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Marc Carnal

MARC CARNAL

Die Sache mit der Kommission

Ein reumütiges Geständnis als Teil der Aktion „Kick Corona“ des Österreichischen Autoren-Fußballteams.

von Marc Carnal

Ja, es gibt ein Österreichisches Autoren-Fußballteam. Für gewöhnlich trainiert die heitere Literaten-Truppe regelmäßig in Wien oder tritt gegen Schriftsteller-Teams aus anderen Ländern an. Dank der Pandemie konnten heuer aber leider keine internationalen Freundschaftsspiele stattfinden.

Um zumindest im Schreibtraining zu bleiben, haben Präsident Kurt Leutgeb und Schriftführer Clemens Berger das Schreibprojekt „Kick Corona“ ausgeheckt.

Die äußerst vielfältigen Beiträge werden regelmäßig auf dem Youtube-Kanal des Autoren-Fußballteams veröffentlicht.

Und das ist - in Wort und Bewegtbild - mein Beitrag namens:

Die Sache mit der Kommission

JA, ich war damals in der Kogler-Kommission. JA, es war meine Idee. Ja, ICH war schuld. Können Sie so zitieren. Zufrieden?
Ich bitte Sie. Können Sie das nicht alles nachlesen? Ich will nicht mehr darüber reden. Ok?
Was heißt da “meine Sicht der Dinge”? Als würde das irgendetwas ändern.
Aber gut. Gewonnen, ok? Dann erzähle ich eben alles noch mal. Von vorne.

Also fast. Wie und warum ich damals überhaupt Teil der Kogler-Kommission wurde, überspringen wir. Sie wissen ja, wie sowas läuft. Da lernt man beim Hundefriseur eine Erdgas-Millionärin kennen, die gerade dringend einen Lacrosse-Sparringpartner für ihren Sohn sucht, bald darauf kokst man in der Rooftop-Gegenstromanlage mit Entscheidungsträgern Brüderschaft und schon sitzt man in irgendwelchen Kommissionen.

Zuerst lief es eigentlich ganz gut. Wir machten Konzepte, Leitfäden, Maßnahmenkataloge, Strategiepapiere, Analysen, Evaluierungen usw. Klassische Kommissions-Ware halt.
Bis Anfang November das Unheil seinen Lauf nahm.

Kogler selbst war praktisch nie dabei. Nur bei der ersten Sitzung. Und einmal im Sommer hat er uns eine Batterie Krapfen vorbeigeschupft, nach oben gedeutet und “LG vom Chef” geflüstert. Versteh ich bis heute nicht.
Dieses Mal kam er ohne Mehlspeise. “Ihr müsst euch da was überlegen”, herrschte er uns an. “Das mit den leeren Stadien ist ein Schas.”
Damit hatten wir nicht gerechnet.
“Aber Herr Sportminister, bei allem Respekt”, meldete sich Kollege Pfeffer vorsichtig, “es ist doch Lockdown. Wir können doch nicht einfach…”
“Na und?”, fuhr ihm Kogler dazwischen, “lasst euch gefälligst irgendwas einfallen. Alles ist besser als diese Geisterspiele. Ist doch peinlich, wenn man die Trainer rumproleten hört.”
“Also die Engländer spielen einfach die Stadion-Atmo im Fernsehen ein”, meinte Polzer.
“Vielleicht irgendwas mit Schnelltests und Plexiglas?”, brainstormte der Major.
“Oder wir machen es wie die Weißrussen und scheißen einfach drauf”, schlug Mählich vor.
Kogler dachte kurz nach.
“Nein”, sagte er, “überlegt euch was Besseres. Morgen same time same place. Tschüss mit Ü, Ciao mit I-A-O.”

Am nächsten Tag stand er mit Untertassen-Pupillen vor uns. “UND? Ich höre!”
Niemand hatte etwas vorbereitet. Kogler war fassungslos.
Da hatte ich plötzlich eine Idee. Die ich bis heute bereue.
“Was wäre”, meldete ich mich, “wenn wir den Spieß einfach umdrehen?”
Alle starrten mich an. Jetzt musste ich liefern.
“Was wäre, wenn wir einfach NUR Corona-positive Leute in die Stadien lassen? Wenn ALLE Corona haben, wäre das doch… schon wieder egal, oder? Natürlich nur Menschen mit keinen oder leichten Symptomen und keine Intensivpatienten. Wir sammeln am Wochenende einfach mit Bussen die infizierten Fans ein, bringen sie für das Spiel ins Stadion und danach wieder heim.”
“Und die Busfahrer?”, fragte der Major.
“Und die Stadionordner?”, fragte Mählich.
“Ebenfalls alle Corona-positiv. Wir haben derzeit über hunderttausend Fälle im Land. Da werden ja wohl ein paar Busfahrer und Ordner dabei sein.”
“Die Kranken würden sich bestimmt freuen”, meinte Pfeffer. “Denen ist doch eh fad in der Quarantäne.”
“Quarantäne schreibt man mit K”, korrigierte ihn der Major.
“Danke Pfeffer!”, rief ich. “Wenigstens einer versteht mich hier.”
“Aber die Spieler!”, warf Mählich ein.
“Wir lassen zur Sicherheit die ersten drei Reihen frei”, improvisierte ich.
Kogler klatschte zufrieden in seine dicken Steirerpratzen. “Genial, Carnal. Genau so machen wir das.”
Schon eine Stunde darauf war die PK.

