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Olivia Rodrigo

Olivia Rodrigo

Song zum Sonntag

Der Song zum Sonntag: Olivia Rodrigo - „brutal“

Einmal geballte Ladung Selbstzweifel und Teenage Angst in „brutal“, dem Gen-Z-Rock’n’Roll-Opener des Debütalbums von Olivia Rodrigo.

Von Christoph Sepin

Sie passieren immer wieder, die Momente, in denen die nächsten Popsuperstars bestimmt werden sollen. Der letzte Freitag ist wieder so einer gewesen, als Olivia Rodrigo ihr Debütalbum „Sour“ veröffentlichte. Ein Auszug aus der Medienlandschaft: Der britische NME widmete der Musikerin aus Kalifornien eine Coverstory und ein Interview über zum Beispiel ihre Performance bei den letzten Brit Awards, Billboard wertete gleichmal alle Songs auf der Platte von 11 bis 1, in der New York Times ist „Sour“ der „critic’s pick“ und von der BBC wurde Rodrigo als „pop’s brightest new star“ gepriesen. So far, so good also der Weg zum gigantischen Erfolg der Songwriterin.

Zumindest auf dem Papier ist der Aufstieg von Olivia Rodrigo zum Popstar nicht ungewöhnlich: Anfänge als Schauspielerin in Disney-Produktionen ("High School Musical: The Musical: The Series zum Beispiel) teilt sie mit einigen US-Musiker*innen, ihr Song „drivers license“ war ganz oben in den Charts der ganzen Welt und US-TV-Institution Saturday Night Live widmete ihr letztens gar einen eigenen Sketch. Und doch ist das nicht alles nur gewöhnlich und altbekannt, was da aus dem Rodrigo-Produktionsstudio kommt - „Sour“ ist, in seinen besten Momenten, keine Standard-Pop-Platte, sondern spielt mit Genres und Einflüssen.

Das beweisen die ersten paar Sekunden auf Olivia Rodrigos Debüt: „brutal“ heißt der Opening-Song, der normalerweise die Stimmung des Albums vorgeben sollte, dies in dem Fall aber zumindest instrumental nicht macht: Während der Großteil von „Sour“ sich an den prägnanten Minimalismus einer Billie Eilish oder den melancholischen Rückblenden einer Taylor Swift anlehnt, ist „brutal“ ein 2 Minuten 20 Rock’n’Roll-Banger, wie ihn Kristine Flaherty alias K.Flay geschrieben haben könnte.

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch die geschätzten Wissenschafts- und Popjournalist*innen Thomas Kramar und Heide Rampetzreiter machen sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song ihre Gedanken.

Nur kurz lenken darin Streichinstrumente ab, bevor Rodrigo kaum hörbar in den Raum spricht: „I want it to be messy“ - und dann präsentiert sich das auch alles so, verzerrt und grungy und mit der geballten Ladung Teenage Angst und Selbstzweifel. Jung sein, das bedeutet verwirrt sein, sich selbst mit der Welt konfrontiert zu sehen und das alles zu Ordnen versuchen, was da im eigenen Kopf abgeht.

Die Welt ist ein schwieriger Ort, das merkt man schnell und versucht, sich darin erst einmal irgendwie zurecht zu finden. Macht man das in einer Mischung aus produktionstechnisch-massentauglichem Kalkül und emotionaler Offenheit, dann kann das schon so gleichzeitig rau und eingängig klingen wie in „brutal“. Es geht um all die Ärgernisse und Probleme, wenn man von innen auf die Welt und dann auf die eigene Rolle darin blickt: Unsicherheiten, wer mag mich, wer nicht, ein neues Leben starten, alles zurücklassen, Erwartungen enttäuschen, Teenager-Träume, parallel einparken, Anxiety und das alles verpackt in pointierte Zeilen, die es leicht machen, sich mit Rodrigos Szenario zu identifizieren: „If someone tells me one more time ‚enjoy your youth‘, I’m gonna cry“.

Olivia Rodrigo Sour Albumcover

Olivia Rodrigo

„Sour“ von Olivia Rodrigo ist auf Geffen Records erschienen.

Wie selbstbezogen das alles ist, dessen ist sich Olivia Rodrigo offensichtlich auch bewusst, wenn sie versucht, zum Finale von „brutal“ mit ihrem eigenen Ego abzurechnen: Gitarren werden langsamer, Piano und Streichinstrumente setzen ein und die Sängerin schlägt eine softere Gangart ein, die den Großteil des Albums „Sour“ bestimmen soll: „Got a broken ego, broken heart“ heißt es dann und „God, I don’t even know where to start“. Gute letzte Zeile für ein erstes Kapitel.

Dass ein Song wie „brutal“ auf dem bis jetzt größten Popalbum des Jahres so prominent inkludiert ist, zeigt wieder einmal, was es seit Längerem zu Beobachten gibt: Rock’n’Roll, Punk, laute Gitarrenmusik und Emotionen und wie man auch immer diese Spielrichtungen benennen will, sind wieder im Mainstream daheim, nur sind das zum Glück eben nicht mehr nur die angestaubten Betrachtungen aus klassisch-männlicher Rockstarperspektive, sondern der Weltschmerz aus der Sichtweise von Protagonist*innen wie Olivia Rodrigo. Das ist auch eine Art von Gen-Z-Revival, das ist auch ein Wiederentdecken von 90s-Sound und -Ästhetik, aber alles mit kontemporärem Twist. Was für eine fabelhafte Zukunftsvision für den guten, alten Rock’n’Roll.

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