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Erich Moechel

Grenzüberschreitende Überwachung vor Finale in Brüssel

Die Richtlinie „zur Beweissicherung in der Cloud“ soll noch vor dem Sommer verabschiedet werden. Damit erhalten etwa ungarische oder polnische Polizeibehörden direkten Zugriff auf Kommunikationsdaten zum Beispiel in Österreich.

Von Erich Moechel

Die EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda im Netz, die grenzüberschreitende Löschanordnungen vorsieht, hat am Donnerstag das Plenum des EU-Parlaments versehentlich ohne Abstimmung passiert. Die Kritiker unter den Abgeordneten hatten übersehen, dass die Verordnung durch einen EU-rechtlichen Automatismus bereits in zweiter Lesung war. Da kein Ablehnungsantrag vorlag galten die positiven Voten der Ausschüsse.

Der Streit um grenzüberschreitende Anordnungen der Strafverfolger ist damit nicht zu Ende. Die Richtlinie zur Beweissicherung in der Cloud (E-Evidence) sieht direkte Zugriffe nationaler Strafverfolger auf Daten in allen EU-Staaten vor. Sie ist bereits seit Jänner im finalen Trilogverfahren und soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. E-Evidence ist ebenfalls in zweiter Lesung.

Zeitplan aus einem Dokument

EU Parlament

Aus dem Terminkalender des EU-Parlaments für die abgelaufene Sitzungswoche ging bereits hervor, dass für Mittwoch zu nächtlicher Stunde zwar eine Schlussdebatte über die Verordnung stand. Am Donnerstag, an dem über mehrere Resolutionen abgestimmt wurde, schien die Verordnung gegen Terrorpropaganda jedoch nicht mehr auf.

Am Dienstag der vergangenen Woche hatte die Verordnung den Innenausschuss mit deutlicher Mehrheit passiert.

Die Tücken der Geschäftsordnung

Da die Verordnung gegen die Verbreitung terroristischer Inhalte im Netz noch vor den Wahlen zum EU-Parlament 2019 gestartet worden war, hatte sich ihr parlamentarischer Status zuletzt automatisch geändert. Die Verordnung war damit automatisch im Status „in zweiter Lesung“, als hätte sie das Plenum des Parlaments bereits einmal mehrheitlich abgelehnt. In zweiter Lesung gilt ein verkürztes Verfahren, für eine Verabschiedung genügt dann die Zustimmung der damit befassten Parlamentsausschüsse, außer es wird ein Antrag auf Ablehnung im Plenum eingebracht. Der aber wurde nicht fristgerecht gestellt.

Am Ausgang hätte eine Plenarabstimmung wohl kaum etwas geändert, denn in der letzten Aprilwoche hatte die Verordnung den Innenausschuss des Parlaments (LIBE) mit deutlicher Mehrheit passiert. Damit hatte dieser Ausschuss für „Bürgerrechte, Freiheit und Justiz“ - wie die offizielle Bezeichnung des LIBE lautet - das letzte Wort bei dieser Verordnung, gegen die zuletzt rund 80 europäische Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen vergeblich protestiert hatten. Bei zweifelhaftem Nutzwert der Verordnung gegen Terror sei dem Missbrauch durch autoritär agierende Regierungen quer durch Europa Tür und Tor geöffnet, lautet der Tenor der Kritik. Unter den Kritikern ist auch die European Broadcasting Union, der Dachverband der Öffentlich-Rechtlichen in Europa (siehe unten). Weder in dieser Verordnung noch in der zugehörigen Richtlinie zur Terrorbekämpfung von 2016 ist der Begriff „Terrorismus“ überhaupt definiert.

Screenshots aus Dokumenten

EU Parlament/Europäischer Rat

Aus einer Aussendung des EU-Parlaments zur Entscheidung im Dezember, die Version des Ministerrats vorerst einmal abzulehnen. Die hier zitierten Artikel-7-Verfahren der EU-Kommission laufen gegen Ungarn und Polen.

