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Portraitfoto Pieter Gabriel alias Sleep Sleep

Clemens Schneider

Austrian Act of the day

Sleep Sleep: Ein Beziehungsalbum wie ein Mixtape

Sieben Jahre hat sich Produzent und Musiker Pieter Gabriel alias Sleep Sleep Zeit gelassen, um sein Konzeptalbum „The Lost Art Of Questioning Everything“ fertigzuschreiben. Das Ergebnis ist ein opulentes und zeitloses Popwerk.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Die Zweifler. In unserer Gesellschaft gehören sie zu den Losern, den Menschen, die nicht dynamisch und schnell sind, um sich ihren Erfolg zu sichern, um die Ersten zu sein. Sie gehören oft zu denen, die nach Ansicht der Anderen Problemwälzer sind, alles hinterfragen und dadurch blockieren. Allerdings kann man auch eine andere Sicht auf das Zweifeln haben. Es ist eine Form der kritischen Reflexion, ein Versuch, herauszufinden, was man im Innersten will. Es ist eine Suche und ein Streben nach dem im Grunde besten Ergebnis. Wie bei den meisten Dingen im Leben geht es auch hier wohl um eine gute Balance zwischen Zweifeln und Agieren.

Das weißt auch Pieter Gabriel alias Sleep Sleep, Produzent, Musiker, Sänger und Songschreiber. Er spricht gerne von sich als „langsamer Arbeiter“, was vielleicht zu einem gewissen Teil an seinem Zweifeln liegt. Nicht umsonst hat er sein neues Album, das ganze sieben Jahre nach dem Vorgänger „Gospel“ erscheint, „The Lost Art Of Questioning Everything“ getauft.

Pieter: „Der Titel passt ganz gut zu mir. Ich hinterfrage meist alles, bis es keine Antworten mehr gibt. So auch bei vielen meiner Songs. Es ist aber auch etwas, woran ich arbeiten möchte. Weil ständige Hinterfragen auf Dauer auch zermürbend ist. Gleichzeitig braucht man als Künstler das Hinterfragen. Es geht wahrscheinlich um einen gesunden Mittelweg.“

Das Ergebnis dieses Mittelwegs der letzten Jahre liegt jetzt mit diesem wunderschönen, opulentem Album vor.

Ein Beziehungsalbum jenseits der Klischees

Die Platte startet mit einem Fieldrecording. Man hört ein Tennismatch und das Gestöhne beim Schlag der Bälle. „The City“ ist ein schöner, metaphorischer Einstieg in „The Lost Art Of Questioning Everything“, schließlich drehen sich die Songs um den positiven und negativen Schlagabtausch einer zu Bruch gegangenen Liebe. Was dann musikalisch folgt, ist jedoch nicht eine tieftraurige Ballade, sondern ein beschwingter Popsong mit Chorgesang im Refrain und euphorischen Melodien. Auch der dritte Song „1979“, bei dem vielleicht Frank und Nancy Sinatras „Something Stupid“ unbewusst Pate gestanden ist, vermittelt einen positiven Sommer-Vibe.

Wie passt das zu dem Konzept des Albums, eine gescheiterte Beziehung aufzuarbeiten? Pieter Gabriel hat erst einen Weg finden müssen, die teils vor elf Jahren entstandenen Songskizzen und Erfahrungen in ein stimmiges Werk umzusetzen, das nicht die Klischees einer Post-Breakup-Platte erfüllt.

Pieter: „Es gibt ja diese klassischen Trennungsalben wie Bon Ivers erstes Album, Joni Mitchell’s Platte ‚Blue‘ oder ‚Sea Change‘ von Beck. Die sind alle in Moll gehalten und stellen die Trauer sehr zur Schau. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte eine Platte machen, die wie ein Mixtape einer Beziehung klingt. Deshalb ist die erste Hälfte auch sehr leicht und luftig.“

Albumcover von "The Lost Art of Questioning Everything" von Sleep Sleep

Sleep Sleep

„The Lost Art of Quenstioning Everything“ von Sleep Sleep erscheint am Freitag 15.5. auf 19Eightyone Records.

