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Die „L.A. Originals“ Estevan Oriol und Mister Cartoon

Estevan Oriol und Mister Cartoon sind die Essenz der urbanen Kultur der Westküste der 1990er Jahre, die bis in die Gegenwart reicht: Graffiti, HipHop, Lowrider und Tattoos. Sie haben die Ästhetik einer Kultur geschaffen, ohne zu verleugnen oder zu beschönigen, wo die Wurzeln liegen.

Von Natalie Brunner

In den frühen 90er Jahren befanden sich der Fotograf Estevan Oriol und der Tätowierer Mister Cartoon noch auf getrennten kreativen Bahnen, aber bereits in einem ähnlichen Orbit.

Beide kommen aus mexikanischen Familien, sind born and raised in Los Angeles und trugen essenziell dazu bei, dass es im Lauf der 90er Jahre zu einer Blüte der Latino-HipHop-Kultur in Los Angeles kam: Diese sich auf mexikanische Working-Class-Traditionen beziehende Form von HipHop eroberte sich den ursprünglich rassistischen Begriff „Cholo“, der eine Verbindung zu Gang Kultur impliziert, zurück.

Estevan Oriol war damals als Tourmanager, persönlicher Fotograf und Freund von Cypress Hill in allen Lebenslagen der Band dabei. Mister Cartoon war ursprünglich Graffiti-Writer und Lowrider-Airbrush-Künstler. Das Treffen der beiden 1992 war der Beginn einer sich über vier Dekaden ziehenden Bromance, deren künstlerischer Output Jugendkultur weltweit geprägt hat.

Nicht nur die gesamt Ästhetik von Cypress Hill und das Logo von Eminems Shady Records, sondern Hunderte Plattencover, Musikvideos, Portraitfotos von Musiker*innen, und Zusammenarbeiten mit Streetwear-Giganten waren die Früchte des Zusammentreffens dieser zwei verwandten Seelen, dessen Geschichte Estevan Oriol selbst jetzt in der Dokumentation „L.A. Originals“ erzählt.

Oriol nahm Mister Cartoon mit auf die Tourneen, die er managte, und Cartoon begann backstage, die Musiker*innen in seinem unverkennbaren, filigranen, schwarz-grauen Stil zu tätowieren, und wurde schnell zum Tätowierer der Stars.

Oriol dokumentierte das alles im permanenten Austausch mit seinem BFF. Kobe Bryant erzählt in „L.A. Originals“, wie er in einem Luxushotel in Shanghai wegen seiner Tattoos gemäß der Policy der Hotel Bar verwiesen wird und die junge Frau, die ihren Job macht, während sie ihn bittet zu gehen, ihn zu seinem Mister-Cartoon-Kunstwerk unter der Haut beglückwünscht.

In der 92-minütigen Doku arbeitet Oriol mit Aufnahmen aus seinem Archiv und kombiniert Interviews mit berühmten Fans und Kund*innen wie Dr. Dre, Snoop Dogg, Eminem, 50 Cent, Nas, Beyoncé, Everlast und Cypress Hill, Danny Trejo. So wird die Geschichte der Freundschaft und des anhaltenden Einflusses des Duos Oriol und Mister Cartoon auf die HipHop-Kultur erzählt.

Es ist bewegend, wie die beiden die Kultur, die sie in ihrer Kunst visualisieren, leben und atmen und sich ihre Authentizität bewahren, egal, in welchen Kontext die zunehmende Berühmtheit sie verschlägt. "Wir wollten die Chicano-Kunst so weit bringen, wie es uns möglich war. Wir wollten unsere Kunst Leuten zeigen, die nicht Teil unserer Kultur waren und keinen Zugang zu ihr hatten, ihnen zeigen, wie wir zeichnen und welchen Stil wir haben und warum wir ihn haben“, sagt Mister Cartoon im Interview über die Doku.

Ich hab „L.A. Originals“ zweimal gesehen. Nach dem ersten Mal hatte ich Albträume wegen der realness, die zu sehen ist, und der Formen der Gewalt, von denen sie herrührt. Beim zweiten Mal im Wachzustand hatte ich Tränen in den Augen: Mister Cartoon und Estevan Oriol haben eine mächtige und unvergängliche Plattform für sich und Tausende Latinx geschaffen, ohne den Bezug zur realness zu verlieren.

„L.A Originals“ ist so viel mehr als eine Musikdoku, weil es Cartoon und Oriol darum geht, ihre Kultur zu repräsentieren, in allen Facetten. „L.A. Originals“ wird so auch zu einem Portrait des einzigartigen, schrecklichen, schönen Monsters Los Angeles, wo sich nur wenige Kilometer vom globalen Zentrum der Entertainmentindustrie die infernalisch verwahrloste Downtown der Skid Row befindet.

Mister Cartoon tätowiert Eminem

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Genau dort waren die Soul Assassins Studios, wo Lowrider parkten, Beyoncé, Dr. Dre, Eminem, Mobb Deep und auch Justin Timberlake sich von Mr. Cartoon stechen ließen und die Mitarbeiter des Plattenlabels die Chefs der damals noch großen und mächtigen Majors, die zu Besprechungen kamen, warten ließen, um sich um den Freund des Hauses zu kümmern, dessen Heroin-Nickerchen im Altpapiercontainer schon etwas zu lange dauerte.

Snoop Dogg, der in „L.A. Originals“ eine prominente Rolle als Erzähler spielt, huldigt Cartoon mit den Worten, er sei der einzige, der Snoop und seine Kinder tätowieren dürfe. Snoop und ich sind uns einig: Estevan Oriol und Mister Cartoon sind die Essenz der urbanen Kultur der Westküste der 1990er Jahre, ohne zu verleugnen oder zu beschönigen, wo die Wurzeln liegen.

Ich habe auch im FM4 HipHop-Lesekreis mit Mahdi Rahimi, Stefan Trischler und Ole Weinreich ausführlich über den Film und seine Protagonisten gesprochen:

FM4 HipHop-Lesekreis: Die Dokumentation 'LA Originals'

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