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Crossing Europe 2021: Surviving Gusen

Bright Films

film

Europa im Kino

Das Festival Crossing Europe zeigt vom 1. bis 6. Juni europäisches Filmschaffen.

Von Anna Katharina Laggner

Ins Kino geht man, um die Welt draußen zu lassen. Konzentriertes, ablenkungsfreies Filmschauen, das haben wir vermisst. Doch was flimmert über die Leinwand? Die Welt, oder im Fall von Crossing Europe, europäische Welten. Auch die haben wir vermisst. Also ab in’s Kino: Europa anschauen.

Alles wirkt so wie immer: 123 Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilme aus 40 Ländern, 90 Gäste, die ihre Filme auch vor Ort, physisch (!), präsentieren. Aber natürlich: Keine spätabendlichen Vorstellungen (etwa wird die phantastische, dem bizarr-kreatürlichen genauso wie blutig-düsteren verschriebene Schiene „Nachtsicht“ heuer ebenfalls tagsüber laufen), keine Nightline, die nächtliche Verarbeitung des im Kino Gesehenen, sei es durch Gespräche, sei es beim Tanzen, das entfällt. Soweit die Rahmenbedingungen.

Auch in diesem Jahr wird Crossing Europe mit Filmen eröffnet, die exemplarisch für das gesamte Programm stehen, ein Programm, das großteils keinen Platz im narrativ glatt gebügelten Kinobetrieb findet. „Servants“ etwa von Ivan Ostrochovský ist ein Politthriller, angesiedelt in einem Priesterseminar im Jahr 1980. In der Tschechoslowakei herrscht zu dieser Zeit totale Repression, die meisten Dissidenten sind im Gefängnis (etwa auch der spätere Präsident Vaclav Havel).

In „Servants“ schreiben junge Priesteranwärter, die nicht merken, dass ihr Haus vom Geheimdienst infiltriert ist, politische Pamphlete, andere kollaborieren mit dem Regime. „Servants“ ist ein streng kadrierter schwarz-weiß Film, mit einer Kamera, die immer wieder aus Gottes Perspektive auf ihre Schützlinge schaut, die sich entscheiden müssen: den Mund halten oder riskieren. „Wir sind nicht hier, um glücklich zu sein“, heißt es da.

Crossing Europe 2021: Servants

Loco Films

„Servants“: Dem Filmemacher Ivan Ostrochovský, der, damit er seine Filme so machen kann, wie er will, auch Produzent ist, widmet Crossing Europe ein ganzes Tribute.

Ein weiterer Eröffnungsfilm ist der Dokumentarfilm „The Wire“. Er spielt am Fluss Kupa, der die Grenze zwischen Slowenien und Kroatien bildet und in den letzten Jahren aufgrund der notorisch beschwörten sogenannten Balkanroute mithilfe von Zäunen und politischen Parolen seiner Idylle beraubt wurde.

Neben „The Wire“ läuft in der Sektion „European Panorama Documentary“ auch ein weiterer Grenzfluss-Film, konkret „Grenzland“, der den Zustand der Welt entlang der deutsch-polnisch-tschechischen Grenze erkundet (drei Jahrzehnte, nachdem Regisseur Andreas Voigt erstmals durch dieses Gebiet, das damals den Rand des kapitalistischen Europas dargestellt hat, gereist ist).

Crossing Europe 2021: The Wire

Off World

„The Wire“

Überhaupt: Grenzen! Sie zeigen sich in dieser Sektion in Form von Geschlechterrollen und deren Auflösung („Alltid Amber“), in Form eines jungen Irakers, der, eine Handkamera dicht auf den Fersen, in Belgien auf seine Aufenthaltsgenehmigung wartet („Me Miss Me“), als Rückkehr der Performance-Päpstin Marina Abramovic in ihre Belgrader Geburtsstadt („Homecoming - Marina Abramovic and her Children") oder als Behind-the-Scenes-Porträt eines österreichischen Sündenfalls: „Hinter den Schlagzeilen“ dokumentiert die Arbeit an der Aufdeckung dessen, was als „Ibiza-Affäre“ sattsam bekannt ist.

Das Festival Crossing Europe hat sich immer schon auch dem reichhaltigen oberösterreichischen Filmschaffen gewidmet, es hat in der Schiene „Local Artists“ eine fixe Verankerung im Festivalprogramm. Der Eröffnungsfilm „Surviving Gusen“(siehe Titelbild dieser Story) wurde in einer Einfamilienhaussiedlung gedreht, die auf kontaminiertem Boden steht: Gusen war ein Nebenlager von Mauthausen, in dem die Häftlinge in Steinbrüchen für die NS-Rüstungsindustrie arbeiteten und eine Stollenanlage in den Stein treiben mussten. Aufgrund der harten Arbeits- und miserablen Versorgungsbedingungen war die Todesrate im KZ Gusen sehr hoch. Inmitten der sanften oberösterreichischen Landschaft und ihrer Einfamilienhaus-Zuckerl-Architektur erinnern sich drei Überlebende in „Surviving Gusen“ an diese Hölle.

Weiters empfehlen wir:

Zu allererst natürlich, sich selbst durch das übersichtlich gestaltete Programm zu wühlen.

Aber auch:

  • „Courage“ über eine Underground-Theatergruppe in Minsk.
  • „Mila“, ein von Yorgos Lanthimos inspirierter Film über eine seltsame Pandemie.
  • „Tottumiskysymys“: Ein Film über die ganz alltäglichen Übergriffigkeiten auf Frauen* (wie der ungeheuerliche Titel unschwer erkennen lässt).

Cu im Kino ;-)

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