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Buchumschlag Afropäisch

SUhrkamp

Alter Kontinent im neuen Licht: „Afropäisch. Eine Reise durch das schwarze Europa“

Der britische Schriftsteller, Journalist, Photograph, Moderator Johny Pitts ist durch Europa gereist, auf der Suche nach dem kolonialen Erbe und auf der Suche nach dem, was Schwarzsein heute in Europa bedeutet.

Von Anna Katharina Laggner

Es war Winter, als Johny Pitts in Dover die Fähre nach Calais genommen hat. Weder Jahreszeit noch Destination waren zufällig gewählt: Pitts wollte das schwarze Europa im grauen Winter sehen.

„Ich reiste im Namen derer, die nicht reisen konnten oder wollten: der Community schwarzer Arbeiter und Kinder von Immigranten, und machte mich auf die Suche nach einem Europa, das sie und ich womöglich als unser eigenes erkennen könnten. So kam es, dass ich mich als ein extrem seltener Vogel auf den Weg machte: als schwarzer Backpacker.“

Die erste Station seiner Reise ist Paris, das nach London die größte schwarze Bevölkerung in Europa hat. Dort nimmt er an einer Touristenführung teil. Konkret an der „Black Paris Tour“ von der Afroamerikanerin Ricki Stevenson, die nicht weniger verspricht als „the real history of France and the US“. Ein Generalansatz, der durchaus im Sinne des Autors ist: auch Johny Pitts geht es darum, alles in all seinen Dimensionen zu erfassen. Dennoch wird diese Touristenführung die einzige seiner Reise bleiben.

In „Thieves of the Night“ thematisiert der afroamerikanische Hip Hop Musiker Mos Def die Repräsentation von Schwarzen in den Medien. Auf diesen Song bezieht sich Johny Pitts, als er sagt, dass schwarze Menschen in Europa entweder als Dandys oder Ghetto-Kids dargestellt werden. Ihm gehe es in seinem Buch aber um die wirklichen Menschen, um Arbeiter, Straßenhändler, Musiker, um Zufallsbegegnungen mit normalen Männern und Frauen.

Ihre Geschichten erzählt er in seinem Buch „Afropäisch“, das acht wesentliche Kapitel umfasst, die den Stationen seiner Reise entsprechen: Paris, Brüssel, Amsterdam, Berlin, Stockholm, Moskau, Marseille und Lissabon.

Buchumschlag Afropäisch

SUhrkamp

Für sein Buch „Afropäisch. Eine Reise durch das schwarze Europa“ hat Johny Pitts den Jhalak Prize for Book of the Year by a Writer of Color 2020 und den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2021 erhalten. Das Buch ist in einer Übersetzung von Helmut Dierlamm im Suhrkamp Verlag erschienen.

Johny Pitts betreibt auch den Blog afropean.com

Johny Pitts ist ein begnadeter Erzähler. Im Reisegepäck hat er seine Kindheit in der Working Class von Sheffield. Der Vater war ein Musiker aus Brooklyn und der Held in der Familie von Johny Pitts britischer Mutter. Johny Pitts beschreibt Firth Park, wo er aufgewachsen ist, als hart, aber voller Kultur und Gemeinschaftsgeist.

„Firth Park war kein multikulturelles Utopia im konventionellen Sinne, doch es war lebendig und gesellig, unternehmerisch und dynamisch, getragen von der toleranten Atmosphäre, die entsteht, wenn ein Raum täglich von Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Kultur geteilt wird.“

Er beschreibt aber auch die brutale Gewalt, wie Jugendfreundinnen zu Crackheads wurden, wie Schulfreunde in der Psychiatrie landeten, „weil sie die traumatischen Erlebnisse und den Druck nicht ausgehalten haben, den man aushalten muss, wenn man als schwarzer Mensch in einer pathologisch rassistischen Gesellschaft in der Spur bleiben soll. Ich hatte sie als Kids gekannt, die gern mit Transformers spielten oder im Park kickten.“

Mit dieser Jugend im Gepäck reist Johny Pitts durch Europa. Hoch verwundert begegnet er der komplexen politischen Einteilung in rechts und links auf einer Antifa-Demo in Berlin, die er zunächst für einen Neonazi-Aufmarsch gehalten hat. In Stockholm isst er Schokoladekugeln mit Kokosflocken, die, wie er erfährt, früher negerbollar geheißen haben. Im düstersten Kapitel des Buches, in Moskau, begibt er sich auf die Suche nach den Überbleibseln der ehemaligen sowjet-afrikanischen Verbundenheit. Nie habe er so viele unglücklich wirkende Schwarze gesehen wie hier, schreibt Pitts. An der ehemaligen Moskauer Patrice Lumumba Universität begegnet er einem Studenten aus Ghana, der nach Einbruch der Dunkelheit nie sein Zimmer verlässt.

Autor Johnny Pitts "Afropäisch"

Jamie Stoker/Penguin/Suhrkamp Verlag

Johnny Pitts

Als er aufgebrochen ist, sagt Johny Pitts, habe er seine ursprünglichen Ideen, was Europa sei und was Schwarzsein bedeute, hinter sich gelassen. Im Gespräch sagt er „Mein Verständnis von Afropäisch war ursprünglich eine solide, allzu selbstsichere Idee. Die ist in eine Million Einzelteile zerbrochen, die ich wieder aufsammeln musste. Deswegen beschreibe ich es als ein zusammengebasteltes Schwarzsein, all diese unterschiedlichen Erfahrungen, die sich irgendwie verbinden, aber nicht perfekt zusammen passen.“

In „Afropäisch“ verwebt Johny Pitts seine Erfahrungen zu literarisch-politischen Essays, die von großer Belesenheit und Reflexionsvermögen zeugen und unserem Kontinent, diesem alten Europa, ein neues Gesicht geben. Johny Pitts ist ein Erzähler, dem es darum geht, Brücken zu bauen, zwischenmenschlich und intellektuell. Und „Afropäisch“ ist sein großzügiges Angebot an uns, diese Brücken zu queren.

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