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Sleaford Mods

Sleaford Mods

„Spare Ribs“ ist das neue Album der Sleaford Mods

Einmal mehr bekommt das britische Polit- und Pop-Establishment sein Fett ab, doch die Elektropunks aus Nottingham können auch melancholisch und zärtlich pöbeln.

Von Christian Lehner

Für Neueinsteiger eine kurze Einführung in das Wesen der Sleaford Mods:

Sleaford Mods Album "Spare Ribs"

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Jason Williamson weiß, dass er längst der Gosse entkommen ist, doch der Sänger und Texter der Sleaford Mods hat sich dort viel zu lange herumgetrieben, um zu vergessen, wie das ist, wenn man die Miete nicht mehr zahlen kann.

Einsicht in die Unterschicht

Die Jahre der unsteten Jugend verfeuerte Williamson in der Rave-Szene Englands. Er arbeitete in einem Schlachtbetrieb, in einem Logistikzentrum, in einem Callcenter und in vielen weiteren Low-Paying-Jobs. Williamson war mal Sozialarbeiter mal Sozialhilfeempfänger. Er hielt sich stets an der Bordsteinkante der menschlichen Existenz auf. Pillen und Booze machten das Balancieren nicht gerade einfacher.

Dann ein paar Rap- und Punk-Versuche. Der Schritt zur Profession Popmusiker gelang Williamson und seinem musikalischen Partner Andrew Fearn aber erst mit Ü40. In diesem Alter feiern viele Standeskolleg*innen ihre Rente mit Anbindung an eine Entzugsklinik oder sie mühen sich zu einem weiteren Comeback-Versuch. „Ich werde oft gefragt, ob ich mich als Stimme der Unterschicht fühle“, sagt Williamson im FM4 Interview. „Die Antwort ist Ja. Ich bin da völlig unbescheiden. Ich habe den größten Teil meines Lebens von der Hand in den Mund gelebt. Ich bin zu alt, um diese Identität abzulegen."

Seit dem 2015er-Album „Key Markets“ geht der Marktwert der Sleaford Mods durch die Decke. Zu dem Pub-Publikum der frühen Jahre gesellte sich mit der Zeit das linksliberale Kulturbürgertum, das es außerhalb der eigenen vier Wände gerne derb hat. Über die Texte der Sleaford Mods lassen sich Erfahrungen konsumieren, die man selbst lieber nicht machen möchte, deren Konsequenzen man nicht tragen muss und deren Ursachen einen selbst kaum betreffen.

Sleaford Mods Album "Spare Ribs"

Rought Trade/Beggars

„Spare Ribs“ ist auf Rough Trade im Vertrieb der Beggars Group erschienen. Hier geht’s zum Interview-Podcast mit Jason Williamson.

Die von stampfendem Elektropunk begleitete Empörungsbewirtschaftung zieht aber auch zunehmend rechte Wutbürger an. Denen scheint die Absage der Sleaford Mods an Nationalismus und Brexit herzlich egal zu sein, solange die emotionale Wucht, die direkte Ansprache und der Furor stimmen.

Als Incel-Held taugt Williamson trotzdem nicht. Sein Lieblingsschimpfwort mag „Cunt“ sein („because it is sooo horrible“), doch in all dem typisch männlichen Zorngepose und Prologehabe sucht man vergeblich nach minderheitenfeindlichen Inhalten, ein Umstand, der in den Portraits über das Duo aus Nottingham kaum Erwähnung findet. Die Sleaford Mods sind politisch korrekte Kotzbrocken, die sich den Abfluss der britischen Gesellschaft von unten ansehen.

