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Menschen bei einer sogenannten "Corona-Demo" in Graz am 9.1.2021

APA/STRINGER

„Tag der Befreiung“: Welche Szene steckt hinter den Corona-Demos?

Corona-Demos stehen mittlerweile in ganz Österreich an der Tagesordnung. Aber wer sind diese Menschen, die „gegen Corona“ demonstrieren und was treibt sie an? Ein Überblick über eine Szene, die sich zunehmend radikalisiert.

Von Ambra Schuster

Als die ersten letzten April „gegen Corona“ demonstrierten, wurden sie als ein paar Aluhutträger abgetan. Heute ist die Polizei wegen den „Querdenkern“ im Großeinsatz. Dem „Tag der Befreiung“ am 16. Jänner wollen sich bis zu 30.000 Personen anschließen. Es wäre die bisher größte Corona-Protestaktion, zwölf angemeldete Demozüge wollen zum Wiener Heldenplatz marschieren. Auch FPÖ-Politiker wie Michael Schnedlitz und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache haben ihre Demo-Teilnahme angekündigt.

Seit Wochen wird der 16. Jänner hochstilisiert und für diesen „Tag der Befreiung“ mobilisiert. Im Vorfeld zur heutigen Großdemo in Wien wurden in ganz Österreich „Solidaritätsdemos“ angemeldet. Der Hintergedanke des Organisators: „Jeder Polizist, der bei einer anderen Demonstration eingesetzt wird, kann nicht zur selben Zeit in Wien sein.“

Im Aufschwung

Corona-Demos fluten seit Tagen nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch das Land. Wobei vielfach die gleichen Gesichter auftauchen und auch dahinter stecken. Die Polizei spricht von einem regelrechten „Demotourismus“. Aber auch wenn der Kern der Szene noch überschaubar ist, die wenigen lauten Köpfe schaffen es zu mobilisieren.

Auffällig ist, dass sich vor allem in kleineren Städten wie Braunau oder Amstetten überproportional viele Menschen den Anti-Maßnahmen-Demos anschließen. Der Journalist und Szene-Kenner Michael Bonvalot erklärt sich dieses Phänomen mit dem traditionellen Lebensstil, der in ländlicheren Gebieten gepflegt wird. „Die Menschen entscheiden sich, was sie glauben. Und sie entscheiden sich eben dafür, dass sie das glauben, was ihnen eine Fortsetzung ihres Lebensstils erlauben würde“, sagt Bonvalot. Diese Menschen würden zwar erreicht werden, verschließen sich aber bewusst rationalen Argumenten.

Verschwörungstheoretiker und vermeintliche Verfassungsrechtler

Die Aufmärsche der „Querdenker“, „Fairdenker“ und des „CoronaWiderstands“ sind ein Sammelbecken geworden für Krisenverlierer*innen, Esoteriker*innen, Corona-Leugner*innen, „Wut-Bürger*innen“ und allen voran rechten und rechtsextremen Gruppierungen.

„Natürlich sind nicht alle Menschen auf diesen Aufmärschen Rechtsextreme, aber sie marschieren Seite an Seite mit ihnen." - Michael Bonvalot

Gemeinsam wird gegen die Corona-Maßnahmen, die Regierung, die Impfung, die Tests und die „Lügenpresse“ demonstriert. Masken und Abstand? Fehlanzeige. Redner*innen verbreiten falsche Behauptungen, Antisemitismus und vertreten staats- und demokratiefeindliche Ansichten. Was die Demonstrant*innen eint, ist ihre Frustration über die aktuelle Lage und ihr Glaube an Verschwörungstheorien.

Verschwörungstheorien im eigenen Umfeld? Die Bundesstelle für Sektenfragen hilft weiter.

In den Augen der „Querdenker*innen“ ist Politik eine abgehobene und elitäre Angelegenheit: Politiker*innen sind korrupt und würden nur zugunsten einer Elite handeln. Corona sei außerdem eine globale Weltverschwörung, um die Bevölkerungszahl zu dezimieren. Sie glauben gegen eine Diktatur zu kämpfen und skandieren deshalb „Friede, Freiheit, Solidarität“, „Schließt euch an“ und „Kurz muss weg“. Ein Wording, das inzwischen von Herbert Kickl (FPÖ) übernommen wurde.

