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Taubenkobel in der Cselley Mühle

Bwag/CC-BY-SA-4.0

Happy Birthday, Cselley Mühle!

Die Cselley Mühle in Oslip feiert heuer ihren 45. Geburtstag. Aber mit 2022 übernimmt ein neuer Besitzer das „Kunst- und Aktionszentrum“. Wie wird es mit der „Mü“ weitergehen?

Von Alexandra Augustin

Es flattert, es gurrt, es regt und bewegt sich: Das erste, was man sieht, wenn man durch die Tore der Cselley Mühle tritt, ist der legendäre, riesige Taubenkobel. Hier, unweit des Westufers des Neusiedlersees, scheint die Sonne auf Weinfelder, Hügel und malerische Höfe. An einer schmalen Landstraße steht dieser weiße Vierkanthof, in dem dutzende rot und weiß blühende Oleander und eine riesige Linde in der Mitte stehen.

Als ich die Cselley Mühle an diesem sonnigen Spätsommertag besuche, ist es angenehm ruhig. Es ist Nachmittag und mir fällt auf: Ich habe die „Mü“, wie sie gerne liebevoll genannt wird, noch nie bei Tageslicht gesehen. Vielleicht in der Morgendämmerung nach einem Konzert, etwa einer der legendären „C’est La Mü“-Festivalausgaben. Aber so, im strahlenden Sonnenlicht und in voller Pracht, noch nie.

Mein erster Besuch ist knapp 20 Jahre her. Damals, als Teenager, war ich jedes Wochenende mit Freunden unterwegs. Einer hatte schon den Führerschein und ein klappriges Auto von den Eltern. Das war praktisch, denn der Aktionsradius beschränkte sich in Wien auf öffentlich erreichbare Lokale wie das B72, das Chelsea, das Shelter und vor allem das Flex. Mal raus aus Wien fahren? Dafür musste es für die verwöhnte Wiener Popkulturjugend schon gute Gründe geben.

Cselley Mühle Aussenansicht

Alexandra Augustin

Es war die Zeit der „Hamburger Schule“ und von Tocotronic, den Sternen, von Britpop, Pulp, Oasis, Blur und Indierock. Eine neue Band namens Sportfreunde Stiller machte die Runde. Die sahen ja auch ganz cool aus und hatten eingängige deutsche Texte. Nicht so verwoben und verschachtelt wie andere Zeitgenoss*innen und man konnte zu ihre Liedern gut tanzen. Und „Tanzen“, wenn man es so nennen wollte, war ein bescheidener Mix aus von einem zum anderen Bein hin und her wippen, die Arme streng am Körper halten - eventuell sogar verschränkt - und betroffen auf den Boden starren.

Und so fanden meine Freundin Susi und ich uns eine knappe Autostunde von Wien entfernt wieder. Wir standen mitten in einem umgebauten Stadl, mit vielen anderen Menschen rundherum. Ausverkauft!

Vor uns die Bühne, die zugegebenermaßen sehr imposant wirkte. Unter uns ein unebener Boden. Wir hatten vorsichtshalber Dosenbier reingeschmuggelt und der Geruch von Landluft, gelben Gauloises, Mottenkugelmief und Kunststoff lag in der Luft. Den verströmten die unzähligen 1970er-Jahre Polyester-Sportjacken. Wer ein hippes Indiekid sein wollte, der verbrachte nämlich seinen Samstagmorgen nach dem Ausgehen damit, auf diversen Pfarrflohmärkten gezielt nach diesen Dingern zu suchen. Irgendeine Großmutter hatte immer ein paar in ihrer Wühlkiste dabei. Und natürlich ging es direkt nach dem Club auf den Flohmarkt, damit einem niemand die kostbare Beute wegschnappte.

Anfang der 2000er war Rauchen im Club oder bei Konzerten übrigens noch völlig normal, und das Tschickstummel-auf-den-Boden-werfen war es auch. Insgeheim hoffte man, dass einem nicht irgendjemand hinter einem einen brennenden Stummel auf den Kopf oder auf die heilige Sportjacke werfen würde. Brandlöcher führten leicht zu Brandwunden, die mit dem Plastik der Jacke verschmolzen.

