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Bandfoto Kreisky mit Weichzeichner

Ingo Pertramer

Kreiskys „Atlantis“: Gitarrenrock der Versöhnlichkeit

Wir kennen sie als wütende, energiegeladene Rockband. Mit dem sechsten Studioalbum „Atlantis“ sucht die Wiener Band Kreisky jedoch nach dem Weg der gegenseitigen Verständigung und Versöhnlichkeit und öffnet sich mehr dem Experimentieren und der Elektronik.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Wenn man an die Wut-Rocker Kreisky denkt, kommt einem als erstes ein Song wie „Scheiße, Schauspieler“ mit seinem markanten Refrain in den Sinn. Die Band aus Wien rund um Sänger und Texter Franz Adrian Wenzl, der gerne auch als Austrofred in der heimischen Szene sein Unwesen treibt, hat den Wutbüger durch ihre Charaktere sprechen lassen, ihn aber auch ins Visier der spitz formulierten Alltagsbeobachtungen genommen.

Auf „ADHS“, der ersten Single auf „Atlantis“, Kreiskys sechsten Studioalbums, scheint die Wut noch immer die Antriebsfeder für die gut geölte Rockmaschine zu sein. Doch tritt man einen Schritt zurück und betrachtet das von Franz Adrian Wenzl heraufbeschworene Bild des Nachbarstreits, zeigt er durch den Text vielmehr die Gründe für Konflikte und ermöglicht dadurch Veränderung, wenn nicht gar Mitgefühl und Versöhnung. Aber wie hat es für die ewigen Grantler Kreisky so weit kommen können?

Die Wandlung des Wutbürgers

Als sich Kreisky vor 15 Jahren gegründet haben, gab es ein klares Konzept. Franz Adrian Wenzl wollte sich von der „Schundstufe der Hamburger Schule“ abgrenzen, wie er es nennt, die mit ihren gefühligen, schrammeligen und oft weichen Songs seine Füße schon nach wenigen Minuten zum Einschlafen gebracht haben. „Wir wollten eine zackige Rockband machen, mit Anzügen, scharf nach vorne, mit spitzen Gitarren. Das hat maßgeblich unser Soundbild geprägt.“, so Franz Adrian Wenzel im Interview.

Da Wenzel seine Texte immer als Reaktion auf die Musik geschrieben hat, passte es sehr gut, dass sein schreiender Gesang - der anfänglich übrigens der lauten Proberaumsituation geschuldet war - das Sprachrohr der Wutbürger geworden ist. Oder aber auch jener Wut, die sich gegen eben solche Menschen richtet, die starrköpfig und kleinlich das Leben ihrer Mitmenschen zur Hölle machen.

Doch der Einfluss des Weltgeschehens macht auch vor der Band Kreisky nicht halt. Was vor einigen Jahren noch recht gut funktioniert hat, ist heute kein Anknüpfungspunkt mehr, wie Franz Adrian Wenzel erklärt:

Kreisky Albumcover zu "Atlantis"

Kreisky / Wohnzimmer Recrods

Das neue Kreisky Album „Atlantis“ sollte schon im August erscheinen. Aufgrund der Pandemie wird es jetzt am 22. Jänner 2021 auf Wohnzimmer Records veröffentlicht. Übrigens genau an dem Tag vor 110 Jahren wurde der Namensgeber der Band, Bruno Kreisky in Wien geboren.

„Ich habe für meine Text-Ideen damals Menschen beobachtet und geschaut, worüber sind sie wütend. Und das waren meist Lappalien. Das war eine super Erzählhaltung, dass sich jemand aufregt, was nicht so wichtig ist. Das Thema der Wut hat sich in den letzten Jahren jedoch verändert. Der Wutbürger ist nicht mehr der, der seinen Stock gegen die Tauben erhebt oder sich an der Supermarktkassa aufregt. Heute sind es Menschen, die zu tausenden auf die Straße gehen und deren Wut unter anderem Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist. Das heißt, dieses Haupterzählmittel stand mir nicht mehr zur Verfügung.“

