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porträtfoto willi resetarits

APA/Herbert Pfarrhofer

ROBERT ROTIFER

Ein paar Worte über Willi

Subjektive Skizze der Geschichte einer der wichtigsten Figuren der österreichischen Pop- und Politik-Kultur.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

„Wer schreibt die Geschichte“, so heißt der erste Song der „Proletenpassion“, des 1976 bei den Wiener Festwochen uraufgeführten, 1977 als Dreifach-LP veröffentlichten Konzeptalbums der Schmetterlinge, einer der wesentlichsten Rockbands Österreichs, gern erwähnt in diversen Popgeschichten des Landes, selten erfasst in ihrer Relevanz für jene Zeit, die mit meiner Kindheit zusammenfiel.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

„Jeden Morgen, wenn wir zur Arbeit fahren, wird eine neue Seite ins Geschichtsbuch geschrieben. Wer schreibt sie? Geschieht Geschichte mit uns, oder machen wir unsere Geschichte?“, hört man in jenem Eröffnungslied nach einem Instrumental-Intro die junge Stimme des gestern im Alter von 73 Jahren gestorbenen Willi Resetarits, einem der Gründungsmitglieder der Band sprechen.

Jetzt ist sein Leben also auch Geschichte, und es fühlt sich nicht richtig an, sie im Affekt zu schreiben. Dazu hatte seine Arbeit als Musiker, als Sänger, als Interpret, als Ermutiger, Integrationsfigur, politischer Aktivist zu viele verschiedene Facetten, manche populärer, manche weniger bekannt. Nicht zuletzt abhängig davon, wen man fragt, war er vor allem der – vom Autor Günter Brödl geskriptete, von Willi seit Mitte der Achtzigerjahre als eine Art Zweitlebensrolle verkörperte – Ostbahn-Kurti alias Dr. Kurt Ostbahn, der Mitbegründer von SOS Mitmensch, des Wiener Integrationshauses, der Plattform Asyl in Not, der Leader des Stubnblues, die Vaterfigur im Vierergestirn Molden, Resetarits, Soyka & Wirth, der Radiomoderator von Trost & Rat und noch so viel mehr.

„Unsere Geschichte ist die Geschichte von Kämpfen zwischen den Klassen. Eine wütende Chronologie“, geht der von Heinz Rudolf Unger geschriebene, von Willi Resetarits gesprochene Text weiter, „Doch gelehrt wird uns die lange Reihe von Kronen und Thronen, und über allem waltet ein blindes Geschick.“

Allerdings, sie waren eine politische Band, die Schmetterlinge. Zwischen dem erwähnten Festwochen-Auftritt und der Veröffentlichung der „Proletenpassion“ in einer stattlichen Kartonschachtel, so tief rot wie manche edle Opern-Editionen aber auch wie die Fahne der Arbeiter*innenbewegung, lag etwa ihre aktive Beteiligung an der Besetzung der Arena, des zum freien Kulturzentrum umfunktionierten, leerstehenden Wiener Auslandsschlachthofs in St. Marx (die heutige Arena ist im kleineren Inlandsschlachthof situiert).

Während anderswo – in Großbritannien, in den USA – der Punk sein anarchisches Unwesen trieb, hatten die Schmetterlinge sehr ernsthaft drei Jahre lang an ihrer Version einer von den Bauernkriegen bis in die Gegenwart reichenden Geschichte der Beherrschten als Alternative zur herrschenden Geschichte gearbeitet. Ihr Antrieb war ein offen didaktischer, die Vermittlung politischer Inhalte und einer linken Weltsicht mit revolutionärer Ambition. Dass sie 1977 auch noch mit dem satirischen „Boom Boom Boomerang“ (Text von Willis Bruder Lukas) zum Song Contest fuhren, wirkt einerseits kurios aber andererseits auch wieder logisch, denn im Gegensatz zu jenen Teilen der politischen Liedermacher-Szene, die sich von der vermeintlichen Verblödungsmaschine der Massenmedien angeekelt abwandten, flirteten die Schmetterlinge seit ihrer Gründung 1969 immer wieder mit dem Pop. Siehe etwa ihre gleichzeitig eingängige, aber von angelsächsischen Vorlagen und der deutschsprachigen Schlagerwelt gleichermaßen weit entfernte Debüt-Single „Tschoscholossa“.

