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Versailles ’73: American Runway Revolution

Versailles ’73: American Runway Revolution

Black History Month

Zwei Dokus über Schwarze Fashion- und LGBTIQ*-History

„Versailles ’73: American Runway Revolution“ und „The Life and Death of Marsha P. Johnson“ sind technisch bzw. moralisch nicht gelungen, aber sie erzählen von zwei bedeutenden Ereignissen Schwarzer Geschichte.

von Christian Pausch

Ein Aufschrei der Entrüstung ging 2017 durch die LGBTIQ*- und hier vor allem durch die Trans*- und BIPoC-Community einen Tag nach der Veröffentlichung der Netflix-Doku „The Life and Death of Marsha P. Johnson“ von Regisseur David France. Die Filmemacherin Tourmaline meldete sich nämlich via Instagram zu Wort und gab an, dass das Konzept und die Idee zu diesem Film von ihr stammt und ihr jahrelang gesammeltes Recherche-Material zum Thema von David France gestohlen wurde.

Besonders pikant und moralisch nicht tragbar ist das nicht nur deshalb, weil hier einem Filmemacher der Multi-Millionen-Dollar-Zuschlag für eine Doku gegeben wurde, zu der jemand anders recherchiert hat, sondern vor allem, weil Tourmaline selbst eine Schwarze Trans*-Person ist, so wie die Heldin des Films: Marsha P. Johnson, die Zeit ihres Lebens mit großer bis heute andauernder Wirkung gegen Ungerechtigkeiten gekämpft hat.

Schwarze LGBTIQ*-Ikone Marsha P. Johnson

Wer hat bei den Stonewall-Riots 1969 den ersten Stein geworfen? Es waren Schwarze Trans*Frauen und Trans*Frauen of Colour. Ganz vorne mit dabei: Marsha P. Johnson, die sich diesen Platz in der Geschichte erst posthum erkämpfen konnte, durch den jahrzehntelangen Kampf Schwarzer LGBTIQ*-Aktivist*innen. Die Erzählung, dass weiße schwule Cis-Männer die Gay Revolution gestartet haben, ist Whitewashing der Geschichte.

Versailles ’73: American Runway Revolution

Versailles ’73: American Runway Revolution

Die u.a. von Marsha P. Johnson gestarteten Riots haben später zu den heute bekannten Pride-Marches, Christopher Street Celebrations und den vielen Rechten geführt, die LGBTIQ*-Personen heute haben, auch wenn es immer noch nicht genug Gleichstellung gibt. Der Film „The Life And Death of Marsha P. Johnson“ erzählt davon und ist deshalb hochinteressant und ein wichtiges Filmdokument queerer Geschichte. Dass bei der Entstehung dieses Films aber eine Schwarze Trans*Person übergangen wurde, zeugt einmal aufs Neue von tiefsitzender Transphobie und Rassismus in Filmbranche und Gesellschaft.

Die meisten LGBTIQ*s schauen die Dokumentation von David France zwar, geben aber dann eine schlechte Bewertung auf Netflix, IMDb, Letterboxd oder anderen Filmseiten ab. Man kann Tourmaline aber auch unterstützen, indem man ihren eigenen Kurzfilm über Marsha P. Johnson auf Vimeo schaut: „Happy Birthday, Marsha!

The Battle of Versailles

1973 steht das eigentlich prunkvolle Schloss Versailles vor den Toren von Paris kurz vor dem Verfall. Es muss Geld lukriert werden, um das Gebäude großräumig zu renovieren, also lässt man sich ein noch nie dagewesenes Charity-Event einfallen: ein Fashion Battle. Fünf namhafte französische Designer*innen treten in einer Modenschau gegen fünf Kolleg*innen aus den USA an. Darunter sind namhafte Kaliber wie Yves Saint Laurent, Anne Klein oder Stephen Burrows. Im Publikum sitzen u.a. Joséphine Baker, Andy Warhol und Grace Kelly, doch die eigentliche Sensation passiert am Laufsteg.

Jede*r Designer*in darf nur fünf Models zu diesem „Battle“ mitbringen und auf amerikanischer Seite setzt man einen - zumindest für die Pariser Haute-Couture-Szene - sehr gewagten Schritt: Es werden hauptsächlich Schwarze Frauen und Frauen of Colour engagiert. Dass die Schwarzen Models Pat Cleveland, Bethann Hardison, Billie Blair, Jennifer Brice, Alva Chinn, Norma Jean Darden, Charlene Dash, Barbara Jackson, Ramona Saunders und Amina Warsuma an diesem Abend Geschichte geschrieben haben, war schon nach dem frenetischen Schlussapplaus klar.

Versailles ’73: American Runway Revolution

Versailles ’73: American Runway Revolution

Es ist eine Revolution für die bis dahin stocksteife europäische Modewelt und ein riesen Sieg für die oft belächelte amerikanische Fashion-Industrie. Aber es ist vor allem ein Erfolg für Schwarze Frauen und BIPoC, denn an diesem legendären Abend wurden unüberwindbar scheinende Mauern eingerissen und auch Europa musste sich endlich bewusst für Schwarze Models öffnen.

Monotone Aneinanderreihung

Dass dieser wunderbare Moment in der Historie Schwarzer Menschen mit einer stoischen und repetitiven Filmdokumentation erzählt wird, ist mehr als schade. In „Versailles ’73: American Runway Revolution“ ist die Revolution gerade mal im letzten Drittel der 90 Minuten Laufzeit zu erahnen. Davor reihen sich Talking Heads an Talking Heads und weiße Amerikaner*innen beglückwünschen sich zu diesem phänomenalen Event.

Erst als die Models selbst das Wort ergreifen und man endlich Footage der Modenschau zu sehen bekommt, bekommt man eine Ahnung davon, wie einschneidend dieses Erlebnis gewesen sein muss. Und dafür lohnt es sich dann doch, diesem Film eine Chance zu geben.

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