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FM4 Sun Screen: Dirty Dancing

Die Lieblings-Sommerfilme der FM4 Filmredaktion. Eine Reise von Long Island über die Lombardei ins Camp Crystal Lake. Heute geht es in die Catskills, wo Baby und Johnny - und die 1960er mit den 1980er Jahren tanzen. Meine Damen und Herren: „Dirty Dancing“.

Von Pia Reiser

Während „Big Girls don’t cry“ einem einen unentrinnbaren Ohrwurm verpasst und einen auf ein frühes 1960er Jahre Setting einschaukelt, ist der Font, in dem sich der Filmtitel „Dirty Dancing“ präsentiert ein Kind des Filmproduktionsjahres 1987. Das macht auch den Reiz des Films aus, dieses seltsame wie perfekte Verschmelzung zweier Jahrzehnte. Am Soundtrack trifft Sixties Soul auf 1980er Jahre Synthieballaden. Die Kostüme bilden vielmehr die 1980er Jahre ab als die 1960er Jahre: Goldene Gürtel, Polyesterbodies, Hot Pants, enge, ärmellose Tops. Das Jahr, in dem der Film spielt - 1963 - tanzt Schleicher mit dem Jahr, in dem der Film entstanden ist. Ein Film, der wie viele andere sich Sommerferien vornimmt, um u.a. von Emanzipation und Abnabelung zu erzählen. Aber natürlich auch von einer Sommerromanze, spaghetti arms und Melonen.

FM4 Sun Screen - Die schönsten Sommerfilme
Den ganzen Sommer lang stellt die FM4 Filmredaktion Filme vor, in denen der Sommer besonders schön inszeniert wird – oder in denen der Sommer eine essentielle Rolle spielt.

Mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester fährt die 17jährige Frances Houseman (Jennifer Grey) – genannt Baby – in den Sommerurlaub. That was the summer of 1963 when everybody called me Baby, and it didn’t occur to me to mind. That was before President Kennedy was shot, before the Beatles came, when I couldn’t wait to join the Peace Corps, and I thought that I’d never find a guy as great as my dad.

Dieser Dad, ein Arzt, der die Arzttasche auch in den Urlaub mitnimmt, lenkt das Familienauto in der ersten Szene dorthin, wohin es auch viele andere Familien des jüdischen Mittelstandes in den 1960er Jahren zieht: in die Catskills. Ein Mittelgebirge im Südosten des Bundesstaates New York, auch genannt Borscht Belt oder Jewish Alps. Erholungsort und Talenteschmiede. Viele Stand Up Comedians wie Jerry Lewis oder Mel Brooks haben ihre ersten Auftritte in den Hotels und Resorts in den Catskills. (Die großartige Serie „The marvelous Mrs Maisel“ widmet sich ebenfalls in ein paar Episoden diesen Ferienressorts mit ausuferndem Aktivitätenprogramm.)

Zwei Frauen tanzen, ein Mann sitzt am Boden, Szenenbild aus "Dirty Dancing"

Concorde

Drehbuchautorin Eleanor Bergstein nennt „Dirty Dancing“ einen „sehr jüdischen Film, wenn man weiß, worauf man achten soll“. Darauf, dass z.B. Milch und Fleischprodukte im Ferienressort nie gemeinsam gegessen werden. Die Entdeckung von „Dirty Dancing“ als jüdischer Film ist eher neu, ebenso wie die Erkenntnis, dass Baby Houseman in einem Kinojahrzehnt, das von Actionhelden dominiert worden ist, als feministische Hauptfigur heraussticht. Ganze Bücher wie „Ich hatte die Zeit meines Lebens“ sind inzwischen darüber geschrieben worden. Der Film erlebt in den letzten zehn Jahren eine Neu-Deutung und Aufwertung. Wer ihn als „Guilty Pleasure“ oder Schmonzette abtut, hat ihn entweder noch nie oder schon lange nicht mehr gesehen.

Die Ferien verbringt Baby dann natürlich tanzend – an der Seite des Tänzers Johnny, gespielt von Patrick Swayze. Ein unglücklicher Halbtags-Gigolo und passionierter Tänzer. Der male gaze ist hier nicht zu finden, im Gegenteil. Die Kamera weidet sich an Swayzes nacktem Oberkörper, wenn er versucht, Baby das Tanzen zu lernen. Baby springt als Tänzerin ein, weil Johnnys Partnerin Penny einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lässt, ein Eingriff, der damals in den USA noch illegal ist. Dass „Dirty Dancing“ in einem kleinen Nebenstrang thematisiert, wie die Lage von Frauen ausgesehen hat, die vor „Roe v Wade“ eine Schwangerschaft abbrechen wollen, erstaunt einen auch beim x-ten Mal anschauen immer wieder.

Dirty Dancing

Concorde

Dem strengen Gesellschaftstanz, wie ihn die UrlauberInnen in den Catskills lernen, steht das wilde, freie, eben das „dirty dancing“ gegenüber: Wenn die TanzlehrerInnen in ihrer Freizeit Partys schmeißen, dann mit sehr wenig Regeln und sehr viel Hautkontakt. Als er 1987 in die Kinos kommt, löst „Dirty Dancing“ einen Tanzschulboom aus. Und seit ein paar Jahren erleben auch die Catskills als Urlaubsdestination eine Renaissance. Und die jugendlichen Paare, die beim Baden gehen sich an der Hebefigur im Wasser versuchen, die wird es wohl auch noch länger geben. Ich jedenfalls kann weder über Baumstämme balancieren noch Melonen tragen, ohne an Baby und Johnny zu denken.

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