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Filmstills von "The Devil All The Time" & "True History Of The Kelly Gang"

Netflix / Koch Media

FILM

Die Heimkino-Tagebücher: Das Teuflische in Menschengestalt

„The Devil All The Time“ und „True History Of The Kelly Gang“: Zwei sehr unterschiedliche Filme, die von gewalttätigen Zeiten und abgründigen Figuren erzählen.

Von Christian Fuchs

Manchmal passieren selbst in der keimfreien und kalkulierten Hollywood-Welt seltsame Dinge. Dazu gehört auch ein Film, in dem sich Stars aus dem Marvel-Universum und der „Twilight“-Saga als Serienkiller, korrupte Cops und brutale Verführer gegenüberstehen. Schauspieler wie Tom Holland, Sebastian Stan oder Robert Pattinson mögen mit anderen Werken das poppige Unterhaltungskino repräsentieren. In „The Devil All The Time“ lügen und betrügen sie, sie missbrauchen und morden.

Das American Gothic-Epos, in dem Spider-Man, der Winter Soldier und Edward Cullen ihre abgründigsten Seiten zeigen, basiert auf einem Roman für besonders starke Nerven. Der US-Autor Donald Ray Pollock schreibt Bücher über die dunkelsten Seiten der USA. In der Tradition von Literatur-Außenseitern wie Jim Thompson stehend, aber auch von Südstaaten-Autorinnen wie Flannery O’Connor geprägt, entfesselt er in lakonischer Sprache eine zwischenmenschliche Hölle.

Auch Pollocks Schlüsselwerk „Des Teufels Handwerk“ spielt in seinem tatsächlichen Heimatort Knockemstiff in Ohio. Ein winziges Kaff, das in den trostlosen, eiskalten, politisch unkorrekten Geschichten des Schriftstellers das Böse symbolisiert. Inzest, Pädophilie, fanatische Religiosität, Sadismus sind an der Tagesordnung. „There’s a lot of no-good sons of bitches out there“ warnt ein Vater im dazugehörigen Film seinen Sohn.

"The Devil All The Time" Filmstills

Netflix

Derangierte Provinzbürger

„The Devil All The Time“ verpackt unterschiedliche Handlungsstränge, die sich immer wieder kreuzen, zu einem sehr dichten Plot. Anfang der 60er Jahre kollidieren in der ländlichen Trostlosigkeit von Ohio unter anderem die Lebenswege eines mörderischen Pärchens, eines kriminellen Sheriffs und eines jungen Mannes, dem das Schicksal grausam mitspielt.

Arvin Russel, gespielt von Tom Holland, hat noch einen Hauch des Guten in sich, während der Rest der derangierten Provinzbürger die Seele metaphorisch dem Teufel verkauft hat. Dazu passen auch selbsternannte Prediger, die das Wort Gottes verkünden, sich aber als Vergewaltiger und Frauenmörder entpuppen. Überhaupt zerfrisst eine pathologische Misogynie fast alle männlichen Figuren.

The Devil All The Time“ ist auf Netflix zu sehen

Regisseur António Campos bemüht sich redlich, die stockdunkle Prosa von Donald Ray Pollock in Filmbilder zu übersetzen. Aber wahrscheinlich wäre eine abgeschlossene Miniserie das geeignetere Format für den rabenschwarzen Kosmos des Autors. Trotz 138 Minuten Laufzeit verhindern zuviele Figuren und dazugehörige Vernetzungen den Tiefgang der Buchvorlage. Dass Pollock selbst aus dem Off das Geschehen kommentiert, klingt in der Theorie großartig. De facto lässt es „The Devil All The Time“ jedoch manchmal wie ein verfilmtes Hörbuch wirken.

"The Devil All The Time" Filmstills

Netflix

Keine moralischen Läuterungen

Entgegen all dieser Einwände hat der Film aber auch viel zu bieten. Das Ensemble, zusammengesetzt aus den erwähnten Mainstream-Stars und angesagten edgy Darsteller*innen wie Bill Skarsgård („It“), Riley Keough („The Lodge“) oder Eliza Scanlen („Sharp Objects“) spielt großartig diabolisch. Robert Pattinson, längst ein verlässlicher Arthouse-Akteur, hat als grindiger Preacher den fast besten Auftritt.

