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Jay Electronica

The Come Up Show from Canada / CC BY (https://creativecommons.org/licenses/by/2.0)

Die Rückkehr, mit der keiner mehr gerechnet hatte

Der ehemalige Rap-Hoffnungsträger Jay Electronica legt mit zehn Jahren Verspätung auf „A Written Testimony“ wortgewaltig und metaphernreich Zeugnis über sein bisheriges Leben ab - mit Jay-Z als einer Art blindem Passagier. Viel zu besprechen für den FM4 HipHop-Lesekreis.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Es ist etwas mehr als zehn Jahre her, seit Rap-Fans weltweit sehr viel Hoffnung in Jay Electronica setzten. Wie weit diese Ära von der jetzigen weg ist, kann man anhand von Technologien und Referenzen erahnen, die seinen schnellen Aufstieg begleiteten: Wir hörten den in New Orleans aufgewachsenen Rapper erstmals auf Myspace und er rappte 15 Minuten lang episch über Auszüge des Soundtracks zu Eternal Sunshine Of The Spotless Mind. Der Klassiker Exhibit C wurde etwas später in den damals sehr wichtigen HipHop-Blogs hymnisch gelobt - und wir alle warteten gespannt darauf, was der Mann mit den ultraflexiblen Silben wohl als nächstes machen würde.

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Doch dann kam... fast nichts mehr. Das Jay Electronica Album wurde bald in einem Atemzug mit Dr. Dres Detox genannt, einem mythischen Longplayer, den abseits von vereinzelten Bootleg-Songs wohl niemand je zu hören bekommen wird. Da bekamen wir zeitweise sogar aus Mr. Electronicas Privatleben mehr zu hören: Die Beziehung zu seiner damaligen Managerin Kate Rothschild schlug große Gossip-Wellen in der notorisch brutalen britischen Presse, weil sie auch ein Grund für deren high profile Scheidung von einem anderen Milliardenerben war.

Jay Electronica, den Rapper, bekamen wir im letzten Jahrzehnt hingegen nur auf vereinzelten Gastversen mit - wo er aber das Niveau und die Informationsdichte weiterhin sehr hoch hielt. Dass aus all den Songs, an denen er wohl die letzten 3600 Tage mehr oder weniger intensiv gearbeitet hatte, doch noch ein Album wurde, ist Jay-Z zu verdanken. Der Rapper/Mogul hat, so muss man annehmen, seinen perfektionistischen Kollegen überredet, die Stücke endlich in Richtung Welt loszulassen. Dabei hat sich Sean Carter aber auch selbst auf acht der zehn Songs verewigt, was die Freude ein wenig trübt. Wenn Jay-Z etwa mehrmals das Wort Allah in den Mund nimmt, verwundert das - hatte er doch bislang in seinen Texten religiöse Gefühle für die grünen Scheine reserviert. Gerade an der Seite eines Rappers wie Jay Electronica wirkt das besonders unglaubwürdig.

Some ask me „Jay, man, why come for so many years you been exempt?"/
Cause familiarity don’t breed gratitude, just contempt/
And the price of sanity is too damn high, just like the rent

Denn der tut auf A Written Testimony eigentlich genau das, was wir uns immer gewünscht haben und flicht Koran- und Bibelzitate mit ganzen Zeilen auf Spanisch, Arabisch oder Patois zusammen. Er rappt mühelos virtuos über kaum bearbeitete obskure Loops, und klingt dabei so zeitlos, dass auch das tatsächlich schon 2010 erschienene Stück Shiny Suit Theory kaum heraussticht.

Vor zehn Jahren hätte uns dieses Album auch ohne Wenn und Aber begeistert. Heute tut es das nicht mehr bedingungslos, was aber mitunter mehr mit uns zu tun hat, als mit Jay Electronica. Dass es trotzdem schön ist, ihn wieder über mehrere Songs rappen zu hören, hat der FM4 Hip Hop Lesekreis, bestehend aus Ole Weinreich, Mahdi Rahimi, Natalie Brunner und meiner Wenigkeit diesmal via Audioschaltung besprochen. Als besonderes Anschauungsmaterial diente Ghost Of Soulja Slim, dass einer New Orleans Legende Tribut zollt, aber auch ein paar umstrittene Textzeilen enthält, genauso wie APIDTA, wo Jay und Jay über ein wunderschönes Khruangbin-Instrumental über die Telefonkontakte nachdenken, von denen sie leider nie wieder hören werden.

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