An die Qualität des Konzerts in der Cselley Mühle erinnere ich mich nicht mehr. Aber ich erinnere mich recht gut an die Stimmung: Alles war etwas lockerer als in den strengen Indiezirkeln der eigenen Heimatstadt.

Ein paar Monate später war ich wieder in der Cselley Mühle. Eine junge Band namens „Flashbax“ hatte ein Konzert. Wer, fragst du? Tja, so hat die Band Ja, Panik geheißen, bevor sie Ja, Panik geheißen hat. Und die stammen ja eben aus der Umgebung in der Nähe der Cselley Mühle. Irgendwer hat irgendjemanden davon erzählt, dass man da hinmüsse, die wären ganz gut. Ein Ex-Freund von mir hat außerdem eine heitere, feuchtfröhliche Geschichte von einer Flashbax-Albumreleaseparty erzählt, die auf einem Boot am Neusiedlersee stattgefunden hat. Leider war das Boot entweder sehr klein oder schlecht beisammen: Es gab jedenfalls keine funktionierenden Toiletten auf hoher See. Genauere Details wurden mir erspart, aber man kann sich wohl denken, wie sich diese Feier gestaltet hat - in Zeiten, in denen der Musikjournalismus noch klassisch von Cis-Männern dominiert war. Jedenfalls gab es „Lösungen“ für den biergeschwängerten Harndrang der Besucher. Ich weiß auch nicht mehr genau, ob das eigentliche Konzert in der Mühle oder diese Geschichte zuerst passiert sind. So wie vieles, das im Nachhinein im Nebel der subjektiven Erlebniswelten verborgen liegt. Aber eines ahnte ich: Alles, was in der Cselley-Mühle und ihrem Dunstkreis entsteht, ist spannend.

Cselley Mühle Innenansicht

Alexandra Augustin

Für Geheimtipps wie diese „Sportis“ oder diese Flashbax lohnte es sich allemal, dorthin zu fahren. Jedenfalls tat ich das am 20. Mai 2002 und am 15. Februar 2003.

Wieso mir diese Daten so gut im Kopf geblieben sind? Sind sie nicht, aber neben mir liegt ein Katalog, der einst zum 30. Geburtstag der Cselley Mühle erschienen ist. In diesem Buch findet sich ein lückenloser Veranstaltungskalender, der 1976 beginnt. Dazu gibt es viele Fotos und Anekdoten. Jeder Tag darin erzählt seine eigene, kleine Geschichte aus einer persönlichen Perspektive - so wie sie mir beim Blättern bewusst werden.

Ein gewisses Zahnarztbohrmaschinenorchester ist hier einst aufgetreten, ebenso ein junger Hansi Lang, Opus, Stefanie Werger, Maria Bill, STS, alle heute namhaften Kabarettist*innen, Sigi Maron, H.C. Artmann und Joe Cocker. Auch alle namhaften österreichischen FM4-Musiker*innen wie eben Ja, Panik, Garish und Cari Cari bis hin zu Bilderbuch haben hier gestartet. Letztere haben hier eines ihrer allerersten Konzerte überhaupt gespielt: vor sechs Gästen. Jetzt zum Geburtstag wird ein neues Buch erscheinen, das dann auf 45 Jahre zurückblickt.

Geschichten aus 45 Jahren

„Die Cselley Mühle ist der Platz meines Herzens. Ein Ort, an dem alles erlaubt und willkommen ist“, erzählt mir Besucherin Ruth bei meinem Besuch vor zwei Wochen in der Mühle. Und der Autor und Musiker Gerhard Altmann, der heute hier ist, spricht liebevoll von seinem „verlängerten Wohnzimmer“.

Die Cselley Mühle war immer schon ein wichtiger Ort der Sozialisation. Sie war immer Teil von und vor allem auch oft Auslöser für viele Musik- oder Literaturkarrieren.