Dazu kommt, dass sich im Laufe der letzten Jahre auch mit dem neuen Bassisten Helmuth „Lelo“ Brossmann, den wir von der Band „Destroyed But Not Defeated“ kennen, der Sound geändert hat. Das strenge Konzept ist immer mehr aufgeweicht worden. Man hat sich für andere Klänge und Instrumente geöffnet: Synthesizer, Orgelsounds und die Experimentierfreude haben bei „Atlantis“ mehr denn je Einzug gefunden. Darüber hinaus war auch der Aufnahmeprozess diesmal ein anderer, wie Schlagzeuger Klaus Mitter erklärt:

„Früher hatten wir die Songs immer mit der Bühne und der Live-Umsetzung im Kopf geschrieben. Dann haben wir geschaut, wie bekommen wir diesen polternden Live-Sound ins Studio. Diesmal wollten wir es anders machen. Nachdem der Vorgänger ‚Blitz‘, der ja direkt bei den Aufnahmen im Studio geschrieben worden ist, haben wir diesmal die Songs im Vorfeld schon mehr arrangiert und ausgearbeitet.“

Das hört man einem Song wie der Single „Kilometerweit Weizen“ sofort an, eine witzige und kluge Nummer, die im Refrain mit der Schlageranmutung spielt. Hier scheinen sich wirklich einmal die Dur-Akkorde durchgesetzt zu haben. Und gleich zu Beginn überraschen uns Kreisky mit einer Gitarre, die wie ein kaputtes Saxophon klingt. So viel zur Experimentierfreude der gereiften Rocker. Passend dazu hat Franz Adrian Wenzel den Text als vielschichtige Reflexion über popkulturell versierte, sich weltoffen gebende Menschen aufgebaut, die im ländlichen Bereich Gefahren wittern und deren Befürchtungen in Traumsequenzen ihre eigenen Vorurteile widerspiegeln.

Die Expeditionsgruppe zum 15-jährigen Idealisten

In „Kilometerweit Weizen“, wie auch in den meisten Songs des neuen Album, sind Franz Adrian Wenzls Texte keine Anklage. Sie sind mitfühlende Beobachtungen, die versuchen aufzuzeigen, woher unser oft problematisches Miteinander kommt. Es ist die innere Unmöglichkeit, auf andere Menschen zuzugehen. Denn meist scannen wir unser Gegenüber sofort ab und beurteilen es.

Bandfoto Kreisky im Vier-Bilder-Passfoto Format

Ingo Pertramer

Dass diese Haltung und Handlung eine gewachsene ist, zeigt sich gut im Albumtitel. Denn „Atlantis“ ist die Suche nach den verschollenen Idealen, die wir alle in unserer Jugend hatten. „Dieses Album ist für mich ein Plädoyer für das Aufeinander-Zugehen, die Offenheit wiederzuentdecken. Es ist die eine Forschungsarbeit in einem selbst. Die Expeditionsgruppe, die den Fünfzehnjährigen besucht und schaut, wie es in ihm ausgesehen hat und warum war er so positiv Allem gegenüber“, so Franz Adrian Wenzel.

Die Vergangenheitsforschung wird auch musikalisch von mehr oder weniger verschollenen Vorlieben begleitet. Franz Adrian Wenzel erinnert sich an ein Gespräch mit Bassist Lelo, einmal eine Platte zu machen, die an ihre Helden Electric Light Orchestra erinnert. Zwar ist „Atlantis“ nicht ein Tribut an die britischen Rocker der 1970er geworden, doch finden sich einige Spuren verschollener Musiklieben in den Songs.

