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Portrait Gazelle & The Bear

Hanna Fasching

Gazelle & The Bear: Umarmender Soul-Pop aus dem Bauch heraus

Songs, die von Selbstliebe und Liebe zu anderen Menschen handeln und die sich für ein Gefühl der Wärme und des Zusammenhalts stark machen. Dem österreichischen Duo Gazelle & The Bear ist mit dem Debüt „Weird Shaped Clouds“ ein souliges, jazziges und poppiges Meisterwerk geglückt.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Von den ersten sanften Pianoklängen und dem swingenden Schlagzeugrhythmus an kann man in die soulige und jazzige Popwelt des Duos Gazelle & The Bear hineinkippen. Intuitiv hört man sofort all die Liebe und Freude, die Sängerin und Musikerin Ines Kolleritsch und Schlagzeuger und Komponist Julian Berann für ihre Musik und für ihre Beziehung empfinden.

Es war Liebe auf den ersten Klang. Als Julian Berann zum ersten Mal einen Solo-Auftritt von Ines Kolleritsch gesehen hat, hat er sich in ihre Musik verliebt und wollte unbedingt den Menschen dahinter kennenlernen. Ihre erste gemeinsame Arbeit war ein Kompositionsauftrag für eine Contemporary-Tanz-Performance des Kollektivs “All Aut Females*”, den Ines Kolleritsch bekommen hat. Von da an sprühten musikalisch und privat die Funken. Und diese Freude hört man jedem Ton ihrer Musik an, wie man bei dem schönen Session-Video zum Titel „Joy“ auch sehen kann.

Mama-Musik

Um Freude zulassen und spüren zu können hilft es, ein Stück weit mit sich im Reinen zu sein. Auch wenn von außen Anfeindungen kommen. So war es Ines Kolleritsch bei dem Song „Mama“ sehr wichtig uns zu ermuntern, dass wir uns akzeptieren und das Schöne in uns sehen. Sie selbst hatte lange mit body shaming zu kämpfen, bis sie ihre innere Mama gefunden hat. Ihr Sicherheitsgefühl, dass sie okay ist, wie sie ist. Und dass man für seine innere Mutter, die einen aufbaut und beschützt, dankbar sein sollte.

Musikalisch ist dieser Anti-Diskriminierungs-Song mit zarten Piano-Akkorden, reduziertem Schlagzeugbeat und gefühlvoller Gesangsmelodie umgesetzt. Bei all der träumerischen Atmosphäre hat der Song eine innere Strahlkraft, die einem Mut und Hoffnung zu geben vermag.

Weil wir gerade bei den „Mamas“ sind: Die Mütter von Ines Kolleritsch und Julian Berann haben wesentlich dazu beigetragen, dass das Duo sich seinen intuitiven, spontanen und freudigen Zugang zur Musik entwickeln und bis heute erhalten konnten.

Ines Kolleritsch: „Meine Mama hat meine Geschwister und mich (auch Zwilling Kathrin Kolleritsch, musikalisch erfolgreich als Kerosin95 und mit My Ugly Clmentine, Anm.) in die sogenannte musikalische Früherziehung geschickt, da waren wir so vier Jahre alt. Das war ziemlich cool. Wir haben dort einfach Rasseln gebastelt und den ganzen Tag auf irgendetwas herumgehauen und Musik gemacht.“

Julian Berann: „Meine ersten Erfahrungen mit Musik waren sicher im Bauch meiner Mutter. Auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann. Denn meine Mutter ist Schlagzeugerin und hat bis zum siebenten, achten Schwangerschaftsmonat noch gespielt. Mit großem Kugelbauch. Ich bin mein ganzes Leben mit Musik aufgewachsen, in einem musikalischen Haushalt, das war sehr schön!“

Aus dem Bauch heraus

„Weird Shaped Clouds“ besticht durchgängig durch seine Leichtfüßigkeit. Dabei haben Ines Kolleritsch und Julian Berann ihre Songs „aus dem Bauch heraus“ entstehen lassen. So waren manche Nummern in einem Rutsch fertig geschrieben und aufgenommen, an anderen wiederum hat das Duo bei ihren Aufnahmesessions ziemlich einsam gefeilt, in einem kleinen Studio mitten im niederösterreichischen Land, und Aufgenommenes sogar wieder ganz verworfen.

Eines der Highlights der Platte, das atmosphärisch dichte und klanglich vielschichtige „High Road“, auf dem beide auch singen, war eher eine langwierige Geburt. Das hört man dem Ergebnis jedoch nicht an.

