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Verhaftung von Julian Assange

RUPTLY / Youtube

Erich Moechel

„Kafkaesker Prozess“ gegen Julian Assange wird fortgesetzt

Das eigentliche Skandalon an diesem Prozess sind seine Umstände. Die Richterin lässt es zu, dass die US-Kläger die Klageschrift jeweils in letzter Minute neu strukturieren. Assange und seinen Verteidigern werden gerade 30 Minuten Vorbereitungszeit gewährt.

Von Erich Moechel

Am Montag wird das letzte Woche wegen eines Covid-Verdachts unterbrochene Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in London wieder aufgenommen. In diesem von den USA betriebenen Prozess gegen den Aufdecker sind Beobachter und Journalisten weitgehend ausgeschlossen, für dutzende Beobachter und Journalisten stehen abseits der wenigen Akkreditierungen gerade einmal acht freie Plätze zur Verfügung. Dieselben Restriktionen gelten für die Videostreams.

Am Donnerstag wurde den Vertretern von Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, PEN et al von der Richterin ohne Begründung mitgeteilt, dass sie auch von den Videostreams dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Die NGOs reagierten empört und sprachen von „kafkaesken Zuständen“. Zum Start am Montag wurden Assange und seine Anwälte überdies mit einer völlig neuen Klageschrift der USA konfrontiert. Am Freitagnachmittag war der Covid-Verdacht übrigens bereits wieder ausgeräumt.

Prozess gegen Julian Assange

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Neben Rebecca Vincent von "Reporter ohne Grenzen rangelten 40 weitere Personen um die acht freien Plätze im Gerichtssaal. Darunter waren weniger Journalisten sondern auffällig viele Vertreter unterschiedlicher NGOs. Das ist direkt auf die Medienstrategie der britischen Justiz zurückzuführen, die alles unternimmt, um die Berichte über die Verhandlung möglichst gering zu halten (siehe unten).

Reporter ohne Grenzen, Amnesty International

Wie aus einem simplen Upload-Mechanismus für Dokumente eine Anstiftung zu einer Straftat wird. Kontakte zu Informanten werden zur „Verschwörung zum Verrat von Staatsgeheimnissen“.

„Noch nie sind wir als Beobachter bei dem Versuch, einen Fall in einem anderen Land verfolgen, auf so viele Hindernisse gestoßen wie bei diesem Verfahren in Großbritannien gegen Julian Assange“, sagte Rebecca Vincent, Chefin des Londoner Büros von Reporter ohne Grenzen (ROG) zu den Medien nach dem dritten Verhandlungstag am Mittwoch. Bei einem Fall von so enormem öffentlichen Interesse sei das extrem beunruhigend. „Nachdem wir gestern nur dank Unterstützung der deutschen Botschaft und politischen Beobachterinnen als einzige NGO bei Assange im Gericht waren, wurde uns heute ohne Begründung wie anderen NGOs selbst der Videolink zur Anhörung entzogen.“

„Wir sind schockiert, dass uns sogar die Genehmigung entzogen wurde, den Prozess per Video zu verfolgen“, sagte Marie Struthers, die Leiterin von Amnesty International Europa. „Prozessbeobachtung ist unser tägliches Brot. Wir machen das auch in den Staaten mit den repressivsten Regimes und haben uns erneut um einen Beobachterplatz beworben.“ Hinter der Vorgangsweise der britischen Regierung gegen diese renommierten Bürgerrechtsorganisationen zeichnet sich ihr medienstrategischer Ansatz deutlich ab.

Prozess gegen Julian Assange

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Edward Snowden verfolgt den Prozessverlauf so gut es eben geht aus der Ferne. Was hier angesprochen wird ist für die Verteidigung ein gravierendes Problem, das gerade die Zeugen der Verteidigung besonders betrifft. Am Montag erhielten die Anwälte von Julian Assange, die sechs Monate lang keinerlei Kontakt zu ihrem Klienten hatten, gerade 30 Minuten, um sich auf die neuen Fragestellungen der Anklage vorzubereiten.