„Es finden sich schon Partikel, in denen es in Richtung Classic Rock geht. Da gibt es ein bisschen ein Supertramp-Piano oder einen Emerson, Lake & Palmer-Synthesizer. Das sind Dinge, die in uns schlummern und jetzt hinaus dürfen.“ (Franz Adrian Wenzel)

So frönen Kreisky bei dem knapp sechseinhalb minütigen Stück „Meine Zunge ist leer“ dem Krautrock, während der Text von der Sprach- und damit oft einhergehenden Hilflosigkeit spricht. Das fast schon fröhlich dahinhüpfende Keyboard von „Lonely Planet“ könnte der Neuen Deutschen Welle entsprungen sein, würden nicht die Gitarren darüber rauschen und ein Synthie- und Gitarren-Solo uns wieder in die Gefilde des Space-Rock abdriften lassen.

Jugenderinnerungen können aber auch auf anderer Ebene ausgelöst werden. Der Song „Abfahrt Slalom Super-G“ zum Beispiel ist ein meisterliches und witziges Stück über einen isoliert im Krankenhaus liegenden Menschen, der sich im Fernsehen Skifahren ansieht und dabei die Erkenntnis hat, dass auch diese Sportler in ihrem engen Trainings- und Wettkampfzeitplan isoliert sind. Schlagzeuger Klaus Mitter muss bei dem Thema gleich an seine Kindheit denken, wo der „ambiente Sound“ einer laufenden Ski-Übertragung zuhause während des Mittagessens ihm ein geborgenes und wohliges Gefühl bereitet hat. Bei diesem Song wird erneut der Spaß am synthetisierten Klang hörbar. Eine schnarrende, Gitarren-getriggerte Melodie mischt sich perfekt mit einem der stärksten Bilder des Albums, in dem Marcel Hirscher mit Milch übergossen wird, damit er weich und weiß bleibt.

Sakrakle Selbstermächtigung

Kreisky ist mit „Atlantis“ ein sehr abwechslungsreiches und erfrischendes Album gelungen. Es verbeißt sich nicht mehr in der Wut, dem grantigen Dagegensein. Es wirkt trotz der energischen Töne, die Kreisky in den letzten eineinhalb Jahrzehnten perfektioniert haben, milder und weicher. Die Suche nach dem verschollenen Jugendidealismus scheint mehr die Freude in den Vordergrund gebracht zu haben. Dass „Atlantis“ das positivste und vielleicht versöhnlichste Album geworden ist, sehen auch Franz Adrian Wenzel und Klaus Mitter so. Allerdings mit dem Zusatz, man starte bei der Band Kreisky ja von einem sehr niedrigen Niveau an Positivität.

Und doch: Der Abschlusssong der Platte „Wenn einer sagt“ ist eine sakrale Hymne an die eigene Wesenheit. Die großen und breiten Orgelakkorde gleich zu Beginn heben einen in die Höhe, wie ein Stück Liturgie. So heißt es auch im Text:

„Wenn einer sagt
Was du da machst
hat doch keinen Sinn
Sag: Es hat meinen Sinn
Und wenn einer sagt
Was du da machst
ist der letzte Dreck
Sag: Es ist mein Dreck"
(Auszug aus dem Song "Wenn einer sagt“ von Kreisky)

Franz Adrian Wenzel dazu: „Es ist unser Selbstermächtigungssong, unser ‚I Am What I Am’, wenn man so will. Ich schaue ja jedes Jahr den Eurovision Songcontest und habe festgestellt, dass es in den letzten Jahren sehr viele Selbstermächtigungsnummern gibt. In denen heißt es dann, sei wer du bist, du darfst so sein, wie du bist und zeig dich der Welt wie du bist. Und ’Wenn einer sagt‘ ist unser Beitrag dazu.“

Dass dies ein verdeckter Hinweis darauf ist, dass uns Kreisky dieses Jahr beim Songcontest vertreten könnten, ist unwahrscheinlich. Denn bei aller Positivität stecken dann doch noch zu viel Ecken und Kanten, Wut und Auflehnung, aber vor allem Tiefgründigkeit und Witz in den Songs von Kreisky. Und dafür lieben wir diese Band auch noch nach 15 Jahren. Mit „Atlantis“ vielleicht sogar mehr ein Stück mehr, als bisher.

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