Diese Mischung aus Intellektualität, ernstem Anliegen und dem Zug zum Populären setzte sich durch Resetarits’ Laufbahn fort. Aus ihr erklärt sich seine Doppel-Persona, verkörpert durch den ihm eigenen Wechsel zwischen der stilisierten Hochsprache des Professor Doktor Kurt und dem Wiener Dialekt des Kurtl. Sowohl vor dem Radio- als auch vor dem Bühnen-Mikro konnte er diese beiden Charaktere einander kommentieren und assistieren lassen, ohne dass sie sich im Weg standen. Beide waren zueinander Über-Ich und schufen eine Ebene, der das jeweilige Publikum auf Augenhöhe begegnen konnte. Er war zu gut im Singen, hätte aber wohl tatsächlich (wie einige bemerkten und nahelegten) einen wirklich guten Politiker hergegeben.

Aber zurück zu den Schmetterlingen, der vielleicht klassischen musikalischen Verkörperung des progressiven Aufbruchsgeists der Kreisky-Jahre (nicht falsch verstehen, sie standen wohl irgendwo links vom Mainstream der Sozialdemokratie, ließen sich aber klugerweise nie von einer Fraktion vereinnahmen): Der gängigen Popgeschichtsschreibung zufolge, sind sie heute ein gern zitiertes Beispiel dafür, wie der angelsächsische Raum „schon viel weiter“ gewesen sei, während man in einem popkulturellen Hinterland wie Österreich „immer noch Hippie-Musik“ machte.

Aber man kann es vielleicht auch ganz anders sehen: Wo der Punk einen Weg zurück zum Primitivismus der Ursprünge der Rock-Kultur suchte, um sie neu zu erfinden, verfolgten Bands wie die Schmetterlinge – obwohl „Bands wie...“, wer wäre das gewesen?, sagen wir am Besten gleich „verfolgten die Schmetterlinge“ - das konstruktive Ziel, die Energie der Rockmusik politisch zu schärfen und Botschaften zu vermitteln. „Wenn wir so vieles nicht erfahren sollen,“ fragte der junge Willi in ihrem Namen, „wer hat Interesse daran, dass wir es nicht wissen? Wenn so vieles nicht in den Lehrbüchern steht, wer will, dass es nicht gelehrt wird?“

Auf die österreichische Popgeschichte umgelegt: Anders als behauptet, war nicht alles in Siebzigern nur Austro-Pop, nicht alles in den Achtzigern nur New Wave, und gerade die Geschichte des Willi Resetarits bildete einen dazu parallelen, eigenständigen Erzählstrang, dessen Rückverfolgung mehr Genauigkeit verdienen würde als einen schnellen Link zu einem Ostbahn-Kurti-Hit.

Wer sie findet, könnte zum Beispiel zu seiner 2018 erschienenen Autobiographie mit dem an diesem Tag schlicht tragisch klingenden Titel „Ich lebe gerne, denn sonst wäre ich tot“ greifen.

Ich selbst hab das Buch nicht bei der Hand, denn wie es sich ergibt, sitze ich gerade in einem Zimmer in Italien bei erratischem Internet-Empfang. Hier feiert man heute den Tag der Befreiung und zwangsläufig erinnert das an Willis gemeinsamen Auftritt mit seiner Mutter Angela beim „Fest der Freiheit“ auf dem Wiener Heldenplatz 1995, bei dem Barbara Stöckl ihn so anmoderierte: „Er ist einer der Archetypen des Österreichers im besten Sinn des Wortes und hat alles, was wir so lieben und brauchen hierzulande. Einen fremd klingenden Namen, einen bodenständigen Schmäh, sehr viel Feingefühl und Urkraft.“

