haben eben diesen Shot gesehen, dass ich da mit der Rolltreppe herunter fahre, und dann habe ich gesagt: Da muss in roten Buchstaben wie bei einem Exit-Sign WURST stehen. Das war ein Moment, in dem mir alles klar war. Das ist es auch: Ich bin sowohl Conchita als auch WURST. Es ist so absurd, wenn man darüber nachdenkt im Nachhinein. Es ist mir alles zufällig passiert. Aber das bin ich. Ich liebe Kitsch und Pomp, und all den Wahnsinn, den das Showbusiness irgendwie mit sich bringt, aber ich mag es eben auch ein bisschen derber, simpler, klarer und ohne viel Schnörkel.

WURST hat sich mit Conchita versöhnt

FM4: Du hast dich durch diese Metamorphose jetzt auch wieder mit Conchita versöhnt? Kann man das sagen?

WURST: Ja. Tatsächlich wäre ich fast wieder in die gleiche Falle getappt, weil bei diesem Projektbeginn WURST dachte ich mir auch: Jetzt gibt es keine High-Heels und Perücken mehr, und der Look ist der, und bla. Und dann denke ich mir so: Oh wow! Ich mache schon wieder das Gleiche, wie ich vorher getan habe, und schränke mich selber schon wieder so ein. Natürlich kam dann diese Fernsehshow „Queen Of Drags“ dazu, wo es darum ging, alle Facetten zu zeigen. Da hab ich mich dann angemalt, und dachte: Oh, da ist sie! Und sie ist schöner denn je! Und ich glaube, ich bin eine halbe Stunde nicht vom Spiegel weggekommen, weil ich mir gedacht habe: Oh Yes! (lacht). Ich liebe es!

WURST über seine Zukunftspläne

FM4: Ich habe den Eindruck, das deine Metamorphose noch lange nicht abgeschlossen ist. Du hast ja noch viel mehr Seiten, Personen, vielleicht auch ein ganzes Ensemble im Köcher?

WURST: Ja, ich glaube auch, dass noch einiges in mir schlummert, von dem ich noch gar nichts weiß. Ich glaube auch nicht, dass ich mich für immer und ewig nur – unter Anführungsstrichen – „nur“ in der Musik aufhalten werde. Ich will auch Bühnenbilder designen, ich will auch Mode machen, ich will Regisseur werden und Schauspieler anschreien. Ich will ein Musical schreiben über mein Leben, weil der Junge aus den Bergen gewinnt den Songcontest ist ja wie „Sound Of Music“. Sorry! Und so wird es sich auch anhören (lacht). Natürlich mache ich mir Gedanken, was das Nächste sein könnte, weil das Album ist jetzt draußen und ich gehe damit nächstes Jahr auf Tour. Darauf freu ich mich voll, aber ich will auch keinen Stillstand. Ich rühre auch schon ein bisschen herum…

WURST über „Queen Of Drags“

FM4: Du bist ja jetzt auch Juror bei der neuen deutschen TV-Sendung „Queen Of Drags“, und da hagelt es ja auch aus der queeren Community Kritik an deiner Mit-Jurorin Heidi Klum, weil die ja gar nichts mit Queer und Drag zu tun hat. Du verteidigst deine Kollegin klarerweise. Aber da geht es schon ziemlich ab, oder?

WURST: Ja voll. Zum einen denke ich mir, jeder hat eine Meinung. Eh super! Was dieser Aufschrei aus der Community gerade gezeigt hat, ist, dass dein Charakter nicht von deiner sexuellen Orientierung abhängt, weil diese Community möchte soviel Inklusion und Verständnis, und dann geht sich das irgendwie nicht aus. Das finde ich jetzt auch ein bisschen widersprüchlich. Ja, natürlich gibt es nicht nur Fans von Heidi Klum, und ich kannte sie vorher auch nicht, und ich muss sagen, dass diese Zusammenarbeit einfach eine Gaudi war. Und sie war sich dessen total bewusst, dass das irgendwie kontroversiell ist, und sie war einfach so respektvoll und so drinnen und hat Fragen gestellt ohne Ende und wollte einfach ein Teil davon sein. Ich finde, wenn es darum geht, Kandidaten zu beurteilen, ist es uns immer darum gegangen, zu beurteilen, ob sie besser werden. Weil ich hätte am liebsten, das all diese zehn Queens nachher eine Karriere haben, und davon leben können. Und ich würde ihnen gerne das mitgeben, was ich schon gelernt habe.