Immer wieder wird lautstark der Rücktritt der gesamten Bundesregierung gefordert und die entsprechende Forderung bejubelt. Eine Alternative, die kommen soll, wenn „die ganze Regierung zurücktritt“, haben die Demonstrierenden auf die Schnelle aber nicht parat.

Es gebe durchaus viel und berechtigte Kritik an der Bundesregierung und ihrem Umgang mit der Pandemie, sagt Michael Bonvalot. Schwierig werde es aber dann, wenn die Pandemie schlichtweg geleugnet wird.

Screenshots aus Telegram-Chats

Telegram-Screenshots

In Telegram-Chats wird für die Demos mobilisiert, die Regierung zum Rücktritt aufgefordert und Medien und Journalist*innen gedroht.

Toxische Echokammer Telegram

„Diese Menschen sind hochgradig politisch, aber sie sind nicht fassbar für den demokratischen Diskurs“, sagt Christian Kreil, der die Szene der Verschwörungstheoretiker*innen schon seit einiger Zeit beobachtet und auch für den Standard darüber bloggt. Die Querdenker haben sich vom Staat, der Politik, der Wissenschaft und seriösen Medien abgewandt.

„Diese Menschen sind hochgradig politisch, aber sie sind nicht fassbar für den demokratischen Diskurs.“ - Christian Kreil

Stattdessen informieren sie sich in ihrer eigenen Echokammer. Die Anti-Corona-Szene kommuniziert und vernetzt sich vor allem über den russischen Messengerdienst Telegram. Die einschlägigen Gruppen zeigen eine Parallelgesellschaft. Rechte Medien, Youtube-Wissenschaftler*innen und „Corona-Spezialisten“ bestärken die abstrusen Weltansichten und den dystopischen Blick in die Zukunft.

„Wesentliche zentrale Führungsfiguren sind dezidiert Rechtsextreme und Faschisten.“ - Michael Bonvalot Deutlich wird auch hier, wer das Sagen hat: „Wesentliche zentrale Führungsfiguren sind dezidiert Rechtsextreme und Faschisten. Das sind Leute, die wir seit Jahren aus der extrem rechten Szene kennen und die jetzt ein neues Thema gefunden haben“, sagt Michael Bonvalot.

Unter Beobachtung des BVT

Rechtsextreme Gruppen und Persönlichkeiten nutzen die Gemengelage und rekrutieren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung beobachtet die Protest-Bewegung und ihre Akteure wegen ihres „staatsgefährdenden Potentials“. Schon seit Beginn der Demos sieht das BVT die Corona-Protestszene massiv von Rechtsradikalen unterwandert, unter anderem aus dem direkten Umfeld des mehrfach verurteilten Neonazis Gottfried Küssel.

Screenshots aus Telegram-Chats

Telegram-Screenshots

Mobilisierung und Drohungen auf dem Messengerdienst Telegram

Auch wenn immer wieder betont wird, dass es sich um eine „friedliche, aber konsequente“ Bewegung handle, nimmt die Aggression zu – online, aber auch offline, etwa gegen Journalist*innen. Es herrsche eine Art Endzeit-Stimmung. „Ich halte diese Bewegung für ein potenzielles Pulverfass. Sie radikalisieren sich enorm, um dem drohenden Untergang etwas entgegenzusetzen nach dem Motto, ‚alle Mittel sind erlaubt‘“, warnt Bonvalot. Er vergleicht die „Querdenker“-Szene mit jener der Kapitol-Stürmer in den USA. Tatsächlich wurde auf den Seiten und in Gruppen zum Sturm auf das Parlament aufgerufen. Heute herrscht dort fürs Erste aber ein Platzverbot.

Linksextreme und eine kleine Gegendemo

Die Corona-Demos rufen aber nicht nur Rechtsextreme auf den Plan. In einer Aussendung des Innenministeriums heißt es, dass für dieses Wochenende auch linksextremistische Gruppen und der Schwarze Block zu Versammlungen aufgerufen haben. Das Aufeinandertreffen verschiedener extremistischer Gruppierungen berge daher für die Sicherheitsbehörden ein nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential.

Auch eine kleine Gegendemo mit dem Titel „Keine Bühne für Verschwörungsideolog:innen“ mit bis zu 300 Teilnehmern ist angemeldet.

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