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Erich Moechel

Anti-Terror-Verordnung vor Abstimmung im EU-Parlament

Kommenden Mittwoch wird über grenzüberberschreitende Löschanordnungen gegen „terroristische“ Inhalte abgestimmt, die binnen einer Stunde zu exekutieren sind. Richter werden dabei nicht gebraucht.

Von Erich Moechel

Die heftig umstrittene Verordnung gegen Terrorpropaganda (TERREG) steht kurz vor der Abstimmung im EU Parlament. Am Dienstag ging die Verordnung mit großer Mehrheit durch den Innenausschuss (LIBE) des EU-Parlaments. Die Plenarabstimmung ist für kommenden Mittwoch angesetzt.

Nationale Behörden werden dadurch ermächtigt, ohne Gerichtsbeschluss grenzüberschreitende Löschanordnungen gegen „terroristische“ Inhalte zu verhängen, denen binnen einer Stunde Folge zu leisten ist. Mehr als 60 Bürgerrechts-NGOs warnen, dass die Regelung autoritär geführte Staaten nachgerade dazu einlädt, Oppositionelle etwa in sozialen Medien mundtot zu machen.

Anti-Terrorverordnung vor Abstimmung im EU-Parlament

EU Council

Bis zu dieser Endversion, die zuletzt nach monatelangen Trilog-Verhandlungen erstellt wurde, waren mehr als drei Jahre ins Land gezogen. Frankreich, Deutschland und andere überwachungswütige Staaten hatten jahrelang auf einer Verpflichtung zum Einsatz von Upload-Filtern bestanden.

Auch Verwaltungsbehörden können löschen lassen

Die Upload-Filterpflicht war jahrelang unter den „proaktiven Maßnahmen“ als Instrument zur automatischen Erkennung prominent im Text verankert.

Zuletzt hat Antoine Deltour, der Luxleaks-Whistleblower, der die skandalösen Steuerkonditionen Luxemburgs für 300 internationale Konzerne aufgedeckt hatte, das EU-Parlament vor einer Verabschiedung gewarnt. Die Verordnung ist nach Ansicht aller Kritiker viel zu breit gefasst. Den Mitgliedsstaaten wird etwa völlig freigestellt, welche Behörden „für den Erlass von Entfernungsanordnungen“, deren „Überprüfung... und die Verhängung von Sanktionen zuständig sind“.

Ebenso kann jeder Mitgliedsstaat selbst entscheiden, "wie viele zuständige Behörden er damit betraut und ob diese der Verwaltung, Strafverfolgung oder der Justiz zugehörig sind. Beliebige nationale Verwaltungsbehörden können also entscheiden, welche Inhalte - auch auf Plattformen im Ausland - Terrorismus unterstützen und aus dem Netz entfernt werden müssen. Den betroffenen Betreibern wird eine Frist von gerade einmal einer Stunde zur Überprüfung des Sachverhalts eingeräumt.

Anti-Terrorverordnung vor Abstimmung im EU-Parlament

EU Council

Es liest sich wie ein schlechter Witz, wenn diese abstrakte Vorschrift durch das Ersetzen von „Mitgliedsstaat“ etwa durch „Ungarn“ konkretisiert wird. Die ungarische Regierung soll dann sicherstellen, dass die von der ungarischen Regierung selbst ermächtigten Zensurbehörden beim Zensurieren objektiv und nicht-diskriminierend vorgehen und keinerlei Weisungen - etwa von der ungarischen Regierung - entgegennehmen. Man vergleiche, was einer der besten Ungarnkenner Paul Lendvai über die aktuelle ungarische Medienpolitik sagt.

Am Beispiel Ungarn

Die finalen Trilog-Verhandlungen hatten bereits im Oktober 2019 begonnen und dauerten rekordverdächtige 14 Monate.

Kritiker, wie etwa der Dachverband der Datenschutz- und digitalen Bürgerrechtsorganisationen EDRi gehen davon aus, dass beim Eintreffen einer solchen Anordnung von den Plattformen routinemäßig erst einmal gelöscht wird. Die zum Löschen ermächtigten Behörden können ja von sich aus empfindliche Sanktionen gegen die Plattformen verhängen; die von der Löschung Betroffenen können dies, erstens, nicht und, zweitens, müssen sie selbst nachweisen, dass die gelöschten Inhalte keineswegs Terrorismus unterstützen.

Seitens von EDRi weist man darauf hin, dass dasselbe EU-Parlament, das voraussichtlich mit großer Mehrheit für die Verordnung stimmen wird, erst im Jänner härtere Maßnahmen von Rat gegen Ungarn und Polen verlangt hat. Die Situation der Justizsysteme in diesen beiden Ländern habe sich seit der Einleitung des Artikel-7-Verfahrens noch wesentlich verschlechtert. Das gesamte Verfahren aber dreht sich um die immer weiter beschnittene Unabhängigkeit der Justiz, dasselbe gilt auch für Polen. Nun sollen auch diese Staaten, die für ihr rabiates Vorgehen gegen Kritiker bekannt sind, in ganz Europa Löschanordnungen aussprechen können. Es ist recht einfach abzusehen, wohin dies führen wird.

Anti-Terrorverordnung vor Abstimmung im EU-Parlament

Liberties

Der europäische Datenschutz-Dachverband EDRi und eine Koalition aus mehr als 60 Bürgerrechtsorganisationen haben bis zuletzt vor einem wie hier geschilderten Szenario gewarnt.

Ein unangenehm wahrscheinliches Szenario

Gegen die vom Parlament in den Test reklamierten Kontrollrechte der eigenen Behörden bei Löschanordnungen aus dem Ausland hatten sich zuletzt Frankreich, Österreich und andere Staaten ausgesprochen.

Sobald die Verordnung in nationales Recht umgesetzt wird, könnte etwa die ungarische Regierung, die inzwischen fast 100 Prozent der ungarischen Medien kontrolliert, auf die Idee kommen, gegen die Opposition auf Facebook vorzugehen. Ein paar Aktionen von Provokateuren - wie etwa Aufrufe zum gewaltsamen Umsturz - genügen und Facebook könnte gezwungen sein, ein Portal der ungarischen Opposition vom Netz zu nehmen. Ein solches Szenario ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, wenn man der Schilderung der Methoden des Orban-Regimes von Altmeister Paul Lendvai glauben darf.

Dass „journalistische und künstlerische Inhalte nicht als terroristische Inhalte“ gelten sollen, liest sich zwar gut, wenn die großen Plattformen aber vorbeugend löschen, müssen die Betroffenen gegenüber Facebook & Co nachweisen, dass sie tatsächlich Journalisten oder Künstler sind. Ebenso sind die verpflichtenden Upload-Filter zwar nicht mehr im Text enthalten, die NGOs gehen allerdings davon aus, dass die großen Plattformen ihre Filter auf bestimmte Arten von Informationen scharfstellen werden, für die Löschaufforderungen eingereicht werden.

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