Eveline Lehner

Alexandra Augustin

Eveline Lehner

Wir treffen Geschäftsführerin Eveline Lehner für einen Rundgang. Kurz vor der Besetzung der Wiener Arena 1976, in der Blütezeit der Bruno-Kreisky-Ära, hatten die zwei burgenländischen Künstler Robert Schneider und Sepp Laubner eine Idee: Wir wollen einen Raum für Konzerte, für Kunst und Partys schaffen! Da steht doch diese Mühle an der Wulka von der Familie Cselley seit Jahren leer? Vielleicht kann man die mieten? Heute wird aus jedem zweiten leerstehenden Geschäftslokal ein „Off Space“. Doch damals war das neu.

Der Hunger nach Freiräumen war groß. Die gab es hier in der burgenländischen Einöde nicht. Aber auch in größeren Städten wie Eisenstadt, Wiener Neustadt oder Wien war die Luft damals noch dünn. Wenn Eveline Lehner an die Zeit der 1970er und 1980er Jahre zurückdenkt, muss sie schmunzeln:

"Es gab drei Kaffeehäuser. Und eine Disco im Steinbruch von St. Margarethen. Mehr gab nicht! Wenn dort dann Sperrstunde war, dann ist man in die „Mü" gefahren. Bis es hell geworden ist.“

Eveline Lehner

Alexandra Augustin

Wir blicken in den Arkadenhof. Eveline Lehner selbst war Anfang 20, als sie das erste Mal hier gelandet ist. Plötzlich gab es ganz viele ähnlich tickende Menschen. Und Mühlen-Mitbegründer Robert Schneider sollte wenig später ihr Partner und, wie sie sagt, „Lebensmensch“ werden. Aber die Cselley-Mühle sah damals freilich noch ganz anders aus:

„Das war eine G’stettn, eine verwilderte Ruine und mein Mann hat immer gesagt, dass hier hunderte wilde Bäume herumgestanden sind. Das musste alles gerodet werden. Was notwendig war, das ist gebaut worden. Es gab viele Helfer, denn die Menschen waren engagiert. Man ist hier in der Nacht fortgegangen und am Tag hat man mitgeholfen. Es wäre heute wahrscheinlich unmöglich, sowas zu starten.“

Dank der Cselley-Mühlen-Gründer Robert Schneider und Sepp Laubner entsteht hier eine neue Welt der Romantik und der Rebellen, der freien Liebe und des Rock ’n’ Roll. Alles ist chaotisch. Hier wird nichts nach Plan renoviert, sondern improvisiert. Am Tag der Eröffnung, am 28. Mai 1976, fehlen noch die Türen für die Toiletten. Der Tischler und sein Lehrbub hängen sie am Nachmittag noch schnell ein. Ein für die Eröffnung organisierter Fallschirmspringer soll spektakulär im Hof landen. Er landet versehentlich am Dach der Mühle und verheddert sich. Am Abend eröffnet der damalige Unterrichtsminister Fred Sinowatz die Cselley Mühle mit den Worten: „Ich weiß nicht, was ich eröffne, aber ich eröffne es!“

Cselley Mühle Innenansicht

Alexandra Augustin

Porträt von Robert Schneider

Die Cselley Mühle heute

Die beiden Cselley-Mühlen-Gründer Robert Schneider und Sepp Laubner sind leider 2019 und 2020 kurz nacheinander verstorben. Aber die Legenden, die man sich über die Mühle erzählt, sind und bleiben lebendig.

Die Mühle hat sich natürlich weiterentwickelt, vor allem optisch. Die Räumlichkeiten des Gasthauses wirken sauber und freundlich. Da wären heute das Galeriebeisl, das Jazzgwölb, die Steh­bar, der Mühlenhof, das Atrium und der „Ursumpf“, ein rustikaler Feierkeller.

Nach den Hippietagen der ersten Zeit haben irgendwann auch die folgenden Generationen Spuren hinterlassen, die ab Anfang der 1990er Jahre Teil der Mühle geworden sind. Die „Jungen“ sind Mühlengründer Robert Schneider immer besonders am Herzen gelegen. Einer davon ist der Musiker und Produzent Thomas Pronai. Er hat als Teenager Anfang der 1990er Jahre hier Grunge-Konzerte besucht - und bald selbst welche veranstaltet. Man kennt ihn von seinen eigenen Bands „Bo Candy & His Broken Hearts“ und der „Beautiful Kantine Band“.