Die Vorgangsweise gegen Medienberichte

Diese Vorgangsweise gegen Berichte über Leaks aus dem Sicherheitsektor hat Methode. Und die stammt von der „Fives Eyes“-Spionageallianz. In Australien traf es Journalisten der öffentlich-rechtlichen ABC.

Assange wird aus dem Hochsicherheitstrakt von Belmarsh zuletzt über einen unterirdischen Gang in den Gerichtssaal gebracht. Damit ist sichergestellt, dass es von Assange keine Fotos gibt. Die Umstände für die Medienvertreter bringen es mit sich, dass es keine laufende Berichterstattung irgendeines großen internationalen Medienhauses gibt. Es gibt zwar Presseakkreditierungen, inhaltlich verläuft der Prozess auch wenig spektakulär, es sei denn man betrachtet die Prozessführung genauer. Letzteres machen die einzigen Medien, die fortlaufend berichten.

Das sind die vergleichsweise winzigen US-Mediensites Consortium News und „Shadowproof“. Sowohl die vom legendären Aufdecker Daniel Ellsberg - der am Dienstag auch als Zeuge der Verteidigung auftrat - mitbegründeten „Consortium News“ wie auch Shadowproof-Publizist Kevin Gosztola sind auf Nachrichten aus dem Bereich der nationalen Sicherheit spezialisiert. Nur damit und über den Twitterfeed der italienischen Journalistin Stefania Maurizi ist es möglich, das Geschehen im Old Bailey einigermaßen konsistent zu verfolgen.

Prozess gegen Julian Assange

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Dame Vivienne Westwood, die Modedsesignerin war eine der prominenten Figuren beim Protest, außerdem sprach der Dokumentarist John Pilger zum Auftakt vor dem Gericht.

Das Skandalon ist die Sequenz

Und erst die Ereignisse in ihrer Sequenz zeigen das eigentlich Skandalöse an diesem Prozess. Wie schon im Frühjahr gestattet Richterin Vanessa Baraitser den US-Anklägern, ihre Klage in letzter Minute nach Belieben abzuändern, die Wikileaks-Anwälte wurden dadurch zu Prozessbeginn am Montag mit einer völlig anders lautenden Klage konfrontiert, als jene, auf die sie sich - und auch die eigenen Zeugen - sechs Monate vorbereitet hatten. Die neueste Version der Klageschrift ist rund um die Delikte Nr 16 und 17 von 18 Anklagepunkten aufgebaut.

Anstelle der Hauptanklagepunkte „Verschwörung zum Landesverrat“ und „Spionage gegen die USA“ dreht sich seit Montag alles um „Gefährdung von Menschenleben“. In dem 2010 publizierten, mit 75.000 Einzeldokumenten riesigen Konvolut des Pentagon zu den Kriegsereignissen in Afghanistan im Irak waren eine Handvoll Namen einer Schwärzung entgangen. An diesem Verstoß wurde die „Gefährdung von Menschenleben“ aufgehängt. Chelsea Manning, von der diese Dokumente stammen, war in genau diesen Punkten angeklagt und freigesprochen worden.

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Dieser und der folgenden Anklagepunkt aus dem Superseding Indictment gegen Assange stehen derzeit im Mittelpunkt des Prozesses. Man beachte, dass sich auch dieser Klagepunkt um „unerlaubte Veröffentlichung von Dokumenten“ dreht.

Wie es weitergeht

Das Gros der Prozessbeobachter geht davon aus, dass diese Neuaufstellung der Anklage passiert, um ein drohendes Scheitern der Klage in den übrigen 16 Punkten zu verhindern. Und die könnten alle investigativen Journalisten weltweit betreffen, die interne Dokumente aus US-Regierungs- und Behördenquellen veröffentlichen. In 17 von 18 „Counts“ wird das Hauptdelikt nämlich als „unautorisierter Besitz“ bzw. „unautorisierte Veröffentlichung von Dokumenten aus dem Verteidigungssektor“ bezeichnet. Als Höchststrafe stehen für Assange 175 Jahre Haft im Raum.

Die Videoplattform Ruptly des russischen Staats-TV RT ließ sich sich diesen Propagandacoup nicht entgehen. Ein Kamerateam von Ruptly TV hatte den einzigen Bildbericht von der Verhaftung Julian Assanges.

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