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Der Song zum Sonntag: Julia Holter - „So Humble The Afternoon“

Es muss nicht alles so sein, wie es ist, singt Julia Holter und gibt in ihrem Herbstsong „So Humble The Afternoon“ dem Nachmittag eine neue Bedeutung.

Von Christoph Sepin

Was kann man sich vorstellen unter einem „humble afternoon“, einem „bescheidenen Nachmittag“? Bescheidenes Wetter, vielleicht? Ein paar Wolken am Himmel, eine leichte Brise, wohl ein Herbsttag im Oktober, den man schön von zu Hause, durchs Fenster schauend, erleben kann - wie das ganze Jahr 2020 eben, das Jahr des Lockdowns, des Daheimbleibens, der Welt, die irgendwie mehr Sinn ergibt, wenn sie da beschaulich an der Fensterscheibe klebt.

Es werden wohl noch mehr Lieder in den kommenden Monaten veröffentlicht werden, die sich mit der Welt da draußen aus der Perspektive der passiven Beobachter*innen beschäftigen, denn wie alle anderen, verbringen auch Liederschreiber*innen mehr Zeit als sonst in den eigenen vier Wänden. Und auch wenn Julia Holters „So Humble The Afternoon“ ursprünglich schon im Jahr 2018 für eine Compilation von Adult Swim erschienen ist (und jetzt quasi „neu“ released wurde), funktioniert ihr Lied über die Neubestimmung des Nachmittags doch sehr gut als aktuelle Momentaufnahme.

Allgemein ist der Nachmittag nicht unbedingt die inspirierendste Zeit, anders als der verheißungsvolle Morgen oder der bedeutungsvoll-romantische Abend. Die Zeit dazwischen, die passiert oft einfach: „I was immersing myself in the woozy warmth of the synth and mellotron timbres and they were a comforting foundation for me to sing over, to soften the harshness of the afternoon which always feels to me like the least introspective and most alienating part of the day“, das sagt Julia Holter über ihr „So Humble The Afternoon“.

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Der Nachmittag also, als am wenigsten in sich gekehrte Tageszeit, als die befremdlichsten Stunden, wie das Julia Holter sagt. Lieder drüber singen kann man aber trotzdem, weil auch wenn sich das alles so anfühlt, muss das alles nicht so sein: „Doesn’t have to be...“ und „Doesn’t have to mean...“ sind zwei wichtige Zeilen in Holters Song, die in den fünfeinhalb Minuten ihres Liedes ganz zentral sind.

Mitten in ganz simplen Synthesizermelodien, die es schaffen, einerseits wohlig-wärmend, andererseits nebelig-kalt zu wirken, erzählt Holter über ganz alltägliche Momente des Nachmittags: Sie sitzt in ihrem Auto und startet den Motor, sie schläft in ihrem Wohnzimmer ein, draußen beginnt ein Sturm, der am Fenster rüttelt: „Quick storms blow right through, doesn’t have to be the window“. Holter findet dazu sehr schöne Worte: „I feel the cool of sin“, sagt sie zur Kälte, die der Herbst mit sich bringt.

Dann glaubt man, es ist alles vorbei in diesem Lied, wenn Stimme und Akkorde langsam leiser werden, aber Holter lässt das Outro ihres Songs für knapp zwei Minuten wirken. Und auch wenn Instrumente in den Hintergrund verschwinden, wird hier nichts nebensächlich oder beiläufig. „So Humble The Afternoon“ ist der Soundtrack, der nicht nur begleiten möchte, sondern dem Nachmittag, der Zeit in der er im Idealfall gehört werden sollte, neue Bedeutung gibt. Womit Julia Holter, mit Leichtigkeit, ihr Ziel erreicht: „To soften the harshness of the afternoon“, den Nachmittag milder, wärmer und wohl auch bescheidener zu machen.

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