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Denzel Curry

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HipHop-Lesekreis

Der Soundtrack zum Uprising

Denzel Curry, Terrace Martin, Kamasi Washington und Daylyt verarbeiten in „Pig Feet“ ihre persönlichen Erfahrungen mit Polizeigewalt zu einem sehr dringlichen Gesamtkunstwerk. Der FM4 HipHop-Lesekreis analysiert.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

„The video to this song is happening right outside your window“

Die Bilder, die diesem Intro folgen, sind aus den letzten Wochen eindrücklich bekannt. Tumult, prügelnde Polizisten, Tränengas, Menschen niedermähende Einsatzwagen - die mit riesigen Budgets und überschüssigem Kriegsgerät ausgerüsteten Polizeidepartments verschiedener US-Metropolen haben vor der Weltöffentlichkeit den Beweis angetreten, dass sie ihr altes Motto To Protect and to Serve nur noch bedingt ernstnehmen.

Der Polizei-Mord an George Floyd in Minneapolis vor etwas mehr als zwei Wochen hat weltweit hunderttausende Menschen auf die Straßen gehen lassen. Dass sich dadurch nie dagewesener öffentlicher Druck gegen institutionellen Rassismus aufgebaut hat, kann man auch an den panischen Reaktionen großer Organisationen ablesen. Die geradezu uramerikanische Institution NFL hatte ja etwa den Quarterback Colin Kaepernick wegen symbolischen Kniens während der Bundeshymne quasi aus dem American Football verbannt. Jetzt musste ihr Chef offiziell eingestehen, was für ein großer Fehler das war - aber erst nachdem viele der großen (afroamerikanischen) Stars des Sports dies öffentlich eingefordert hatten.

Einerseits ist das wie so viele plötzliche Erleuchtungen und Lernprozesse dieser Tage eine recht eindeutige Antwort auf die Frage, welche Art von Protest effektiver ist. Andererseits wird man auch hier die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit erst dann sehen, wenn das globale Scheinwerferlicht weitergezogen ist. Aber wenn selbst die große Angela Davis trotz ihrer lebenslangen Erfahrung optimistisch ist, wollen wir das vorerst auch sein!

Zurück zum Song ‚Pig Feet‘: Der extrem umtriebige Produzent Terrace Martin, der nicht zuletzt auf To Pimp A Butterfly zwischen Jazz und HipHop vermittelte, hat da sehr kurzfristig einige der interessantesten Köpfe der Musikszene von LA versammelt. Rapper Denzel Curry etwa hat letztes Jahr mit seinem Zuu Album begeistert. Die Wut in seinem Vers ist hochpersönlich, starb doch sein älterer Bruder vor sechs Jahren in der sprichwörtlichen Polizeigewalt. Zudem deutet er eine berühmte Zeile von West Coast-Legende Snoop Dogg um:

Murder was the case they gave us
Manipulate the system so the prison could save us
Nothin’ can save us

Saxophonist Kamasi Washington erinnert in den ruhigen Momenten an sein gigantisches Vorbild John Coltrane, der 1963 im Stück Alabama vier bei einem rassistischen Terroranschlag getötete Mädchen beklagte. An anderen Stellen kombinieren sich seine schnell wiederholten Tenor-Phrasen mit den druckvollen Drums und den Raps zu einer klanglichen Dringlichkeit, die an die Bomb Squad-Produktionen für Public Enemy gemahnt. Der vierte im Bunde, Daylyt, ist eigentlich als Battle Rapper bekannt und bringt wie in seinen Acapella-Performances auch hier vielschichtige Zeilen:

We gon’ ask you is this a cop-out?
Bring the cops out, bring the pigs
You see the pigment

Nachdem der letzte Ton des Saxophones verstummt ist, laufen für mehr als zwei einhalb Minuten die Namen von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern über die Leinwand, die von Polizisten ermordet wurde. Wie Filmcredits aus der Hölle erinnern uns diese Namen, worum es bei diesen Protesten eigentlich geht: Dass eine strukturell rassistische Staats-Gewalt, die ohne echte Konsequenzen unschuldige Menschen tötet, nicht länger toleriert werden kann. Und darüber sollte es darüber keine Diskussion geben müssen.

Der FM4 HipHop-Lesekreis mit Natalie Brunner, Mahdi Rahimi, Ole Weinreich und meiner Wenigkeit hat über das alles und mehr gesprochen:

FM4 HipHop-Lesekreis: Terrace Martin, Denzel Curry, Kamasi & Daylyt - Pig Feet

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