Pieter Gabriel ist ein cleverer und begnadeter Songwriter. Deshalb ist auch das neue Album nicht einfach eine chronologische Nacherzählung der Beziehung geworden. Vielmehr mischen sich Themen und Momente, die durch die Songs wie Blitzlichter der Beziehungserinnerungen aufflackern. So kann eine Nummer wie „The Room“ inhaltlich von einer schlaflosen Nacht handeln, in der man Gedanken wälzt, und musikalisch trotzdem mit einem flockigen Bolero-Rhythmus und schwungvollen Klavierakkorden daherkommen. Gegen Mitte der Platte ändert sich ein bisschen der Ton. Das Stück „One For The Road“ sticht nicht nur vom Sound her heraus, es repräsentiert eigentlich gut die Art und Weise, wie Pieter Gabriel an das thematische Aufarbeiten und Arrangieren von Songs herangeht.

Pieter: „Der Song ‚One For The Road‘ ist aus der Idee heraus entstanden, über einen repetitiven Beat so viele verschiedene Gesangsmelodien wie möglich zu legen. Ich habe mich da ein bisschen von dem Rapper Young Thug inspirieren lassen. Das Storytelling ist zeitverschoben, so Pulp-Fiction-artig angelegt. Jede der fünf Strophen spielt zu einem anderen Zeitpunkt. Es sind individuelle Snapshots aus einer Beziehung.“

Popkulturelle Zitate einer Big Band

Pieter Gabriel hat es schon immer geliebt, in seiner musikalischen Arbeit popkulturelle Referenzen einzubauen. Wenn er nicht gerade wirklich an Cover-Versionen arbeitet, wie zuletzt an der Nirvana EP seiner CVRS-Serie, dann streut er zum Beispiel Songtitel und Textzeilen ein, die an Filme und Bands erinnern. Bei dem vorliegenden Album heißt ein verträumtes Stück „Vanilla Sky“, und man hat sofort den Film von Cameron Crowe im Kopf. Das erwähnte, etwas rockige Stück „One For The Road“ könnte einen an den gleichnamigen Song der Arctic Monkeys erinnern. Und das sommerliche „1979“ ist namensverwandt mit einer von Pieter Gabriels Lieblingsnummern von den Smashing Pumpkins.

Derart deutliche musikalische Referenzen sind da schon schwieriger auszumachen. Dafür ist der Sound zu dicht verwoben, die Stücke zu eigen komponiert und arrangiert. Dass Pieter diesen ganz eigenen Stil, den er beim Schreiben der Songs im Kopf hat, auch soundtechnisch so gut umsetzten konnte, liegt an der Zusammenarbeit mit Co-Produzent Stefan Plattner-Deisenberger und vielen Gastmusiker*innen.

So sind bei dem Hollywood-mäßigen Opus „Los Angeles“ die Streicher von Lukas Lauermann und Emily Stewart zu hören, wie auch die Stimmen von Sophie Lindinger von Leyya und Katarina Maria Trenk von den Sex Jams. Das organische Schlagzeug stammt von Garish-Drummer Max Perner und David Schweighart, den wir von Voodoo Jürgens’ Band Ansa Panier kennen. Außerdem mit dabei im Studio waren Martin Mitterstieler von Nowhere Train und Hanibal Scheutz von den 5/8erl in Ehr’n. Man könnte sagen, dass auf dem Album eine richtige Indie-Big Band zu hören ist.

So ist „The Lost Art Of Questioning Everything“ sowohl musikalisch als auch inhaltlich ein sehr vielschichtiges Album geworden. Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Der Sound, die Liebe zum Detail, das lange Zweifeln und sich selbst zu fragen, wie es besser klingen könnte, sowie das aufwändige Ausarbeiten der Songs haben ein zeitloses Meisterwerk entstehen lassen, das man immer wieder hören kann. Ob nun zu Beginn, in der Mitte oder am Ende einer Beziehung, oder auch, wenn man alleine die ersten sommerlichen Tage genießen möchte.

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