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Das österreichisch isländische Duo Oehl

Tim Cavadini

FM4 Soundpark Act des Monats

Oehl: Poetischer Pop für die Nacht

Luftig-leichte Popsongs mit poetischen Texten, die mit sanfter Stimme von Abschied, Tod und Zukunftsängsten erzählen, ohne die Hoffnung zu verlieren. Das isländisch-österreichische Duo Oehl ist unser Soundparkact des Monats Jänner.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Die Stimme von Ariel Ohel umarmt einen wie ein langjähriger Freund, der einem selbst in den schwierigsten Zeiten beisteht und Mut einzuflüstern vermag. Die Bass-Läufe von Hjörtur Hjörleifsson bingen selbst das härteste Anti-Pop-Herz zum Schmelzen.

Über den luftig-leichten Groove und die sanften Synthie-Klänge der ersten Single „Wildnis“ verschieben Oehl den Fokus. Während wir oft der Natur einen wilden Charakter zuschreiben, ist es eher das alle Bäume überragende „Handymastgestell“, das für Ari das Wilde in der Welt kennzeichnet. Abgesehen von dem Kunststück, dieses Wort so weich singend in einen Popsong zu verpacken, war bei der Veröffentlichung dieser Single ziemlich schnell kalr: Dieses Duuo ist etwas ganz Eigenständiges und Besonderes. Und dann ging alles recht schnell.

Das gute alte Radio

Ariel und Hjörtur, die sich in ihrer Jugend in Salzburg kennengelernt haben, haben sich mit Österreichs Top-Produzent Marco Kleebauer, Mitglied von Leyya und Knöpfchendreher bei Bilderbuch, ins Studio begeben, um ihre Songgerüste und die Textfragmente in eine unendlich klingende Soundlandschaft einzubetten. Dabei ist viel experimentiert worden. Sogar der Klang zu Boden fallender Schlüssel wird durch Sampler und Programme gejagt und kann sich in einem der Songs als Soundfläche wiederfinden.

Albumcover "Über Nacht" Oehl

Ink Music/Grönland Records

Das Debütalbum „Über Nacht“ von Oehl erscheint am 24.1.2020 auf Grönland Records.

Als die ersten Singles durch den Musiker Casper auch den Weg ins deutsche Radio finden, wird Herbert Grönemeyer auf das Duo aufmerksam und bemerkt gleich: „Wunderbarer cooler, unkitschiger deutschsprachiger Pop. Sehr eigenständig, klug und künstlerisch besonders. Sehr ungehört und neu. Klasse.“ Das hat zur Folge, dass der vierte Gig der Band statt vor ein paar Hundert Leuten gleich vor 22.000 stattfindet. Die große Stadiontour mit Herbert Grönemeyer und die Lizensierung ihres Debüts „Über Nacht“ auf Grönland Records ist ein unglaublicher Karriereboost, den man wohl so nicht konstruieren und erzwingen kann. Vielleicht ist es deshalb auch so eine schöne Geschichte, die den Glauben daran aufrecht erhält, dass sich gute und eigenständige Musik noch immer durchsetzen kann.

Aber es ist nicht nur die Musik. Das Gesamtkonzept von Oehl ist einfach stimmig und gefühlvoll umgesetzt. Herausragend und auch eigenwillig ist dabei das Video zu „Tausend Formen“, ein Song, der die Suche nach dem Sinn des Lebens beschreibt. Vielleicht sogar die Suche nach Gott. Umgesetzt mit einer ungeschnittenen Autofahrt, bei der der grandiose österreichische Schauspieler Alexander E. Fennon rein mit seiner Mimik uns eine Geschichte vermittelt, die gleichzeitig genügend Interpretationsspielraum lässt, um die Spannung aufrecht zu erhalten.

Der poetische Kontrapunkt

Wenn man die Songs von Oehl zum ersten Mal hört, könnte man vermuten, es seien geschmeidige, sich einschmeichelnde Popsongs, die wahrscheinlich Liebesthemen verhandeln. Doch mit viel Geschick und dem einen oder anderen Zitat von Rilke und Goethe kontempliert Sänger Ari über die eher dunklen Seiten des Lebens. Selbst ein luftig-flockiger Song wie „Wolken“ ist eigentlich ein Abschiedslied, bei dem die Sehnsucht nach Schatten und Nacht einen sehr offensichtlichen Kontrapunkt zur musikalischen Stimmung bietet.

Selbst das wundervolle Stück „Keramik“, das Ari seinem Sohn gewidmet hat, der auch im Video zu sehen ist, handelt von dem sorgenvollen Blick eines Vaters in die Zukunft. Existenzielle bis hin zu spirituellen Fragen werden sehr berührend mit diesem ganz speziellen Timbre gesungen, sodass hier die Tiefe der Gefühle sofort spürbar wird. Gleichzeitig wird das Ganze mit einem tanzbaren Beat, eingängigen Melodien und dem Gesang von Sophie Lindinger von Leyya vorgetragen, sodass sich unweigerlich ein hoffnungsvolles Lächeln im Gesicht breit macht.

Der Soundtrack für jede Nacht

„Über Nacht“ verzaubert einen vom ersten Ton an und entführt uns in eine Welt voller träumerischer Klänge, wiedersprüchlicher Gefühle, komplexer Geschichten und zugleich ohrwurmtauglicher Popmusik. Geschrieben in und für die Nacht, wie Ari und Hjörtur meinen. So hat Ari die Texte in den frühen Morgenstunden geschrieben und die meisten Songskizzen sind in der Nacht entstanden, in der sich die Ruhe und die Stille über die Stadt legt. Das Album ist aber auch für all jene, die die Nacht gerne tanzend verbringen. Denn Oehl verbinden die entspannende mit der energetisierenden, die nachdenkliche mit der hedonistischen Seite. Es ist ein perfekter Soundtrack für das neue Jahrzehnt, vielleicht sogar der Soundtrack für den Weg durch die großen Unsicherheiten und die großen Fragen hin zu einer möglichen, besseren Utopie. Mit den Songs von Oehl im Ohr scheint auf alle Fälle vieles leichter zu gehen.

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