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„Komplett Gänsehaut“ von und mit Sophie Passmann

Ein Shitstorm gegen die Welt - in „Komplett Gänsehaut“ hatet Sophie Passmann gegen die Millenials aus der bürgerlichen Welt der weißen alten Männer. Haltet die „New Yorker“-Abogeschenksbeutel eng an euch - das kann weh tun. Es ist vor allem aber ziemlich gut.

Von Zita Bereuter

Sophie Passmann ist eine der umtriebigsten und witzigsten jungen Feministinnen. Mit „Alte weiße Männer“ hat sie 2019 einen Bestseller geschrieben. Im Neo Magazin Royale hat sie Jan Böhmermann immer wieder feministische Themen nahegebracht und bei Joko und Klaas erklärte sie vor bald einem Jahr in dem Video „Männerwelten“, was es mit sexueller Belästigung auf sich hat. Das Video ist für den Grimmepreis nominiert.

Sophie Passmann "Komplett Gänsehaut" Cover

Kiepenheuer & Witsch

„Komplett Gänsehaut“ von Sophie Passmann ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Sophie Passmann war aber auch Radiomoderatorin, hat auf Twitter gut 160.000 Follower, auf Instagram 223.000 und sie betreibt verschiedene Podcasts und Kolumnen. Und jetzt hat sie noch ein Buch geschrieben.

Es ist ein einziger Redeschwall voller teils bitterböser Beobachtungen, eine Suada, ein wütender Rederausch. Eine Genrezuordnung fällt auch Sophie Passmann schwer. „Weil: Roman hätte ich ein bisschen ungerecht gefunden, weil natürlich die Protagonistin des Buches genauso alt ist wie ich, in der gleichen Stadt wohnt, die gleichen Sachen macht. Es liegt nahe, dass die Protagonistin fast ist wie ich. Aber es ist auch gar keine Biografie, weil es eben nicht von meinem Leben handelt.“ „Wütender Redeschwall“ findet sie treffend: „Das klaue ich dir jetzt. Das nehmen wir einfach, so heißt das Buch ab jetzt.“

In diesem Redeschwall hatet die 27-jährige Ich-Erzählerin gründlich ab, gegen ihre Umgebung, das linke Bildungsbürgertum, ihre Freund*Innen, die ganze Gesellschaft. Voller Abneigung und Selbsthass sitzt sie in ihrer neuen, noch leeren Wohnung und hat das ungute Gefühl, erwachsen zu werden: „Langsam sollte man mal Verantwortung übernehmen für dieses lächerliche Leben, das man sich da im Laufe der letzten Jahre zusammengeklöppelt hat, für die Wohnungen, die man bezieht, die Straßen, durch die man fährt, und die Städte, die man hasst, irgendwann darf man nicht mehr einfach nicht kochen können und selbst gedrehte Zigaretten als Kern des eigenen Charakters ausgeben, da muss mehr kommen."

„Pathos und Scham. Wenn man diesen beiden Gefühlen Sneaker anzieht, hat man jede Jugend.“

Das Leben ist unglaublich anstrengend, weil ständig die Wirkung nach außen mitgedacht werden muss. Man will einen perfekt inszenierten weltoffenen Insta-Traum leben und klebt doch im durchschnittlichen deutschen Spießertum fest, mit Blick auf eine Zukunft eines alten weißen Mannes. Ein permanent mitgedachter, innerer Shitstorm hemmt jedes Tun und führt erst recht zu einer unglaublichen Verklemmtheit. Man will politisch korrekt sein und macht heimlich genau das, wofür man andere kritisiert.

„In der Küche verschlingt man heimlich das leicht gummiartige Supermarktbrot aus der Plastiktüte, mit Margarine bestrichen und dem Ovomaltine-Brotaufstrich, weil man den Sozialstress nicht aushält, sich zwischen Nutella und Nudossi zu entscheiden, weil man verpasst hat, sich zu dieser Causa rechtzeitig eine nachhaltige Meinung zu bilden, man isst den vermutlich völlig falschen Brotaufstrich, und zwar jeden Morgen, und jeden Morgen frühstückt man so, wie alle behaupten, nicht zu frühstücken, hektisch mit dem Handy in der Hand, noch vor dem ersten Kaffee hat man sich schon drei Dutzend Meinungen aus dem Internet ins Hirn geballert, man weiß noch nicht, ob das Langzeitfolgen hat, man ahnt es aber, so wie man ahnt, dass man in zehn Jahren Probleme mit dem Rücken haben wird.“