Wenn das ehemalige Parteimitglied der Labour Party sagt, „People put the economy before the people”, dann war das kein Versprecher. Jedes Land habe schließlich die Regierung, die es verdiene. „Mehr als die Hälfte der Engländer hat für den Brexit gestimmt“, sagt Williamson. „Viele davon sind jetzt noch ärmer dran als vorher, aber sie haben dennoch dafür gestimmt. Es ist ein vollkommen versautes und rückständiges Land.“

Ripperl mit Schimpf

Als größte Assets bezeichnet Williamson seinen Zynismus und seine Bitterkeit, die ihm einen klaren Blick auf die Dinge ermöglichen würden. Auf dem neuen Album „Spare Ribs“ schummelt sich nun eine zärtliche Resignation zwischen die gewohnten Schimpftiraden. Williamson klopft nicht nur die sozialen Verhältnisse der Gegenwart ab, sondern er begibt sich auf die Spur seiner eigenen Prägung.

In Songs wie „Mork’n’Mindy“ und „Fishcake“ erinnert sich der 50-Jährige an eine „sehr farblose“ Kindheit in den Gemeindebauten von Nottingham. „Als Margret Thatcher Ende der 70er-Jahre an die Macht kam, bot man den Mietern an, diese Wohnungen zu kaufen. Das brachte eine Menge Zwietracht und Neid in die Communities. Plötzlich gab es diese Trennung zwischen Eigentümern und Habenichtsen.“

Melancholisch, fast zärtlich, legt Williamson seinen Sprechgesang über die Beats, Samples und Synthsounds von Andrew Fearn. Der auch für sein verhaltensauffälliges Kopfnicken geliebte Soundmeister der Sleaford Mods lässt in den langsameren Stücken den Presslufthammer in der Ecke stehen und sorgt mit fließenden, ineinandergreifenden Sounds für einen sinistren Flow. Der Refrain von „Mork’n’Mindy“ geht als echter Blues-Part durch. Gesungen wird er von Billy Nomates, einer Seelenverwandten, deren Debütalbum mit Zutun der Sleaford Mods entstanden ist.

Nobody’s Held

Neben dem Albumtitel ist „Fishcake“ eine weitere kulinarische Referenz. Zurückliegende Tracks tragen Titel wie „Kebab Spider“, ein Album heißt „English Tapas“. Auf dem Instagram Account der Sleaford Mods betreibt Williamson knapp beschürzt eine mit sehr vielen Flüchen gesegnete Back-Show. „Am Essen lässt sich der kulturelle Zustand der Gesellschaft ablesen,“ sagt Williamson. „Ich glaube, man muss diesbezüglich nicht sehr viele Worte über Englands Küche verlieren.“

Sleaford Mods Album "Spare Ribs"

Christian Lehner

Jason Williamson beim FM4 Interview zum Album „English Tapas“ in Berlin 2017

„Spare Ribs“ ist zum Großteil vor der Pandemie geschrieben und zwischen den Lockdowns aufgenommen worden. Im Track „Shortcummings“ breitet Williamson u.a. seinen Spott über die Doppelmoral der politischen Elite aus (Dominic Cummings, der ehemalige Chefeinflüsterer von Premier Johnson, fuhr trotz Quarantäneverordnung mit dem Auto quer durchs Land). „Corona verschärft den Unterschied zwischen Arm und Reich. Deshalb auch der Albumtitel ‚Spare Ribs‘. Wir alle sind austauschbare Einheiten, die nach der Pfeife des kapitalistischen Systems tanzen müssen.“ Dann der Ausspruch, den Williamson gern als eine Art Punkt an das Satzende stellt: „Fuck that!“

„Spare Ribs“ beweist: Die Sleaford Mods bleiben zornig, sie sind reifer und sogar besser geworden. Andrew Fearn trotzt seinen monotonen Bassläufen und Beat-Folgen immer neue Variationen ab, die Ad-Lips und der Einsatz von Nebengeräuschen und Samples wird immer ausgefinkelter und mit Billy Nomates und Amy Taylor von der Aussie-Punk-Band Amyl And The Sniffers haben die Sleaford Mods ein sicheres Händchen für großartige Features bewiesen.

Wenn die Welt vor die Hunde geht, kann man sicher sein, dass die Sleaford Mods auch weiterhin ihr Bein heben werden. Irgendwie beruhigend.

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