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Blumenaus EM21-Journal

Euro ohne Identität und Euphorie

In drei Wochen beginnt die Euro. Sie ist ein identitäts- und euphorieloses Etwas unter seltsamen Vorzeichen. Und Österreich ist dabei.

Von Martin Blumenau

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Es ist nur eine Euro.
Es ist keine WM, Jugend der Welt am Start, bunte Tribünen, Flair und Erstaunen.

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Es ist nur Europa.
Und zwar eh gleich halb Europa.
24 Nationen nehmen teil, das ist mehr als die Hälfte der offiziell anerkannten Staaten des Kontinents. Es sind also eh alle dabei, die etwas können, sportlich, bis auf Serbien; und Irland; und Norwegen; und Rumänien; und Slowenien; und Island; und Albanien; und Bosnien; und Bulgarien; und Griechenland. Die waren immerhin schon einmal Europameister.

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Das ist deshalb so, weil bei Euros auch Teams abseits der üblichen Verdächtigen (also Italien, Deutschland, England, Frankreich und Spanien) gewinnen können, etwa untergegangene Länder wie die „Sowjetunion“ oder die „Tschechoslowakei“, das dynamische Duo Österreich & Ungarn (sofern man den Europacup der Nationen aus den Anfangszeiten dazurechnet), Mickymäuse wie Dänemark oder Griechenland, aber auch Co-Favoriten wie Portugal oder die Niederlande, die sich beide längst zu den „üblichen Verdächtigen“ dazugeschummelt haben. Ebenso wie zuletzt Belgien.
Es ist eben nur Europa.

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Diesmal, im schiefen Jahr 2021, ist es auch ein völlig identitätsloses Turnier. Es gibt nämlich keinen Ausrichter: Eröffnet wird in Rom, finalisiert wird in London. Dazwischen kommen Arenen in München, St. Petersburg oder Amsterdam dran, wo historisch bereits Euro gespielt wurde, dazu neues Terrain wie Kopenhagen, Glasgow, Bukarest, Budapest und überraschenderweise auch Sevilla; und Baku in Aserbaidschan, wo sonst never ever eine Euro stattfinden können würde. Mit dieser Streuung über ganz Europa will der Verband, die UEFA, ein Jubiläum feiern und den Zusammenhalt, den Gedanken der Gemeinsamkeit stärken. Das klingt lieb, ist aber eine praxisferne und dumme Idee - es beraubt das Turnier seines stabilisierenden Faktors: die Ausrichter bleiben im kollektiven Gedächtnis oft mehr haften als die Jahreszahlen der Turniere; zudem ist ein Turnier der langen Flugwege so wenig 20er-Jahre wie sonst was.

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Mein Verdacht ist, dass sich das mit „ganz Europa“ der Emir von Aserbaidschan ausgedacht hat, um einmal auch im großen Fußball dabei sein zu können. Ilham Aliyev drängt seit Jahren massiv auf die Weltsportbühne und nützt jede Möglichkeit, mit dieser PR sein stramm autoritär geführtes Land in einem schönen Licht glänzen zu lassen. Und das auch noch, ohne dass Gelder fließen; offizielle Sponsorengelder, von anderen weiß man nix. Der offizielle Euro-Sponsor, dessentwegen Baku wohl den Zuschlag bekam, die staatliche Ölgesellschaft der Aseri, hat sich wegen schlechter Geschäftslage einfach zurückgezogen.
Auch das ist Europa.

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Die einjährige Verschiebung hat dem Turnier im Vorfeld dann der Rest gegeben, ganz abgesehen von allen coronatechnischen Zuschauerbeschränkungen. In der langen Pause zwischen Qualifikationsende im Winter 2019 und jetzt sind eineinhalb Jahre vergangen, in denen die Mannschaften teilweise ein völlig anderes Gesicht bekommen haben. Das hatscht, ebenso wie das verzögerte und uneuphorisch daherkommende, von Lockdowns zerknitterte Panini-Album. Im Gegensatz zur vorschnell ausgelieferten Version von 2020 verzichtet die 21er-Ausgabe nämlich auf Zusatzinfos wie die Vereinszugehörigkeit. Wie soll mich mein Sohn jetzt die Spieler abprüfen? Und die Tschutti-Heftli fallen - für Österreich - gleich ganz aus.

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Der Höhepunkt der fehlenden Euphorie oder Scheineuphorie oder Hysterie, das merkt man jetzt noch nicht, werden die fehlenden Public Viewings (auch kein EM-Quartier vom FM4) sein - das sind wir nicht mehr gewohnt, die gibt’s auch gefühlt seit lange bis ewig schon, dort trägt sich Stimmung weiter, nicht über alte und neue Medien, die leben auch von den Bildern der Menschenmengen.
Es ist nicht nur „nur“ Europa, es ist auch ein schiefes Europa ohne Gesicht und Identität und auch ohne Euphorie.

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Immerhin, das passt nun irgendwie ganz gut zur österreichischen Mannschaft, einem der 24 Teams (Gruppe C, okaye Auslosung, Niederlande als Favorit, Ukraine in Augenhöhe, Mazedonien als Kleiner): Die sind (im Gegensatz zur Aufregung bei der Heim-Euro 2008 und sehr im Gegensatz zur fast schon narrisch herbeigefreuten Koller-Euro 2016, der eh letzten) bei der Qualifikation eher so mau und matt über die Ziellinie gehoppelt.

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Der Mannschaft gegenüber ist das fast ungerecht - das sind, individuell gesehen, wohl die besten Kicker seit den 50ern -, aber die Teamleitung macht nichts oder deutlich wenig draus, was echt gar nicht so einfach ist. Wie erklärt man’s einem nicht-ständig-dabeiseienden Event-Fan... An einem Beispiel: Coach Franco Foda hat einen Neuling in seinen vorläufigen Kader berufen, Phillipp Mwene von Mainz, völlig zurecht, der spielt dieses Halbjahr eine Topsaison als Außenverteidiger. Allerdings bei Bo Svensson, einem der vielen überall erfolgreichen Red-Bull-Coaches, der auf scharfes Pressing, schnelles Umschalten und Tempofußball setzt. Das exakte Gegenteil von dem, was Foda (King of Vorsicht) macht. Deutlich mehr als die Hälfte von Fodas Kader spielt mit ihren aktuellen Vereinen diese Rangnick-Schule, auch der Rest hat es zumindest drauf (weil es mittlerweile Standard-Repertoire ist). Trotzdem kann und will der Coach seine Spielidee nicht dieser Tatsache, also seinen Spielern anpassen, sondern lässt sie in einem ihnen fremden System der Angst quasi verhungern. Dass Foda jetzt extra Mwene (also einen weiteren Prototypen der RB/Rangnick-Spielidee) nominiert, kann eigentlich nur heißen, dass er selber sein eigenes Dilemma noch gar nicht erkannt hat. Die drögen Vorstellungen des ÖFB-Teams ließen das ja bereits vermuten.
Ob auch das, also die fehlende Selbsterkenntnis, Europa ist, wird sich ab 11. Juni zeigen.

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