Thomas Pronai vor dem Taubenkobel

Alexandra Augustin

Thomas Pronai

„Wir sind damals als wilde, ungestüme Leute mit Tatendrang angekommen und Robert Schneider hat uns einfach einen Raum zur Verfügung gestellt. Wir haben Freitag und Samstag offen gehabt, wir haben aufgelegt, wir haben Bands hergebucht. Wir haben einfach gemacht, was wir wollten.“

Thomas Pronai erzählt davon, wie wichtig es für diesen Ort immer gewesen ist, in Bewegung zu bleiben. Und dass vieles auch gleichzeitig funktioniert hat: Manchmal hat an ein und demselben Abend hier im Großen Saal eine Hochzeit, im Kellertheater eine Punkshow und im Hof eine Lesung stattgefunden. Das ging sich alles aus.

Am 8. Oktober wird werden Cari Cari in der Cselley Mühle ein Konzert spielen und am 15. Oktober spielen Garish live. Mehr Infos: Cselley Mühle

Heute betreibt Thomas Pronai in der Cselley Mühle sein Tonstudio. Als Produzent eilt ihm der Ruf für einen zeitlosen „Cselley Sound“ voraus. Hier in der „Mü“ hat er Alben für Ja, Panik, Garish und Cari Cari aufgenommen. Auch für Ernst Molden und den Nino aus Wien.

Cselley Mühle Innenansicht

Alexandra Augustin

Wir stehen vor einer maroden Holztüre, hinter der einst alles begonnen hat: Dahinter verbirgt sich eine Wäschekammer mit zwei Waschmaschinen drin. Es riecht nach Weichspüler und alten Ziegeln, etwa 10m2 groß ist der Raum. In dieser Rumpelkammer ist das erste Ja, Panik-Album entstanden:

„Da haben wir das Schlagzeug reingestellt, den Bass und das Klavier. Und eine kleine Couch. Mehr ging sich nicht aus. Der Andi Spechtl sagt, es ist immer noch seine liebste Aufnahme!"

Damals wie heute arbeitet Thomas Pronai mit Bandmaschinen in seinem analogen Studio. Dazu dient ihm heute aber ein professionell umgebauter Baucontainer neben der Mühle.

Wie geht es weiter?

Die Pandemie und der Tod der zwei Gründer Robert Schneider & Sepp Laubner waren herbe Schläge für die Cselley Mühle. Eveline Lehner und die weiteren Erb*innen der Mühle haben beschlossen, dass sie den Ort nicht weiter bewirtschaften wollen. Nach monatelangen Verhandlungen steht der neue Besitzer fest: Der Kunstsammler Mario Müller wird ab 2022 die Cselley Mühle weiterführen.

Man sagt, sie wird modernisiert werden - hoffentlich ohne ihren authentischen Charme zu verlieren. Jedenfalls soll es viel Platz für zeitgenössische Kunst geben. Einige Sanierungen sind ebenso dringend nötig, denn die Mühle ist in die Jahre gekommen. Bis Jahresende ist jede Veranstaltung und jeder Abend in der „Mü“ jedenfalls ein Freudenfest und ein Abschied zugleich. Viele Künstler*innen, die hier begonnen haben, schauen auch zum Abschied noch einmal für einen Auftritt vorbei. Ein großes Abschiedsfest soll es aber nicht geben, denn die Cselley Mühle soll und wird ja weiterexistieren - nur in anderer Form.

Cselley Mühle Aussenansicht

Alexandra Augustin

Aber so ist es eben mit einer Mühle: „Das Mühlenrad muss in Bewegung bleiben“, meint Noch-Geschäftsführerin Eveline Lehner.

„Wenn ich so auf den Taubenkobel blicke, dann lässt sich das Bild gut auf die Mühle umlegen: Die Tauben fliegen hinein und hinaus. Es war auch hier immer ein reges Kommen und Gehen. Der Ort hier darf nicht stillstehen oder in der Vergangenheit stecken bleiben. Das wird er auch in Zukunft nicht. Hoffentlich.“

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