Der Rest ist Geschichte. Nach dem legendären “Cluster von Hütteldorf” wurde die gesamte Kommission fristlos freigestellt. Kogler legte man den Rücktritt nahe. Über Wochen war uns der Hohn der internationalen Presse sicher.
Aber mal ganz ehrlich: SO schlecht war die Idee doch gar nicht! Wäre nicht alles so überstürzt worden, hätte sich das Modell durchaus bewähren können. Vor dem Spiel lief ja auch noch alles perfekt. Der Aufruf in “Sport am Sonntag”, der Ticketverkauf über 1450, Schröcksnadel als freiwilliges Werbe-Testimonial, das internationale Interesse… Kurz sah es so aus, als hätten wir ins Schwarze getroffen.

Bis zum Spieltag. Immerhin zehntausend Covid-infizierte Fans kamen im Stadion und fieberten - teils im wahrsten Sinn des Wortes - dem Schlager zwischen Rapid und Salzburg entgegen. Schon vor dem Spiel war die Stimmung seltsam. Immer wieder wurden die Gesänge und Schlachtrufe von kollektiven Hustenanfällen unterbrochen. Auch La Ola war kein großer Erfolg. Es war wie bei einer Pandemie: Erste Welle, zweite Welle und aus. Gröbere Unstimmigkeiten gab es bei den Imbiss-Ständen. Die durchwegs kranken Gastronomen hatten mangels Geschmacksinn die Snacks völlig überwürzt. Die Fans schmeckten das viele Salz zwar nicht, bekamen davon aber ungeheuren Durst. Manche hatte schon vor Anpfiff sieben Bier intus. Die auf ihren Corona-Gaumen aber ebenfalls schal schmeckten. Vereinzelte Handgreiflichkeiten waren die Folge.
In der ersten Halbzeit waren bereits alle komplett dicht. Die Ordner versuchten, die zahlreichen Flitzer zu erhaschen, die permanent über das Spielfeld sausten, brachen aber nach der Reihe röchelnd zusammen. Auch die Covid-positiven Polizisten im Stadion griffen irgendwann nicht mehr ein, sondern lieber zum Bier. Spätestens ab der Halbzeitpause war das Geschehen auf den Rängen völlig außer Kontrolle. Der Begriff Corona-Party wurde neu definiert. Nach Monaten ohne Massenveranstaltungen schienen die Fans all das Versäumte in zwei Stunden nachholen zu wollen. Es wurde gebrüllt, gesungen und getanzt. Fröhliche Faustkämpfe auf der Westtribüne, ein spontaner Rudelfick in Sektor 9, begeisterter Vandalismus unter den Gästefans.
Richtig beschissen war das Ganze aber für die Spieler. Wir hatten uns einfach darauf verlassen, dass eine Ansteckung unter freiem Himmel viel unwahrscheinlicher ist als in geschlossenen Räumen. Dass sich auf die beiden Mannschaften während des Spiels aber ein wahrer Aerosol-Dauerregen mit einem Best-of sämtlicher Viren-Mutationen ergießen würde, hatten wir nicht auf der Rechnung. Masken trugen nämlich nur die Hooligans - aus strafrechtlichen Gründen. So wurde der zwölfte Mann zum Super-Spreader.

Eine der empfindlichsten Folgen für den Fußball war, dass die restlichen Europacup-Spiele von Rapid und Salzburg strafverifiziert wurden, weil die Clubs keinen einzigen gesunden Spieler oder Betreuer mehr hatten.
Noch fataler waren aber die Stunden nach dem Spiel. Die Busse blieben leer. Trotz Ausgangssperre zogen tausende Corona-Kranke, eskortiert von schwer alkoholisierten Einsatzkräften, grölend durch die Stadt und infizierten zahllose Menschen, die sich dem grün-weißen Straßenfest spontan anschlossen. Eine Woche darauf wurde auf der Corona-Ampel nur für Wien die Farbe Schwarz eingeführt. Verglichen mit dem Cluster von Hütteldorf hatte man in Ischgl wirklich alles richtig gemacht.

Also, noch einmal fürs Protokoll: Ja, es war meine Idee.
Sind Sie jetzt zufrieden?
Nichts zu danken.
Ihnen auch alles Gute.

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