Inhaltlich geht es auch um zähe Momente, wenn man mit dem Gegenüber zum Beispiel eine schwierige und manchmal auch sinnlose Diskussion führt. Der Song ermutigt, aus dieser Situation einfach auszusteigen, wenn man merkt, die verhärteten Fronten lösen sich nicht auf. Darüber hinaus merkt Julian Berann an, dass es auch darum geht, von der „High Road“ mal abzufahren, um die eigene, meist zementierte „Wahrheitssicht“ zu verlassen und dem anderen zuzuhören.

Ein Song, der wie aus einem Guss entstanden ist, ist das poppige Uptempo-Stück „When You’re Around“. Hier dominieren der Piano-Glockenklang, eine tief grabende, smoothe Basslinie und ein HipHop-infizierter Groove. Mit dabei ist der in Brooklyn beheimatete Rapper Stimulus, der seinen super Rap-Flow innerhalb kürzester Zeit für Gazelle & The Bear aufgenommen und dem österreichischen Duo zugeschickt hat.

Wer ist der Bär, wer die Gazelle?

Mit Gazelle & The Bear haben sich zwei Künstler*innen gefunden, die nicht nur die gleiche Passion für Musik, sondern auch das gleiche Gefühl teilen, was stimmig ist. Natürlich hilft es, dass Ines Kolleritsch jahrelang Jazz studiert hat, was für lange Zeit ihr ganzes Leben war, sich jedoch heute einen viel weiteren und freieren Zugang zum Jazz erlaubt. Auch Julian Berann, der studierte Schlagzeuger, der mit vielen Bands live auf der Bühne gestanden ist (u.a. mit James Hersey und Alice Phoebe Lou) und der mit dem musikalischen Schmelztiegel Berlin seine zweite Wahlheimat gefunden hat, lebt einen sehr offenen Zugang zur Musik.

Bei jedem Song, den die beiden schreiben, schwingt die Leidenschaft für den Jazz immer mit. Jedoch haben Gazelle & The Bear die Offenheit und Experimentierfreude, einfach vom Ausgangspunkt loszugehen und zu schauen, wo sie das gemeinsame Spiel hinführt, ohne schon vorher eine fixe Idee im Kopf zu haben.

Bleibt nur noch die Klärung des Bandnamens: Der Bär steht für eine sehr geerdete Lebensweise, entspannt und ruhig zu sein, sich die Dinge zu gönnen, genügend Fische eben, und im Winter seinen Schlaf zu halten. Die Gazelle ist im Gegensatz dazu immer am Auschecken, ist sehr aktiv und sportlich, aber auch immer auf der Hut und sehr überlegt. Man würde vielleicht meinen, dass Ines Kolleritsch die Gazelle und Julian Berann der Bär sei. Ist das wirklich so?

Albumcover Gazelle & The Bear

Gazelle & The Bear

Das Debüt „Weird Shaped Clouds“ von Gazelle & The Bear ist auf ihrem eigenen Label G&TBMUSIC erschienen.

Ines Kolleritsch: „Ich habe einmal Schuhe geschenkt bekommen, wo Gazelle oben gestanden ist. Und ich dachte mir, WOW, das könnte mein Künstler*innenname sein. Ich dachte, das ist sehr speziell, bis ich draufgekommen bin, dass es schon sehr viele Künstler*innen gibt, die sich Gazelle nennen. Aber Gazelle & The Bear gab es noch nicht.“

Julian Berann: „Lustigerweise hatte ich immer schon ‚spirit animals‘. Und der Bär war mein Wichtigster. Ich würde einmal sagen, dass wir permanent die Rollen tauschen und jeder von uns kann beides sein.“

Die Flexibilität und Offenheit auch in der Beziehung machen den beiden nicht nur das Komponieren und Arbeiten leichter, sondern stützen auch in schwierigen Zeiten. So war für beide in dem letzten, schwierigen Jahr wichtig Musik zu schreiben, die der Seele gut tut, wie Ines Kolleritsch meint:

„Ich schreibe gerade am Liebsten Musik, in die ich mich hineinlegen kann. Wie in so eine schöne, große Badewanne.“

So ist „Weird Shaped Clouds“ der musikalische Gegenentwurf zu den derzeitigen, gesellschaftlichen Entwicklungen der Spaltung und der Konkurrenz und lässt uns hoffen, dass wir uns physisch und somit auch emotional bald wieder näher sind. In der Zwischenzeit können wir uns von ihren Songs umarmen lassen.

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