Sophie Passmann

Patrick Viebranz

In der Beschreibung dieser Widersprüche läuft die Satirikerin Sophie Passmann zur Höchstform auf. Sie kennt diese Lebensformen, die Codes und Rollen und seziert sie erbarmungslos: „Ich habe eine Liste von Dingen, für die ich nicht gehalten werden möchte, ich möchte zum Beispiel nicht unter Verdacht stehen, freitags mit den Kollegen aus dem Büro zum Klettern zu gehen oder beruflich was mit Kunst zu machen – alle Frauen, die ich kenne, die ebendas tun, haben bis zu ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr so einen ungekämmten Haufen Haare auf der größeren Fontanelle in der Schädelmitte sitzen, und sobald sie sechsunddreißig werden, bekommen sie automatisch einen aufmüpfigen Pagenschnitt, tragen dazu eine aufdringliche Brille, starren schlecht gelaunt in die Welt, tragen Hosen mit interessanten Beinausschnitten und schaffen diese beeindruckende Sache, den eigenen Sinn für Humor zwar nicht zu verlieren, aber trotzdem nicht mehr zu lachen.“

Natürlich ist das eine „wahnsinnig arrogante Erzählung von jemandem, der denkt ‚ich habe das alles besser verstanden als ihr und das, was ihr macht, ist doof. Und das, was ich mache, ist immer ein bisschen cleverer,‘“ erklärt Sophie Passmann. Und so schwankt dieses Leben zwischen dem Deckmantel der Ironie und lähmender, unglücklicher Langeweile. Passmann kann beides nachvollziehen. „Das zieht sich ja auch so ein bisschen durch, dass man zwar alles ironisch machen kann, wenn man möchte, aber man macht es dann eben trotzdem. Also wenn man sich ironisch tätowieren lässt, ist man trotzdem tätowiert und wenn man ironisch heiratet, ist man trotzdem verheiratet. Und sich davor so ein bisschen zu retten, indem man so dreimal im Auge zwinkert und möglichst irgendwie zynisch auf Instagram drüber schreibt, ändert nicht, dass man es gemacht hat.“

Sätze zum Liken

Sophie Passmann gehört auch auf Twitter zu den Königinnen und viele Sätze möchte man liken oder eben old-school im Buch anstreichen.

„Die Männer sind natürlich auch Feministen, was erst mal gar nichts ändert an der Art und Weise, wie sie denken und sich verhalten, sie unterbrechen Frauen nur öfter, um ihnen Feminismus zu erklären.“

Die Ich-Erzählerin in „Komplett Gänsehaut“ hat so richtig schlechte Laune. Thomas Bernhard wirkt da oft wie ein Sonnenschein. Sophie Passmann hatte jedenfalls viel Spaß beim Schreiben: „Die grundschlechte Laune oder zumindest diese Grundgriesgrämigkeit, die hab ich mir nicht angeeignet für das Buch. Die hab ich einfach.“ Auch ein guter Freund habe an Thomas Bernhard gedacht und gefragt: „Sicher, dass du keine Österreicherin bist?“

Sophie Passmann legt auf

Am Sonntag, 7. März bespielt Sophie Passmann das FM4 Gästezimmer und bringt neuen Scheiß aus Berlin, hat aber auch keinen Genierer vor Kitsch.

Und mehr zu Sophie Passmann gibt’s im FM4 Interviewpodcast.

Letztlich aber nervt die Attitüde auf Dauer: „Sachen doof finden ist immer einfacher und cooler als Sachen einfach mal gut finden. Und dieses ewige Post ironisch griesgrämige, was auch sehr in meiner Generation passiert. Das soll natürlich auch so ein bisschen lächerlich gemacht werden, weil ich finde, das hat es auch verdient. Es ist eben nicht cool, auf Dauer immer nur schlechte Laune zu haben.“

Sophie Passmann seziert mit scharfem Blick. In all den Verallgemeinerungen, Vorurteilen und Übertreibungen erkennt man viele Leute und Situationen wieder und am allerschlimmsten ist es, wenn man sich selbst erkennen muss. So geht es auch Passmann: "Natürlich ist die Erzählerin auch eine von diesen Personen, die den „New Yorker“ abonniert und dann wieder ent-abonniert hat - nur für die Jutetasche. Und seit ich das aufgeschrieben habe, habe ich das Gefühl, ich sehe überall, bei allen Leuten in meinem Bekanntenkreis nur noch New Yorker Zeitschriften auf dem Klo. Und jeden Morgen pack ich mir meine beschissene „New Yorker" Jute Tasche voll und gehe auf die Straße und denke Ja, Passmann, du bist genauso schlimm wie die Person, über die du geschrieben hast.“ Packt also „Komplett Gänsehaut“ in eure New Yorker Taschen!

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