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Buchcover mit Zeichnung von Hermann Brinkmann

Hannah Brinkmann/avant-verlag

Buch

Die tragische Geschichte eines Kriegsdienstverweigerers

Nachdem sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung abgelehnt wurde, musste Hermann Brinkmann in den 70er Jahren zur Bundeswehr, wo er Suizid beging. Jetzt hat seine Nichte Hannah Brinkmann seinen Fall recherchiert und in der einfühlsamen Graphic Novel „Gegen mein Gewissen“ aufgearbeitet.

Von David Riegler

Mitte der 70er hat der Suizid eines Grundwehrdieners in der BRD Schlagzeilen gemacht. Es handelte sich um den 19-jährigen Hermann Brinkmann, der eigentlich nie zur Bundeswehr wollte und überzeugter Pazifist war. Seine Nichte, die Autorin Hannah Brinkmann, hat seine Geschichte in der Graphic Novel „Gegen mein Gewissen“ nachgezeichnet. Sie zeigt an seinem Beispiel, wie Kriegsdienstverweigerer über Jahrzehnte hinweg gedemütigt und diskriminiert wurden.

Ein Dorn im Auge der konservativen Politik

Die Geschichte beginnt in den 50er Jahren als der deutsche Kanzler Adenauer von der CDU die Einführung der Bundeswehr umsetzte und damit auch die Kriegsdienstverweigerer zum Thema wurden. Das Grundgesetz sah vor, dass jeder Mensch das Recht hat, aus Gewissensgründen den Wehrdienst zu verweigern, doch das war der konservativen CDU ein Dorn im Auge, wie ein Zitat des Politikers Richard Jäger zeigt: „In Anbetracht der massiven Gefahr eines Vordringens Sowjetrusslands kommt eine liberale Haltung gegenüber der Kriegsdienstverweigerung einem Selbstmord der Nation gleich.“

Mit solchen Aussagen rechtfertige die Politik die Einführung eines strengen Prüfungsverfahrens, das die „Glaubwürdigkeit und Integrität der Gewissensnot gründlich unter die Lupe nehmen sollte.“ Die Kommission, die diese Prüfung durchführt, wird rund 20 Jahre später auch Hermann Brinkmann zum Verhängnis. Dabei ist er gewiss kein geeigneter Kandidat fürs Militär, wie Ausschnitte aus seiner Kindheit zeigen.

Ein sensibler Junge und rebellischer Teenager

Hermann war ein feinfühliger Junge, der Albträume von den ausgestopften Tieren bekam, die überall im Haus an den Wänden hingen. Sein Vater war Jäger und wollte Hermann zur Jagd mitnehmen, doch dem Jungen kamen die Tränen nur bei dem Gedanken daran, ein Tier zu töten. Aus Protest weigerte er sich sogar eines Tages, mit dem Auto des Vaters mitzufahren, weil eine Waffe auf der Hinterbank lag. Er ging lieber zu Fuß als dieser Tötungsmaschine nah zu sein.

Auch als Jugendlicher fühlte er sich missverstanden von der konservativen Generation seiner Eltern, die Respekt und Härte von einem jungen Mann erwarteten und Hermann für seine langen Haare und Lockerheit verachteten: „Zu Zeiten des Führers wäre einem wie Dir Disziplin an der Front beigebracht worden.“ Mit diesen „Scheiß-Nazis“ konnte er nichts anfangen. Hermann hörte lieber Rockmusik, beschäftigte sich mit Buddhismus und ließ sich vom politischen Aufblühen einer neuen Generation inspirieren. Sein Antrag zur Kriegsdienstverweigerung sollte zum politischen Statement werden, doch der deutsche Staat war erbarmungslos mit jungen Rebellen wie Hermann.

Das demütigende Kreuzverhör

Über 10 Seiten schildert die Autorin das demütigende Verhör der Kommission. Sie drehten ihm jedes Wort im Mund um und stellten absurde Fragen, bei der jede Antwort gegen ihn verwendet wurde. Persönliche Angriffe folgten auf unbeantwortbare Fragen und der Druck auf Hermann stieg ins Unermessliche. Mit surrealen Zeichnungen schildert die Autorin den Schrecken, den diese schikanöse Inquisition in Hermann auslöste. Wie grotesk diese Fragen werden konnten, schildert auch der Liedermacher Franz Josef Degenhardt, der im Buch zitiert wird, in seinem sarkastischen Lied „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“.

Der Antrag von Hermann wurde abgelehnt, so wie bei mehr als der Hälfte aller Antragssteller zu dieser Zeit. Mit surrealen Zeichnungen und Traumsequenzen zeigt Hannah Brinkmann, wie die Seele ihres Onkels durch die staatliche Diskriminierung von Kriegsdienstverweigerern langsam zerbricht. Vor der Befragung war ihr Zeichenstil noch bunt und lebendig mit liebevollen Details des Lebens in den 70er Jahren. Doch je dunkler es in Hermanns Psyche wird, desto abstrakter und düsterer werden auch die Zeichnungen. Man spürt Hermanns Verzweiflung in der Bundeswehr, die ihn schließlich bricht.

Foto von Hannah Brinkmann

Lennard Schwarz

Hannah Brinkmanns Buch „Gegen mein Gewissen“ ist im avant-verlag erschienen.

Die Bedeutung des Fall Hermann Brinkmann

Nach seinem Suizid wird über mehrere Seiten hinweg nicht mehr gesprochen. Die Zeichnungen zeigen die Sprachlosigkeit über den Verlust eines sensiblen jungen Mannes, dessen persönliche Überzeugungen zu einem Konflikt mit der Staatsmacht führten. Hannah Brinkmann zeigt auch was der Verlust für ihre Familie bedeutet hat - die Trauer, die Ohnmacht und der Ärger auf die Reporter*innen, die das Begräbnis störten.

Der Fall Hermann Brinkmann löste in den 70er Jahren einen wichtigen Diskurs aus darüber, wie die Gesellschaft mit Kriegsdienstverweigerern umgeht. Sie mussten mit sozialer Ächtung und der Diskriminierung durch staatliche Institutionen leben, nur aufgrund einer persönlichen Überzeugung. „Gegen mein Gewissen“ ist ein großartig recherchiertes Stück Zeitgeschichte, das daran erinnert, dass es keine Selbstverständlichkeit ist frei wählen zu können, ob man Kriegsdienst leistet oder nicht. Tragische Fälle wie der von Hermann Brinkmann haben dazu beigetragen, dass heute Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht verankert ist und zumindest in Deutschland niemand mehr gezwungen werden kann, eine Waffe in die Hand zu nehmen.

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