FM4: In der Drag-Kultur geht es auch sehr viel um Body-Positivity. Und da ist halt Heidi Klum als Scharfrichterin von „Germanys Next Topmodel“ nicht unbedingt die Richtige für sowas?

WURST: Ja, „Germanys Next Topmodel” ist aber ein ganz anderes Format. Und absolut richtig, dass da ein Körperbewusstsein vermittelt wurde, das definitiv nicht gesund ist. Aber auch in dieser Sendung gab es einen Lernprozess, den man über die letzten Jahre gesehen hat.

WURST über Pink-Washing

FM4: Ein weiterer Vorwurf an der Sendung war auch noch das sogenannte „Pink Washing“. Also dass da jetzt ein Sender und eine Moderatorin, die sonst mit dieser queeren Kultur und Szene nichts zu tun haben, Kapital daraus schlagen. Und du bist quasi das queere Feigenblatt auf dem Ganzen. Was sagst du dazu?

WURST: Das ist ein absolut legitimer Kommentar. Ich möchte sagen, dass ich sie genauso instrumentalisiere. Weil ich kannte Heidi vorher auch nicht, aber sie schafft uns den besten Sendeplatz, auf einem der größten Privatsender, um zeigen zu können, was die queere Community drauf hat, um den Menschen zu zeigen, was es noch alles gibt. Na sicher! Entschuldige! I get it – Pinkwashing, et cetera. Aber ich ziehe ja auch meinen Nutzen daraus, um zeigen zu können, wie cool es ist, wenn man lässig miteinander umgeht, und wie super es ist, wenn man sich unterstützt. Und wie super es ist, wenn jeder einfach so sein kann, wie er sein möchte. Und ich liebe das auch an dieser Show. Da geht es ab wie nur was. Aber wenn es dann hart auf hart kommt, halten sie zusammen. Und ich finde, genau darum geht es!

WURST über das Eurosonic-Festival

FM4: Sprechen wir noch über deine kommende Tour. Im Jänner spielst du beim Eurosonic Festival in Groningen, und das ist ja ein Showcase-Festival für Newcomer. Und du bist ja nicht mehr wirklich ein Newcomer! Aber wie ist es jetzt so für dich, noch einmal ein bisschen von vorne anzufangen? Kleinere Hallen zu bespielen, vielleicht auch nicht mehr so viele Annehmlichkeiten zu haben. Wie ist das jetzt für dich, das du bei einem Newcomer-Festival spielst?

WURST: Ich finde es so geil, dass ich jetzt bei den coolen Kids mitmischen darf, und freue mich natürlich auch extrem auf dieses Festival, weil es ist was Neues für mich. Ich kenne diese Art von Festivals nicht. Vor allem nicht als Künstler. Und das Publikum kenne ich auch nicht. Und von dem her fühle ich mich als Newcomer. Aber das ich kein Newcomer in dem Sinne mehr bin, ist mir auch klar. Aber ich habe es laut gesagt, und jetzt glauben es alle! (lacht).

WURST über die Konzerte in Polen

FM4: Das glaubt dir Niemand! Spannend wird es auch Anfang Februar für dich, denn da spielst du zweimal in Polen, in Warschau und Krakau. Und der Chef der polnischen Regierungspartei PIS hat heuer Homosexuelle und Transgender-Personen zu „Staatsfeinden“ erklärt. Du kannst dann dort also nur mit massiven Schutzmaßnahmen und Sicherheitsvorkehrungen auftreten. Wie geht es dir da damit? Auf der einen Seite willst du natürlich ein Zeichen setzen, auf der anderen Seite ist es auch nicht ungefährlich.

WURST: Ja, zum einen bin ich schon ein ziemlich unbedarftes Lämmchen, wenn es um das geht, weil ich sehe in Allem immer nur das Gute. Ich hatte einmal, als ich in St. Petersburg war, 24 Stunden lang Personenschutz. Das fühlt sich komisch an. Ich weiß nicht, ob es in Polen auch so der Fall sein wird. Ich will nicht zynisch klingen, aber ich – als so eine öffentliche Person – hab schon aufgrund dieser Öffentlichkeit einen gewissen Schutz, weil wenn was passieren sollte, dann würde es halt große Aufmerksamkeit erregen. Und deswegen sehe ich meine Sicherheit jetzt vielleicht gar nicht so im Vordergrund. Ich freue mich einfach, dass ich für meine Fans dort spielen kann, weil ich hab extrem viele aus dem Osten, und ich hätte mit denen einfach gerne eine geile Zeit!

FM4: Danke für das Gespräch und Alles Gute!

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