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Raphaela Edelbauer

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Eine künstliche Intelligenz namens DAVE soll die Menschheit vor der Auslöschung retten. Raphaela Edelbauers neuer Roman über KI und den bedingungslosen Glauben an den Fortschritt der Technik.

Von Daniel Grabner

„Es ist nicht der Glaube an die Technologie. Es ist der Glaube an die Menschheit“, soll Steve Jobs einmal auf die Frage nach seinen Motiven geantwortet haben. Tatsächlich, seit Millionen von Jahren stellt die Menschheit Werkzeuge her, die ihr das Leben erleichtern sollen. In den letzten 250 Jahren allerdings auch Technologien, die bekanntermaßen uns und unserem Lebensraum geschadet und den Planeten an den Rand einer Klimakatastrophe geführt haben.

Im Diskurs um etwaige Maßnahmen gegen die Erderwärmung gibt es Stimmen, die weder an die persönliche Verantwortung des Einzelnen noch an eine staatliche oder internationale Einflussnahme glauben. Vielmehr halten sie an daran fest, dass mit dem Fortschritt neuer Technologien die Probleme gelöst werden könnten. Die Technik wird’s schon richten.

Das letzte Projekt der Menschheit

In Raphaela Edelbauers Roman „DAVE“ sind Ende des 21. Jahrhunderts alle Befürchtungen der Ökolog*innen und Klimaforscher*innen wahr geworden. Die Erde ist nicht mehr bewohnbar, die Gesellschaft zusammengebrochen und von der Menschheit ist nicht mehr viel übrig. Fast nichts mehr. In einem abgeschlossenen, künstlichen Ökosystem, dem sogenannten Labor, leben die letzten 120.000 Exemplare der Gattung Homo Sapiens.

Gemeinsam arbeiten sie am letzten großen Projekt der Menschheit, an der Entwicklung von DAVE, einem hyperintelligenten, künstlichen Bewusstsein. Dieses Labor ist mythische Götterschmiede und hierarchisch organisiertes Unternehmen gleichermaßen - eine scharfe Überzeichnung von Tech-Unternehmen, wie man sie im Silicon Valley findet.

Einer der Bewohner und Mitarbeiter in diesem Labor ist Syz, der Protagonist der Geschichte. Gemeinsam mit Tausenden anderen Programmierern arbeitet er im gnadenlosen Schichtbetrieb. Einige plötzliche Ereignisse rütteln Syz wach und er beginnt, hinter die Kulissen zu blicken. Seine Nachforschungen führen ihn hinab in einen surrealen Kaninchenbau.

Maschinengott

„DAVE“ ist ein entfernter Verwandter von Klassikern wie „Brave New World“ oder „Matrix“, aber auch neueren Geschichten wie Alex Garlands „Ex Machina“ oder „Devs“. Das Spezifische dieser neueren Science Fiction ist ihr Bezug auf aktuelle technologische Entwicklungen, verbunden mit philosophischen Fragen. So gibt es in der Serie „Devs“ beispielsweise einen Quantencomputer, mit dem es möglich ist, jedes Ereignis im Universum vorauszuberechnen und darzustellen.

Raphaela Edelbauers „DAVE“ ist ebenso tiefgründige Science Fiction, die vom bedingungslosen Glauben der Menschheit an die Erlösung durch künstliche Intelligenz handelt. Das Paradox eines Schöpfers, der vor der Perfektion seiner Schöpfung erzittert. „Prometheische Scham“ hat das der Philosoph Günther Anders genannt. In „DAVE“ unterwirft sich die Menschheit freiwillig ihrer technologischen Kreation. Die KI ist der Gott, den sich die Menschen selbst bauen wollen.

„Menschenstreichelzoo“, las ich zum zweiten Mal: „Leben in der Obhut gütiger Maschinen. Wenn wir es nicht verhindern können, warum nicht vorsorgen?“

Einerseits ist der Roman voller lustvoll eingebauter Absurditäten, andererseits erzählt er die Geschichte der KI-Forschung nach. Zudem stellt Edelbauer nicht nur Fragen nach den Anwendungsmöglichkeiten einer KI für die Menschheit. Im Roman findet sich auch der aktuelle philosophische Diskurs zu künstlicher Intelligenz und künstlichem Bewusstsein wieder. Beispielsweise die Frage, was denn eigentlich eine KI leisten muss, um als KI gelten zu können. Reicht es für ein System aus, die Vorgänge eines Bewusstseins einfach nur hundertprozentig genau zu simulieren, wie das die Vertreter der sogenannten „schwachen KI-These“ behaupten? Oder braucht es dazu mehr, die Möglichkeit der Reflexion, Intentionalität und damit freien Willen? Und wie könnte es möglich sein, so etwas zu entwickeln?

Buchcover: Ein blaues Quadrat

Klett-Cotta

„DAVE“ Raphaela Edelbauer ist bei Klett-Cotta erschienen. Ihr Roman „Das flüssige Land“ stand 2019 auf der Shortlist für den deutschen und den österreichischen Buchpreis.

Platon, Turing, Pokémon

Große Namen in diesem Diskurs wie Alan Turing, John Searle oder Marvin Minsky werden von Edelbauer nicht einfach nur erwähnt. Ihre Konzepte und ihr Widerstreit gehören auch zu den Fragestellungen, mit denen sich die Charaktere im Roman auseinandersetzen. Auch das macht „DAVE“ zu einer Besonderheit.

Es gibt viele Geschichten, in denen künstliche Intelligenz eine Rolle spielt, aber kaum welche, in denen es auf so hohem Niveau, so fachlich versiert um die Entwicklung einer KI geht, inklusive der Zusammenführung mit antiker und idealistischer Philosophie, Mnemotechniken und anderen interessanten Lösungsansätzen. Denn Platon, Hegel und die Loci-Technik haben in diesem Roman ebenso Platz wie Pokémon und der Turing-Test. Weil das alles nicht genug ist, entwickelt sich der Roman zusehends zum Thriller, als Syz langsam entdeckt, dass man mit DAVE eigentlich ganz andere, zweifelhafte Dinge vorhat - Plot-Twists, Cliffhanger und viele versteckte Eastereggs inklusive.

Man kann „DAVE“ als spannende Tech-Novel lesen, man kann den Roman als Kritik an bedingungslosem Fortschrittsglauben lesen und man kann in ihm einen literarischen Beitrag zum Diskurs um künstliche Intelligenz und Bewusstsein lesen. Das geht sich alles aus. Beeindruckend.

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