„Grüß Sie“, sagte er, nachdem er mit seiner Mutter die Bühne betreten hatte, und blies kurz in seine Mundharmonika, um sich den Grundton für das kommende Lied ins Gedächtnis zu rufen: „50 Jahre Republik, wir gratulieren. Und weu ma si ja zum Gebuadsdog was wünschn deaf, geb ich meine Geburtstagswünsche bekannt: Des Kind hod sie ja seit 1945 prächtigst entwickelt, mia ghörn jetzt zu die zehn reichsten Länder der Erde. Und da würde uns es nicht schlecht anstehen, waun ma stott weniga mea ausgebn für die Benachteiligten, für die sozial Schwochn und für de, die hintn bliebn san.“ Willi lässt Pause, um den Jubel anschwellen zu lassen, reibt sich mit dem rechten Daumen die linke Wange, der vorhersehbar populäre Teil ist gesagt, er hat aber noch eine Bedingung: „Und zwar ohne dass ma frogt, wos die fia an Reisepass besitzen.“ Etwas weniger Jubel. „Zweiter Wunsch: I wünsch ma mehr Zivilcourage, mehr Engagement von der großen Mehrheit der Österreicher, weu die san ja gegen Rassismus, gegen Ausländerhass, gegen Rechtsradikalismus und gegen Gewalt. Und zwoa gegen physische Gewalt und gegen verbale Gewalt. Aber wann diese zwa Geburtstagswünsche von mir wahr werden, daun moch im ma übahaupt kane Suagn wegen da Zukunft.“

Und dann singt er mit seiner Mutter zusammen zweistimmig ein kroatisches Lied aus dem südburgenländischen Stinatz, „Lipo ti je čuti“, die Klage einer Mutter, deren Sohn als Soldat in den Krieg geschickt wurde.

In den Fünfzigerjahren war er mit seinen Eltern und den Brüdern aus ihrer kroatischen Community im Südburgenland nach Wien Favoriten gezogen. Der sozialen Mobilität zuliebe beschlossen die Eltern, dass ab nun deutsch gesprochen wurde. Das vermeintlich Ur-Wienerische des Willi Resetarits war also eine sich damals angeeignete Kunstsprache/Kulturtechnik. Ein Instrument, geformt im Härtetest der ur-Wienerischen Fremdenfeindlichkeit. Wichtig zu wissen, dass Willi wusste, wovon er sprach, wenn er sich für ethnische Minderheiten und Geflüchtete einsetzte.

Irgendwo weit entfernt bei mir zuhause auf irgendeiner Festplatte schlummert ein unveröffentlichtes, langes Interview, das ich einmal im Sommer 2010 an der alten Donau mit Willi über die Frühgeschichte seines musikalischen Werdegangs führte. Über seine Auftritte mit der Beat-Band The Odds, nicht zuletzt im „Cola-Haus“, der von einer gewissen Limonadenmarke als kluger Marketing-Trick für Pop-Gigs zur Verfügung gestellten Halle im Abfüll-Werk an der Triester Straße. „Wir fraßen zu lange gezuckerte Lügen beim falschen Wirt“, sollten die Schmetterlinge zehn Jahre später in der „Proletenpassion“ singen.

Ich erinnere mich aber auch an die Zeit, als Ernst Molden, mit dem ich mich gerade angefreundet hatte, mir erzählte, dass er einen Song auf Wienerisch geschrieben hatte (zu jener Zeit für unsere und nachfolgende Generationen nach der traumatischen Implosion des Austro-Pop ein gewisses Tabu). Und dass er den großen Willi Resetarits (der damals nach der Pensionierung des Kurt Ostbahn mit seinem neuen Ensemble Stubnblues spielte) erfolgreich dazu überredet hatte, dieses Lied, die „Hammaschmidgossn“, über den Brückenschlag zwischen dem Döblinger Großbürgertum und dem Heiligenstädter Proletariat mit ihm zusammen zu singen.

Ein Jahr später durfte ich mit der Gitarre um den Hals auf der Bühne stehen, als die beiden beim ersten Wiener Popfest gemeinsam dieses Lied sangen, das sich als der Weg zu einer weiteren schlüssigen Abzweigung seiner Laufbahn, der Viererbande Molden, Resetarits, Soyka & Wirth entpuppen sollte.

Über die Jahre sollte ich Willi in diesem und anderen Kontexten zwischen Popfest, Funkhaus und Spittelberg immer wieder begegnen, diesem Mann unbestimmbaren Alters, mit seinen immer noch schlanken Hüften, mit seinen ausladenden Gesten, mit seiner Mischung aus scheinbarer Wunderlichkeit und blitzgeschwinder Intelligenz und der Großzügigkeit, allen, denen er begegnete, immer das Gefühl zu geben, die in diesem Moment wichtigste Person im Raum zu sein.

Es stimmt verlässlich: Die Besten sind am Ende nie die Zyniker*innen, und Willi Resetarits war - nach all den oben aufgezählten und nicht aufgezählten Verdiensten - ein lebendiger Beweis dieser wertvollen Wahrheit.

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