Es gibt melancholische Countrytunes wie in „True Detective“ und bittersüße Schmacht-Schlager á la Martin Scorsese zu hören, pittoreske Settings, verstörende Momente und finstere Überraschungen. Man möchte, ob mit oder ohne Buchvorlage im Kopf, dem Regisseur auch für seinen Mut applaudieren, auf moralische Läuterungen zu verzichten. „Some people were born just so they could be buried“ bleibt stattdessen als hoffnungsloses Fazit am Ende zurück.

Was „The Devil All The Time“ bei aller geballten Morbidität dennoch fehlt, fällt im Vergleich mit einem anderen Verbrecherdrama auf, das mangels Kinostart ebenfalls nur auf dem Heimkino-Markt veröffentlicht wurde. „True History Of The Kelly Gang“, auf deutsch „Outlaws - Die wahre Geschichte der Kelly Gang“ betitelt, ist ein Film mit einer visuellen Vision.

"True History Of The Kelly Gang" Filmstills

TIFF / Koch Media

Fakten und Fiktion verschwimmen

Der verstorbene Heath Ledger hat ihn verkörpert, Mick Jagger ebenso, und einer der ersten australischen Stummfilme handelte von ihm: Edward „Ned“ Kelly. In seinem Geburtsland gilt der junge Mann fast als eine Art windschiefe National-Ikone. Dabei war Kelly im späten 19. Jahrhundert ein sogenannter Bushranger, ein Gesetzloser, ständig auf der Flucht vor der Polizei.

Wie der amerikanische Bandit Jesse James wurde Ned Kelly aber als Rebell wahrgenommen, als Feind des Establishments und Freund der Armen. Gewalttätige Raubüberfälle und Polizistenmorde konnten seiner Popularität wenig anhaben. Was zählte, war der erbitterte Widerstand gegen die Kolonialbehörden.

True History Of The Kelly Gang“ ist via BluRay & DVD auf Koch Media erschienen.

Der australische Regisseur Justin Kurzel, der so unterschiedliche Filme wie „Macbeth“ (berauschend überhöhtes Historienkino) oder „Assassin’s Creed“ (genau, die verunglückte Videospiel-Adaption) gedreht hat, präsentiert nun die „True History of the Kelly Gang“. Ein Titel, der ganz bewusst in die Irre führt. Denn mehr als alle anderen Annäherungen bisher betritt der Film das Reich, in dem Fakten und Fiktion komplett verschwimmen.

"True History Of The Kelly Gang" Filmstills

TIFF / Koch Media

Rockstar des Raubmords

Über weite Strecken gelingt Justin Kurzel dabei eine psychedelische Hommage an entgrenzte Spätwestern von Sam Peckinpah, Sergio Corbucci oder sogar Alejandro Jodorrowsky. An Filme also, in denen verwirrte Cowboys und Killer durch apokalyptische Untergangszenarien reiten. Dann wirkt die Saga von Ned Kelly wie aus einer grellen Realityshow entsprungen.

Der Titel-(Anti-)Held, charismatisch gespielt von George McKay („1917“), inszeniert sich mit seiner rabiaten Bubentruppe als australische Robin Hood Figur. Aber auch als Rockstar des Raubmords, der mit seiner Gang queerer Punks durch den Busch zieht. Dabei sind die Frauenkleider und das Make Up anfangs noch ein Trick, um Feinde zu erschrecken. Irgendwann verschmilzt das Outfit aber mit der Bande, passend zu diesem Film, der die Grenzen zwischen Geschlechtern und Genres ein wenig auflöst.

Mittendrin: Nick Caves begabter Sohn Earl, Essie Davis als kämpferische Kelly-Mutter, Russell Crowe als asozialer Vater-Ersatz und Nicholas Hoult als sadistischer Gesetzeshüter. Das wahre Highlight dieses wilden Westerns mit Pop- und Punk-Appeal ist aber die Kamera von Ari Wegner.

"True History Of The Kelly Gang" Filmstills

TIFF / Koch Media

Wenn die Kelly Gang ihre selbstgebastelten Rüstungen und Helme anlegt und in den Kampf zieht, dann bekommt der Film halluzinatorische Qualitäten. Man hätte sich „True History Of The Kelly Gang“ auf einer großen Leinwand erträumt, aber zumindest im Heimkino sollte man sich diese Outlaw-Saga nicht entgehen lassen.

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