Eine Frage der rechtlichen Kontrolle

Zuletzt war E-Evidence Ende Jänner durch eine versehentliche Veröffentlichung des Zwischenstands im Trilogverfahren aufgetaucht

Die Richtlinie zur „Beweissicherung in der Cloud“ (E-Evidence), über die eine Entscheidung überfällig ist, steht an sich als nächste auf der Agenda. Dieses 2019 gestartete Verfahren sieht grenzüberschreitende Anordnungen zur Überwachung samt Datenzugriff im gesamten EU-Raum für nationale Strafverfolger vor. Den diesbezüglichen Entwurf von Kommission und Rat hatte das Parlament im Dezember abgelehnt. Die Parlamentarier bestehen darauf, dass bei grenzüberschreitenden Überwachungsanordnungen die lokalen Justizbehörden über deren Rechtmäßigkeit entscheiden. Kommission und Rat wollten diese Überprüfung, und damit die Haftung, direkt den betroffenen Providern, Telekoms und Netzplattformen zuschieben.

Weiters wird vom Parlament verlangt, dass aus der Richtlinie eine Verordnung wird, die bei der nationalen Umsetzung keinen Spielraum lässt. Die Parlamentsversion sieht eine Benachrichtigungspflicht der Justizbehörden vor, samt einer Frist von zehn Tagen, um das Überwachungsbegehren aus dem EU-Ausland zu prüfen und gegebenenfalls abzulehnen. In der Ratsversion konnten Betroffene allenfalls ex post Beschwerde einlegen. Da sich die nationalen Polizeibehörden quer durch Europa jahrelang als nicht fähig erwiesen haben, Rechtshilfebegehren von anderen EU-Strafverfolgern zeitgerecht abzuwickeln, war das Ziel dieses Gesetzesvorhabens von Anfang an die Beschleunigung von grenzüberschreitenden Ermittlungen.

Screenshot aus Dokument

EBU

In diesem Schreiben der European Broadcasting Union (EBU), in der alle öffentlich-rechtlichen Sender Europas zusammengeschlossen sind, werden Ungarn und Polen zwar nicht namentlich erwähnt. Die EBU verfolgt die Gleichschaltung der Medien in diesen Ländern und den Umbau deren öffentlich-rechtlicher Anstalten zu staatlichen Propagandaschleudern aber seit Jahren besonders aufmerksam.

Fahrplan bis Sommer zunehmend unsicher

Der Hauptgrund für diese innereuropäischen Vorbehalte sind die Justizsysteme Ungarns und Polens, gegen die EU-Verfahren laufen. Der Unmut sowohl in Rat wie Parlament über das Verhalten dieser beiden Mitgliedsstaaten ist seit November stetig angewachsen. Da hatten Ungarn und Polen die Verabschiedung des neuen EU-Budgets und damit auch die Auszahlung der Covid-Hilfsgelder mit einem Doppelveto wochenlang blockiert, weil diese Gelder an Auflagen zur Rechtstaatlichkeit gekoppelt waren. Zudem gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Differenzen zwischen Rat und Parlament, die wohl wichtigste dabei ist, ob auch Finanzdienstleistungen unter die Verordnung fallen sollen.

Ebenso verschieden sind die Positionen in diesem Punkt: Welche Provider in welchen EU-Staaten Repräsentanten in Rechtsfragen nominieren müssen und ob diese Rechtsvertreter auch Durchsuchungsanordnungen entgegennehmen müssen. Ob diese grundsätzlichen Differenzen bis zur selbstgesetzten Frist im Sommer beigelegt werden können, ist fraglich… zumal bis jetzt anscheinend nicht einmal Einigkeit über die legistische Form des Gesetzesvorhabens besteht. Der Rat will eine Richtlinie, die Raum für nationale Umsetzungen lässt, das Parlament bestand bis jetzt auf einer Verordnung, um eben Ländern mit zweifelhaften Rechtssystemen keinerlei Freiräume zu bieten, um Oppositionelle auch im Ausland auszuspionieren.

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