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„Das Gewicht von Schnee“: Im Lockdown der Natur

Ein tief verschneites Dorf irgendwo in Kanada. Zwei gestrandete Männer, ein junger und ein älterer, werden eine Schicksalsgemeinschaft - während kein Ende des Schneefalls in Sicht ist. Der Franko-Kanadier Christian Guay-Poliquin hat mit „Das Gewicht von Schnee“ einen Roman geschrieben, der fast wie ein Thriller ist.

Von Eva Umbauer

„Seit einer knappen Woche schneit es heftig. Der Wind zerrt an den Bäumen und wirbelt den Schnee auf. Man weiß gar nicht mehr, ob die Flocken vom Himmel fallen oder vom Boden aufstieben. (...) Dichter Schnee fällt vom Himmel. Die Flocken sind so groß, dass man meinen könnte, jede einzelne bedecke die ganze Landschaft.“

Cover das Gewicht von Schnee

Hoffmann und Campe

„Das Gewicht von Schnee“ von Christian Guay-Poliquin wurde vom französischsprachigen Original, „Le poids de la neige“, für den Verlag Hoffmann und Campe von Sonja Finck und Andreas Jandl ins Deutsche übersetzt.

Ein junger Mann, der namenlose Ich-Erzähler, war lange nicht mehr im Dorf, in dem er aufwuchs. Er kommt, um seinen Vater zu besuchen, doch dieser lebt gar nicht mehr. Irgendwann finden Dorfbewohner den jungen Mann eingeklemmt unter seinem Auto liegend - er hatte einen schweren Unfall. Die Tierärztin und der Apotheker versorgen ihn notdürftig.

Am Rand des Dorfes kommt er bei einem gewissen Matthias unter, einem ebenfalls gestrandeten Mann. Der ältere wird den jüngeren im hölzernen Anbau eines verlassenen Hauses, in dem er sich aufhält, betreuen. Dafür verspricht ihm die Dorfgemeinschaft Lebensmittel und einen Platz im Bus, der im Frühling in die Stadt fahren wird.

„Matthias sitzt im Schaukelstuhl, vertieft in ein Buch, das er drüben im Haus gefunden hat. So vergeht der Nachmittag. Von Zeit zu Zeit blättert Matthias um, während ich zusehe, wie der Schnee uns langsam unter sich begräbt.“

Achtunddreißig

„Das Gewicht von Schnee“ beginnt mit der Zahl 38 als Überschrift. Achtundreißig. Es liegen 38 Zentimeter Schnee, irgendwann werden es fast drei Meter sein. Erst versucht man noch - auch wenn der Strom komplett ausgefallen ist -, eine gewisse Normalität zu erhalten, etwa indem ein Dorffest veranstaltet wird.

„Wisst ihr was, erzählt Joseph, Jude hat letzte Woche einen Tanzabend organisiert. Er hat die Generatoren angeworfen. Alle waren da. Die Musik schallte durchs ganze Dorf. Großartig war es. Ein Fest. Wie in einem Traum. Die Leute haben gegessen und getanzt.“

Alle Charaktere in „Das Gewicht von Schnee“ haben biblische Namen: Joseph, Jona, Matthias oder Maria. In diesem von der Natur verhängten Lockdown führen sie einen Überlebenskampf. Ein Buch wie ein Thriller.

Christian Guay-Poliquin

Laurence Grandbois Bernard

Christian Guay-Poliquin

Christian Guay-Poliquin schrieb „Le poids de la neige“ schon vor ein paar Jahren. Als es erschien, gab es noch lange keine Covid-Krise, aber dass eine böse Grippewelle wütet, draußen, erzählen sich die Dorfbewohner*innen. Die gegenwärtige Situation mit Corona verleiht dem Roman also etwas sehr Aktuelles.

„Böen rütteln an der Veranda, Wände ächzen, und die Stille bekommt Risse.(...) Durch den Schneefall der letzten Tage sieht mein Fenster immer mehr wie eine Schießscharte aus. Es ist als hausten wir in einem Bunker, der auf eine lange Belagerung ausgelegt ist.“

Kaum erträgliche Isolation

Der junge Mann und Matthias ertragen ihr ungeplantes Zusammenleben nicht immer. Der, der sich nicht bewegen kann, und der scheinbar fitte, der sich um ihn kümmert.

„Matthias brummt irgendwas vor sich hin, während er sich in der Küche zu schaffen macht. Er erinnert an einen sturen alten Hirsch, der beim kleinsten Ärgernis wütend mit dem Huf scharrt. Während ich ihn aus dem Augenwinkel beobachte, kommt mir der Gedanke, dass dieser Raum bald zu klein für uns beide werden könnte.“

„Das Gewicht von Schnee“ ist ein spannender post-apokalyptischer Roman, intensiv und dicht, poetisch, aber auch brutal. Eine Erzählung, die - mehrfach mit Preisen ausgezeichnet - auch eine dunkle Hommage an die Natur ist, inspiriert von den harschen Wintern in Quebec, der kanadischen Heimatprovinz von Christian Guay-Poliquin.

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